Mode:Benvenuto!

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Brunello Cucinelli, bekannt für Feinstes aus Kaschmir, lebt im Dörfchen Solomeo in Umbrien seinen Traum vom humanen Kapitalismus. Ein Besuch beim guten Mann der Mode.

Von Dennis Braatz

Schon von Weitem wird klar: Dieses Dorf ist nicht irgendein italienisches Dorf. Zu akkurat ragen die Zypressen hinter den Olivenbäumen auf, zu malerisch geben sie die Sicht frei auf Ziegeldächer und Steinwände. Ihr sandiges Orange und Gelb kennt keine Witterung, die Straße nach Einfahrt in den Ort nicht mal mehr das kleinste Schlagloch. Benvenuto in der Postkartenidylle von Solomeo!

Das umbrische Nest ist das Zuhause von Brunello Cucinelli, genannt "Kaschmirkönig von Italien". Es befindet sich auf einem Hügel nahe Perugia. Ganz oben im historischen Zentrum wohnt er samt Familie. Unterhalb, wo auch der Großteil der 500 Einwohner lebt, befindet sich sein Firmensitz.

Vor knapp 35 Jahren ist Cucinelli mit seiner Pulloverproduktion hierhergezogen, weil seine Jugendfreundin und Ehefrau Federica aus Solomeo kommt (er selbst stammt aus einem Nachbardorf). Kurz darauf hat er mit der Restaurierung des Ortskerns begonnen. Inzwischen ist alles bis ins kleinste Detail generalüberholt und zu einer Art Freilichtmuseum umgestaltet worden - und Solomeo ein wichtiger Standort auf der internationalen Modelandkarte. Weil Cucinelli, mittlerweile mehr Edelausstatter für Komplettoutfits und Milliardär, vom Schuh bis zur Seidenbluse alles streng in der Region fertigen lässt.

Der 63-Jährige begrüßt einen, wie er auch am liebsten auf Fotos posiert: mit den Händen so in den Hosentaschen, dass sie die beiden Sakkoflanken schnittig zur Seite ziehen. Die Füße stehen etwas schmaler als die Schultern. So muss ihm der Betrachter gleich mal auf die weißen Sneakers schauen. Die Haare fallen locker in die Stirn. Erster Eindruck: Kumpeltyp.

Sein Ziel: ein Unternehmen, in dem Menschen das Gefühl haben, gebraucht zu werden

"Das hier ist mein Lieblingsplatz!", sagt er, hakt sich gleich mal unter und zeigt auf einen eisernen Tisch, an dem nur ein Stuhl steht. Zur linken Seite liegen seine Schneiderschule, das Amphitheater und ein Säulengang, der den Blick auf ein Tal voller Olivenbäume freigibt, rechts liegt ein gepflasterter Platz mit Steinbänken. Im Rücken hat man ein altes Schloss aus dem 14. Jahrhundert. Früher wurden hier die Pullover gestrickt, heute würde der Platz nicht mehr annähernd ausreichen. Weshalb der König jetzt eine Boutique im Schloss unterhält. "Von hier aus habe ich alles im Blick." Breites Grinsen.

Der Unternehmer Brunello Cucinelli. (Foto: PR)

Dass sich italienische Modeunternehmer auch um den Erhalt von historischen Gebäuden kümmern, seit der Regierung das Geld fehlt, ist nichts Neues mehr. Fendi hat den Trevi-Brunnen gerettet, die Tod's-Gruppe das Kolosseum und Diesel die Rialtobrücke. Gucci restauriert gerade die Boboli-Gärten in Florenz. Allerdings handelt es sich hier immer um große Touristenattraktionen, deren Bezuschussung ein entsprechendes Medienecho ausgelöst haben, also gut für den Ruf einer Marke waren. In der Vergangenheit hatte man das Gefühl, dass sich die Firmen gegenseitig mit immer spektakuläreren Kulissen zu übertrumpfen versuchen. Solomeo kannte vor Cucinelli niemand. Seine Motivation war von Beginn an eine andere.

Cucinellis Eltern waren Bauern. Geld war nie wirklich da. Der Sohn besaß für Sommer und Winter je eine Hose und musste damit auskommen. Als die Erträge weniger wurden, nahm der Vater einen Fabrikjob an. "Er wurde nicht gut behandelt und erniedrigt. Wenn er abends nach Hause kam, hatte er manchmal Tränen in den Augen." Das hat Cucinelli so wehgetan, dass er sich vornahm, ein Unternehmen zu gründen, in dem seine Landsleute fair behandelt werden und das Gefühl haben, gebraucht zu werden.

