Die rätselvolle Vita der Coco Chanel:Uniformen der Befreiung

Eleganz in konsequenter Einfachheit: Die Mode der Coco Chanel stand für die Moderne wie das Bauhaus, Le Corbusier oder die russischen Konstruktivisten. Dabei bildete ihre reduzierte Couture einen geradezu dramatischen Kontrast zu ihrem märchenhaften Leben. Eine neue Biographie entwirft das bisher genaueste Bild des Mythos Chanel.

Johannes Willms

Das Leben der Coco Chanel ist in vielen Büchern beschrieben worden und lieferte auch den Stoff für eine Reihe von Filmen sowie ein Broadway-Musical, in dem sie von Katharine Hepburn verkörpert wurde. Das verrät ein unstillbares Interesse an ihrer Person.

Coco Chanel, French couturier. Paris, 1936. LIP-69

Klatsch über Kollaboration mit den Nazis: Coco Chanel (1883 - 1971) im Jahre 1936. 

(Foto: Getty Images)

Der Ruhm der Chanel verdankt sich vor allem ihrem Genie, eine Mode geschaffen zu haben, die sich durch die konsequente Beschränkung auf das Wesentliche auszeichnete, ohne dass dies die Kreativität ihres langen Schaffens beeinträchtigte.

"Nichts", so sagte sie noch in hohem Alter - Coco Chanel starb 1971 im Alter von 87 Jahren unter der Arbeit an ihrer neuesten Kollektion -, "lässt eine Frau älter aussehen als zur Schau gestellte Kostspieligkeit, Schnörkelei und Kompliziertheit." Daran hat sie sich bis zuletzt gehalten, es war das Geheimnis ihres Erfolgs, der zu Ende des Ersten Weltkriegs einsetzte und bis zu ihrem Tod andauerte.

Die Kreation, die Coco Chanel in den zwanziger Jahren den jähen Weltruhm verschaffte, war das berühmte "kleine Schwarze", mit dem sie die Farbe der Trauer zum Inbegriff zeitloser weiblicher Eleganz machte. Schwarz, so lautete ihr Credo, steche alles andere ringsum aus, denn es sei die Abwesenheit von Farbe, die erst "absolute Schönheit" zur Geltung bringe.

Ihr Entwurf eines ebenso einfachen wie rasanten Etuikleids aus schwarzem Crêpe de Chine mit engen langen Ärmeln wurde zu ihrem Triumph. "Das", so die amerikanische Vogue, die dieses Modell 1926 vorstellte, "ist ein Ford mit der Signatur Chanel".

Wider den Stoffwolken und Korsetten

Dieser Vergleich mit dem erfolgreichsten Auto der Zeit war nur zu treffend, denn das schwarze Etuikleid entwickelte sich, als ebenso schnittige wie dezente weibliche Uniform, zu einem Renner. Mehr noch: Diese "Uniform" war eine Befreiung, eine Revolution, denn das "kleine Schwarze", zu dem als einziger Schmuck eine Perlenkette getragen wurde, verbannte ein für allemal die aufwendigen und barock anmutenden Abendkleider, deren Stoffwolken ihren Trägerinnen zumuteten, sich in Korsetts einzuschnüren.

Das Modedesign der Coco Chanel, in dem sich das Ideal von Eleganz in konsequenter Einfachheit erfüllte, das die Bewegungsfreiheit nicht einschränkte und seine Trägerinnen vergessen ließ, was sie am Leibe trugen, gehört fraglos zu jener Moderne, für die das Bauhaus, die Neue Sachlichkeit, Le Corbusier oder die russischen Konstruktivisten einstehen.

Dieser Wille zur Vereinfachung, der ihren Kreationen eigentümlich war, steht in einem geradezu dramatischen Kontrast zu ihrem Leben, das anmutet wie ein Roman, dessen erste Kapitel aus der Feder eines Émile Zola stammen könnten, den ein Marcel Proust fortsetzte und ein Balzac vollendete. Dieser Kontrast erklärt die Faszination, die das Leben der Coco Chanel noch immer ausübt.

