Mode:100 Jahre Ziiiiiip

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Seit hundert Jahren geht es für ihn auf und ab: Der Reißverschluss ist ein modischer Dauerläufer.

(Foto: imago/allOver-MEV)

Einst galt der Reißverschluss als vulgär, bestenfalls als praktisch. Erst in der Mode konnte er seine dekorative Wirkung entfalten - und seine erotische.

Von Jan Kedves, Berlin

Rauf runter, auf zu, angezogen ausgezogen: In diesem Tempo kleiden wir uns seit genau hundert Jahren. Am 20. März 1917 wurde in den USA das Patent für den Reißverschluss ausgestellt, so wie wir ihn heute kennen, dieses gezackte Wunderwerk der Ingenieurs- und Textiltechnik, das man meist nur dann wahrnimmt, wenn es mal nicht unauffällig ratscht, sondern klemmt.

Früher musste man, um seine Kleidung zu verschließen, feinmotorisch begabter sein, Schnüre binden und durch Ösen fummeln, Knöpfe durch Schlitze schieben. Der Reißverschluss - englisch: Zipper - setzte dem eine flinke Alternative entgegen, ritsch, ratsch, fertig. Eine Revolution! Eine Revolution, die gut in die damalige Zeit passte, in der sich das Leben allgemein stark beschleunigte. Eine Revolution aber auch, die bereits eine ganze Weile in der Mache gewesen war, mit ziemlichen Startschwierigkeiten.

Bereits im 19. Jahrhundert hatten nämlich diverse Erfinder an Reißverschluss-Ideen getüftelt, unter anderem der amerikanische Nähmaschinen-Entwickler Elias Howe mit seiner "automatic, continuous clothing closure" von 1851. Die Konstruktion ähnelte äußerlich stark dem heutigen Reißverschluss, war aber ein Kordelzug, der durch eine Reihe von Klämmerchen lief. Er brachte es nie zur Marktreife.

Erst der 1917 in den USA patentierte "Separable Fastener" des in Schweden geborenen Maschinenbauingenieurs Gideon Sundbäck (1880 - 1954) funktionierte zufriedenstellend. Unter anderem, weil Sundbäck erkannt hatte, dass es nicht reichte, die sogenannten Zähne des Reißverschlusses durch einen Schieber, auch genannt Schlitten, horizontal ineinanderzufügen. Nein, die Zähne brauchten auch jeweils noch unten eine Einbuchtung und oben eine Ausbuchtung, damit sie beim Verschließen auch vertikal ineinandergriffen. Erst so verrutschte nichts mehr. Et voilà.

Und was wären wir heute ohne dieses Ding! Nicht nur in der Garderobe, sondern auch kommunikativ um einiges ärmer. Die Sprachbilder und Gesten, die der Reißverschluss geprägt hat, sind wunderbar, und treffend. Wer einem Nervtöter deuten will, dass er die Klappe halten soll, zischt: "Zip it!", und wer einem Menschen, der ein Geheimnis verraten hat, kommunizieren will, dass man garantiert dichthalten wird, der zieht sich einen unsichtbaren Reißverschluss über die Lippen. Nicht zu vergessen das Reißverschlusssystem, das jedem Fahrer im Straßenverkehr genau seinen Platz beim Einordnen in eine Kolonne zuweist, rechts, links, rechts, links, das schnurrt, wenn alle mitmachen.

Und als die Bürgerrechtsbewegung in den USA die Segregation zwischen Schwarzen und Weißen überwinden wollte, in den Sechzigerjahren, gab es Reißverschluss-Illustrationen: die eine Zahnreihe weiß, die gegenüberliegende schwarz, und die Zähne waren keine Zähne, sondern geballte Fäuste. Das sah feindlich aus, doch dann fuhr der verbindende Schlitten durch die Fäuste, und hintenraus kamen lauter solidarische Handschläge. Soziale Integration durch Ritsch-Ratsch, das funktionierte im Bild viel schneller als in der Realität.

