Stilblog London: Trend zum Tornister:Kindheitserinnerungen in Neongrün

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Es ist fast unmöglich, sie zu übersehen: Handtaschen, die im Dunkeln leuchten, sind derzeit die angesagtesten Accessoires auf Londons Straßen. Hinter der It-Bag aus Cambridge steckt eine herzerweichende Geschichte. Die ersten Promis sind schon süchtig.

Lena Jakat

Die Form ist schlicht, ihre Erscheinung schon von Weitem sichtbar: die Fluoro Satchel. (Foto: Lena Jakat)

Es beginnt mit einer Leuchtspur, die in den Augenwinkeln hängen bleibt, einer grellgrünen Ahnung. Beim zweiten Mal bleibt der Blick hängen, verfolgt die junge Frau mit der neonfarbenen Handtasche. Nach der dritten Begegnung ist klar: So eine Tasche muss her. Ihre Form ist sehr einfach, wie ein klassischer Tornister (englisch: satchel), ihre Farbe (gelb, grün, orange oder pink) schreit nach Aufmerksamkeit.

Die Begierde nach dieser eigenwilligen Umhängetasche hat sich wie eine Epidemie ausgebreitet, zuerst unter den Fashion-Bloggern, dann unter analogeren Modemenschen und schließlich soll nun von Großbritannien aus der Rest der Menschheit infiziert werden - was manchmal schneller geht, als man denkt. Die leuchtenden Tornister der Cambridge Satchel Company sind neben Schlapphüten aus Filz die derzeit heißesten Accessoires auf Londons Straßen. Die It-Bag (oder "Brit-It-Bag", wie das US-Edelkaufhaus Bloomingdale's sie bei ihrer Ankunft in Übersee nannte) hat eine Mutter aus Cambridge reich gemacht.

In den Sommerferien 2008 beschloss Julie Deane, ihre beiden Kinder auf eine andere Schule zu schicken, weit weg von den Mitschülern, die die siebenjährige Emily mobbten und ihr das Leben zur Hölle machten. Die Alternative war eine teure Privatschule - und Deane knapp bei Kasse. Als ihre Kinder um einen klassischen Tornister bettelten, wie ihn Harry Potter nach Hogwarts mitschleppt, war die Idee geboren. Zusammen mit ihrer Mutter begann sie, am Küchentisch die altmodische Umhängetasche zu nähen.

Monat für Monat neue Arbeitsplätze

Inzwischen werden in Deanes eigener Fabrik 450 Taschen täglich in Handarbeit produziert, ihre Firma wird in diesem Jahr umgerechnet 12,5 Millionen Euro umsetzen - im Vergleich zu 32.000 Euro im ersten Geschäftsjahr. Ihre Taschen werden in den Nobelkaufhäusern der Metropolen und in 110 Ländern weltweit verkauft. Zu den Satchel-Süchtigen zählen Schauspielerin Elle Fanning und Moderatorin Alexa Chung.

Deanes Erfolg beruht auf dem emotionalen Gründungsmythos der Company und auf der Begeisterung, mit der Modeblogger von Anfang an über die Umhängetaschen - damals noch in gedeckteren Farben - berichteten. Eine Redakteurin der britischen Ausgabe von Elle war es schließlich, die Deane bat, ein grelles Modell zu kreieren. Erfunden war der Fluoro Satchel, der inzwischen Kult ist. Die Firmenhistorie ist in 60 Sekunden übrigens auch in Google Chromes aktuellem Werbespot zu sehen.

"Unsere Taschen beziehen sich auf den klassischen Tornister und wecken bei vielen unserer Kunden schöne Erinnerungen", beantwortete Deane kürzlich die Frage nach ihrem Erfolgsgeheimnis. Dabei ist sie sich ihrer unternehmerischen Verantwortung bewusst: "In Zeiten, in denen allzu oft von Doppelrezession die Rede ist, sind wir glücklich, Monat um Monat neue Arbeitsplätze schaffen zu können". Die Kapazität der Fabrik in Leicester soll demnächst verdoppelt werden.

Und Deane, die inzwischen das Schulgeld für eine ganze Klasse finanzieren könnte, engagiert sich für Kinder, die gemobbt werden, wie einst ihre eigene Tochter. Welche Geschichte könnte sich zu Weihnachten wohl besser verkaufen?

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