Die Protagonistin war die Erste, die dieser Faszination erlag. Sie befasst sich immer wieder damit, der eigenen Biographie jene einfache, konsequente und elegante Fasson zu geben, die ihre Couture auszeichnete. In ihren späteren Jahren trat Coco Chanel deshalb mit Schriftstellern und Journalisten ins Gespräch, die ihre Lebensgeschichte aufschreiben sollten und denen sie über ihre zahlreichen Freunde und Liebhaber Auskunft gab.

Episoden wie Stoffreste

Diese umfänglichen Mitteilungen sind ein unverzichtbarer Quellenfundus, aus dem sich die britische Autorin Justine Picardie so ausführlich bedient, dass ihre Biographie über weite Strecken anmutet wie eine Collage von Zitaten.

Dies verschafft der jetzt vorgelegten Darstellung von Chanels Leben - die im gemeinsamen Verlag von Gerhard Steidl und Karl Lagerfeld erscheint, der selbst als Modeschöpfer die spätere Geschichte des Hauses Chanel prägte - eine große Genauigkeit und Transparenz, strapaziert aber auch gelegentlich die Geduld des Lesers.

Eine solche Vorgehensweise lässt sich aber im Falle der Coco Chanel kaum vermeiden. Denn, so schreibt ihre Biographin, "als sie ihre Geschichte zuschnitt, ließ sie Episoden wie Stoffreste fallen, verlor hier ein Detail und kaschierte dort ein anderes und verschleierte ihre Herkunft."

Von der Versuchung, die eigene Person in einem möglichst vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen, ist niemand gefeit, der den Drang verspürt, über das eigene Leben Auskunft zu geben. Von dem war die Coco Chanel ganz besonders geplagt, denn vor allem ihre Herkunft, Kindheit und Jugend stehen in einem sehr deutlichen Kontrast zu jenen Abschnitten ihres Lebens, in denen sie vom Erfolg verwöhnt war.

Sie suchte aber auch das eigene Leben über den Leisten ihres Ideals einer schnörkellosen, widerspruchsfreien Eleganz zu schlagen. Deshalb hat Coco Chanel über ihre lieblose und von großer Armut geprägte Kindheit und Jugend nur sehr knappe und widersprüchliche Andeutungen gemacht.

Dieses Dunkel hat Justine Picardie in ihrer Biographie nicht nur erhellt, sondern es gelingt ihr auch überzeugend aufzuzeigen, wie viele Eindrücke und Erlebnisse, die ihre Protagonistin in dieser später von ihr verleugneten Zeit hatte, ihr Leben und ihren Stil beeinflussten.

Reflektionen der Liebhaber

Das gilt vor allem für die frugalen Lebensumstände wie die Anlage und den sparsamen Schmuck der Räume in jenem von Nonnen geführten Waisenhaus, das Teil eines mittelalterlichen Klosters war, in dem die 1883 in einem Armenspital in Saumur geborene Gabrielle Chanel nach dem Tod ihrer Mutter zwischen ihrem elften und achtzehnten Lebensjahr aufwuchs.

Dies war bislang weit weniger bekannt als der sich daran anschließende Lebensabschnitt, den Gabrielle Chanel, die sich jetzt "Coco" nannte, bis zum Ersten Weltkrieg als Mätresse eines wohlhabenden Pferdezüchters auf Schloss Royallieu verbrachte. Hier begegnete sie dem reichen englischen Lebemann Boy Capel, der ihre große Liebe wurde und der entscheidenden Anteil daran hatte, dass sich ihr Genie entfaltete und ihre Karriere als Modeschöpferin begann.

Von nun an ist das Leben der Coco Chanel öffentlich, wird es vielfältig reflektiert durch die Zeugnisse ihrer Freunde und Liebhaber, durch deren Lebensumstände und hervorstechenden Wesenszüge. Damit weitet sich die Schilderung der Biographie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zu einem ausführlichen Gesellschaftsgemälde aus.