Alles begann beim Militär

Wie so häufig bei technischen Innovationen - etwa dem Telefon, der Rakete, dem Internet - war es auch beim Reißverschluss so, dass er seine erste Anwendung beim Militär fand. Die Lotsen der US Navy wurden noch 1917, während der letzten Monate des Ersten Weltkriegs, mit wetterfesten Anzügen inklusive Reißverschlüssen ausgestattet. Zur zivilen Anwendung kam es erst später.

Wer den Film "Der seltsame Fall des Benjamin Button" mit Brad Pitt gesehen hat, der auf einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1922 beruht, erinnert sich vielleicht daran, dass Benjamin Buttons Vater eine Knopf-Fabrik besitzt, deren Existenz durch die neuartigen "infernalischen Reißverschlüsse" von B. F. Goodrich bedroht wird.

B. F. Goodrich - die Firma gibt es immer noch - produzierte Autoreifen, aber auch Zipper auf Grundlage des Sundbäck-Patents von 1917. Die wurden zunächst für Gummischuhe und, ja tatsächlich, zum Verschließen von Tabakbeuteln eingesetzt. Erst 1925 gab es den ersten Zipper in nicht-militärischer Oberbekleidung: in den legendären Lederjacken der Firma Schott Inc.

Was sagt uns das heute? Dass es keineswegs so war, wie man sich das vorstellt, dass nämlich die Menschen von den Bändern und Ösen und Knöpfen so genervt waren, dass der Reißverschluss gleich durch offene Türen ratschte. Im Gegenteil: Wie der amerikanische Autor Robert Friedel in seinem akribisch recherchierten, streckenweise sogar richtig spannenden Fachbuch "Zipper - An Exploration in Novelty" nachzeichnet, mussten die Reißverschluss-Pioniere in den USA in den Zwanziger- und Dreißigerjahren erst mal allerhand Marketing-Bemühungen und Werbegelder aufwenden, um das Wissen um die Existenz und Praktikabilität dieses neuen Metalldings im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern.

Der Reißverschluss galt als vulgär

Auch heute, hundert Jahre später, ist es aber nicht so, dass der Reißverschluss sämtliche anderen textilen Verschlussmöglichkeiten abgelöst hätte. Ginge es streng nach Funktion, gäbe es nur noch ihn - und hier und da vielleicht den Klettverschluss, der Ende der 1950er-Jahre lanciert wurde. Aber selbst im dritten Jahrtausend, während sich die ersten Menschen schon auf die Mars-Landung vorbereiten, binden wir uns immer noch unsere Schuhe, wenn's sein muss doppelt, und knöpfen unsere Hemden, auch wenn es Kunststoff-Zipper gibt, die sich auf der Haut nicht kalt anfühlen. Warum? Die einfachste Erklärung lautet wohl: Mode ist zwar manchmal praktisch, aber garantiert nie logisch.

Der Reißverschluss galt anfangs jedenfalls als vulgär (Gummischuhe! Tabakbeutel!), kein anständiger Modedesigner wäre auf die Idee gekommen, ihn zu verwenden. Das änderte sich erst 1933, als der Amerikaner Charles James einen langen Metall-Reißverschluss in einem Kleid spiralförmig um den ganzen Körper führte, von oben nach unten. Die Suggestion, dass man das Kleid mit einem einzigen langen Zipp öffnen könne und dafür nur die Frau zu drehen bräuchte wie eine Schaufensterpuppe, trug sicher zum Appeal des Entwurfs bei.

Damit begann sozusagen die modische Nobilitierung des Reißverschlusses, die sich zwei Jahre später bei Elsa Schiaparelli fortsetzte, der legendären, mit großem Humor gesegneten Pariser Gegenspielerin von Coco Chanel. Schiaparelli war fasziniert davon, dass sich die damals gerade neu entwickelten, aus Cellulose bestehenden Kunststoff-Reißverschlüsse in allen erdenklichen Farben einfärben ließen. Das eröffnete ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten. Schiaparelli versteckte die Reißverschlüsse in ihren Entwürfen dann nicht mehr verschämt hinter einer Blende, sondern legte sie frei, in einem zum Stoff passenden Farbton.