Bewahrt vor andauernder Verachtung

Das ist eine Lektüre von hohem Reiz, denn Coco Chanel hatte nicht nur Umgang mit schwerreichen Männern wie dem Herzog von Westminster oder dem russischen Großfürsten Dmitrij Pawlowitsch, einem Cousin ersten Grades des letzten Zaren Nikolaus II., die beide ihre Liebhaber waren; sondern auch mit so gut wie allen großen Künstlern der Zeit wie Dhiagilew, Strawinski, Cocteau e tutti quanti, die sie oft großzügig unterstützte. (Leider fehlt dem Buch ein Personenregister.)

Über den Herzog von Westminster, dessen Geliebte sie mehr als zehn Jahre war, dessen schottisches Schloss sie oft länger besuchte, kam sie auch mit Winston Churchill in engeren Kontakt. In einem Brief von Anfang Oktober 1927 schrieb Churchill, der ebenfalls häufig im schottischen Stack Lodge zu Gast war, seiner Frau: "Coco ist hier. (...) Sie ist sehr umgänglich - wirklich ein starkes und gutes Geschöpf, fähig, über einen Mann und ein Reich zu herrschen."

Die Sympathie und Bewunderung, die Churchill für sie empfand, kam Chanel, wie ihre Biographin nachweist, Ende des Krieges zugute, als sie sich nach der Befreiung von Paris im August 1944 wegen ihrer vermeintlichen Kollaboration mit den Nazis verantworten musste.

Dieses bislang von vielen Gerüchten verdunkelte Kapitel ihrer Biographie weitgehend aufzuhellen, gelingt Justine Picardie durch akribische Dokumentation der Quellen. Der Intervention Churchills verdankte es die Chanel wohl auch, dass sie weder wegen ihrer Liebschaft mit einem deutschen Diplomaten in Paris noch wegen ihres reichlich verworrenen Techtelmechtels mit dem damaligen Chef der Abwehr Walter Schellenberg der Rache der Sieger anheimfiel.

Gleichwohl beschädigte der Klatsch über eine Kollaboration ihren Ruf als Modeschöpferin nachdrücklich. Als sie im Februar 1954 mit ihrer ersten Kollektion nach Ende des Krieges in Paris ein Comeback versuchte, endete dies in einem großen Fiasko.

Was sie damals im Alter von siebzig Jahren vor dem Vergessen und der andauernden Verachtung bewahrte, war der große Erfolg, den sie mit ihren Kreationen in Amerika erzielte. Eine ihrer treuesten Kundinnen war Jacqueline Kennedy.

"Ein Teil blebt immer verborgen"

Auch das Kostüm in lebhaftem Rosa, das diese am 22. November 1963 trug, als sie ihren Mann, den Präsidenten John F. Kennedy, auf der Fahrt nach Dallas begleitete, stammte aus der Herbst/Winter-Kollektion, die Chanel zwei Jahre zuvor präsentiert hatte. Das mit dem Blut ihres Mannes, der an ihrer Seite im offenen Wagen dem Attentat zum Opfer fiel, besudelte Modellkostüm wird heute im Nationalarchiv in Washington aufbewahrt.

Auch diese neue Biographie der Coco Chanel, die von allen ihr bislang gewidmeten Büchern das ausführlichste und genaueste Bild ihres märchenhaften Lebens entwirft, kann über dessen Faszination nicht restlos aufklären. Das weiß auch Justine Picardie, die am Ende ihrer materialreichen und vorzüglich illustrierten Darstellung bekennt: "Die ganze Wahrheit über Gabrielle Chanel wird man niemals aufdecken. Ein Teil bleibt immer verborgen."

Nun, ein bisschen Geheimnis muss ja bleiben, damit der Mythos dieser außergewöhnlichen Frau, "die ihre Karriere damit machte, dass sie das Selbstbild der Frau von Grund auf veränderte", nichts von seinem Reiz einbüßt.

JUSTINE PICARDIE: Chanel. Ihr Leben. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger und Dörthe Kaiser, mit Zeichnungen von Karl Lagerfeld. L.S.D. (Lagerfeld, Steidl, Druckerei Verlag) im Steidl Verlag, Göttingen 2011. 431 Seiten, 38 Euro.

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