Neue Modelle aus Aluminium wiegen nur halb so viel wie herkömmliche aus Messing

Spätestens seit diesen Jahren kann der Reißverschluss also auch Ornament sein. Als zum Beispiel Ende der Siebzigerjahre, zur kommerziellen Hochphase des Punk, die Bondage-Hosen immer populärer wurden, die ursprünglich von Vivienne Westwood und Malcolm McLaren in ihrem Seditionaries-Laden in London verkauft worden waren, schienen, je häufiger und billiger die Hosen kopiert wurden, immer noch mehr Reißverschlüsse an allen möglichen und unmöglichen Stellen hinzuzukommen. Hinten auf den Oberschenkeln, schräg über dem Knie. Der Reißverschluss hatte hier keine Funktion mehr, außer, dass er eine gewisse Krassheit und Sado-Maso-Erotik reinbringen sollte, als Äquivalent zur Sicherheitsnadel im Ohr.

Überhaupt: die Erotik des Reißverschlusses. Gerne hätte man dazu etwas in den "Mythen des Alltags" des französischen Philosophen Roland Barthes gelesen, zwischen seinen brillanten Kurzessays zum Striptease oder zur aerodynamischen Karosse des Citroën DS. Leider schrieb Barthes aber nichts zum kulturellen Phänomen des Reißverschlusses, also auch nichts darüber, wie er zum Reizverschluss wird, der signalisiert: Hier geht es genauso schnell wieder raus.

Barthes wird ja zu Lebzeiten noch das "Sticky Fingers"-Albumcover der Rolling Stones gesehen haben, das 1971 einen funktionstüchtigen Metallzipper an der Stelle hatte, wo in der Fotografie der Jeans-Stall eines Mannes zu sehen war. Die Vorstellung, dass einen hier ein Penis anspringen könnte, war skandalös. Wessen Teil da genau in der Hose steckte, darüber streiten sich bis heute die Pop-Historiker, sicher ist nur, dass es nicht Mick Jagger war. Konzept: Andy Warhol, wer sonst.

Natürlich könnten wir hier jetzt noch ewig weitermachen mit den Beispielen für die kulturelle Relevanz des Reißverschlusses, aber es ist ja auch interessant zu schauen, wie es mit ihm weitergehen wird. Wird er seinen zweihundertsten Geburtstag erleben? Oder werden vollautomatische Lösungen ihn ersetzen? Die Vorstellung fällt schwer.

Zwar gibt es von Nike den Konzept-Schuh MAG, der ursprünglich für den Film "Zurück in die Zukunft" (1985) entworfen wurde und im vergangenen Jahr dann in einer funktionalen limitierten Edition verkauft wurde. Er bindet sich automatisch und passt sich dem Fuß an. Ähnliche Lösungen wären für Oberbekleidung denkbar. Aber das würde bedeuten: überall Batterien und Motörchen am Körper - wer will das schon?

Nein, es wird wohl bei manuellen Zippern bleiben. Wie die aussehen könnten, ist etwa in London im weltweit ersten Reißverschluss-Showroom zu sehen. Betrieben wird er von YKK, dem 1934 von Tadao Yoshida in Japan gegründeten Unternehmen, das heute das größte Reißverschluss-Imperium ist. Ausgestellt werden hier Modelle aus Aluminium, die nur halb so viel wiegen wie herkömmliche Messing-Zipper. Oder die sogenannten Vislon-Kristall-Reißverschlüsse, bei denen in jeden einzelnen Kunststoff-Zahn ein Swarovski-Steinchen eingefasst ist, sodass der Reißverschluss aussieht wie eine Strass-Kette.

Wie man aus Fachkreisen hört, soll es auch schon biologisch kompostierbare Reißverschlüsse aus Dextrose geben, die aus Maisstärke gewonnen wird. Sie werden angeblich vom US-Militär eingesetzt, für Leichensäcke. Sollte das stimmen, wäre es ein weiterer Beweis dafür, dass Neuerungen meist beim Militär zuerst zum Einsatz kommen. So wie vor hundert Jahren, als vom Reißverschluss - außer der US Army - noch niemand etwas wissen wollte.

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