Umbrien war immer ein Landstrich, aus dem gute Strickwaren kamen. Die Luxuskundschaft kannte Kaschmirpullover bis Ende der Siebzigerjahre nur in Beige und Grau, also färbte Cucinelli 1978 mit einem Startkapital von 550 US-Dollar drauflos. Die bonbonbunten Teile riss man ihm sofort aus den Händen. Einer seiner ersten Abnehmermärkte war Deutschland.

Seine Schneider verdienen 20 Prozent mehr als üblich. So stärkt er das Handwerk

Cucinellis Look ist, um es mit einem Modeklischee zu sagen: sportlich elegant. Die knalligen Farben sind längst durch Naturtöne ersetzt worden, viel Grau, viel Wollweiß, Beige und Blau. Für eine Klientel, die Jogginghosen zu Flatterblusen und doppelreihige Knopfleisten liebt. Aufregendes Design geht natürlich anders. Allerdings ist Understatement und Zeitlosigkeit bei solchen Preisen das wichtigste Verkaufsargument. Ein Kaschmirpulli kann 2000 Euro kosten. Wer ihn kauft, hat nicht nur die Gewissheit, dass er "Made in Italy" ist und bei guter Pflege ein Leben lang hält, sondern dass auch jeder Mensch in der Produktionskette gut bezahlt worden ist.

Das Dörfchen Solomeo nahe Perugia zählt 500 Einwohner. Von hier aus führt Brunello Cucinelli seit 1978 sein Kaschmir-Imperium. (Foto: PR)

Die Schneiderinnen und Schneider erhalten bei Cucinelli 20 Prozent mehr Lohn als in der Branche üblich. "Handarbeit muss honoriert werden. Mal ganz davon abgesehen, dass die Jobs unter jungen Leuten wieder begehrter werden müssen." Auf dem Land blieben die Lehrstellen zuletzt oft unbesetzt, weil es alle in die Stadt zog (wo man sich für die Ausbildung an einer privaten Modeakademie mitunter verschulden muss). Den Schülern seiner Schneiderschule zahlt er deshalb ein Gehalt, zwischen 700 und 1000 Euro sind es jeden Monat.

Arbeitsbeginn ist um acht Uhr. Die Mittagspause in der hauseigenen und weit über Umbrien hinaus bekannten Kantine beginnt um 13 Uhr. Dann wird noch mal von 14.30 bis 17.30 Uhr gearbeitet. Das Verschicken von beruflichen E-Mails außerhalb der Arbeitszeiten ist unerwünscht. "Ich halte eh mehr vom Telefonieren. Das geht viel schneller als dieses ständige Hin- und Herschreiben. Und wer da immer alles in Cc mitliest? Viel zu kompliziert!", sagt er.

Inzwischen sitzt man an seinem meterlangen Schreibtisch, drumherum drapieren sich ein paar Kaschmirwollknäuel in Kisten und Körben. Die Firmenzentrale ist ein Gebäude aus den Siebzigern. Auch das hat er erhalten, umgebaut und aufgehübscht, mit bodentiefen Fenstern, seinem typischen Nichtfarbencode und ein paar Wasserspielen im Hof.

Bei allem Respekt: Ist dieses Gutmenschentum nicht auch ganz schön viel Imagegetue? "Natürlich müssen wir was verdienen." Er moduliert seine Stimme wie ein Theaterschauspieler, schlägt die Hand auf den Tisch und macht im Flüsterton weiter. "Gewinn an sich ist kein Wert, die Würde des Menschen schon." Der Unternehmer Cucinelli will kein Besitzer sein, sondern mehr ein Beschützer. Sein Business-Motto nennt er "humanen Kapitalismus". Inspiriert dazu haben ihn die Schriften von Sokrates, Marc Aurel oder Benedikt von Nursia. Ihre Porträts hängen bei ihm im Büro, ihre Verse rezitiert er vor jedem Redakteur, der sich während der Fashion Week in seinem Showroom eigentlich nur mal eben die neue Kollektion anschauen wollte.

Cucinelli beschäftigt Menschen aus der Region zu fairen Löhnen – das ist für ihn Verpflichtung und Ehrensache. Er sagt: „Gewinn an sich ist kein Wert, die Würde des Menschen schon.“ (Foto: PR)

Einer wie Cucinelli ist ein Sonderling im schnelllebigen Modegeschäft. Und es hat Zeiten gegeben, da wurde er skeptisch und auch nur am Rande wahrgenommen. Gestört hat ihn das nie. Er hat einfach weitergemacht. Als Solomeo fertig restauriert war, baute er den Bewohnern ein Theater. Als das Theater fertig war, riss er die hässlichen Lagerhallen unten im Tal ab und setzte einen Fußballplatz und einen Gemüsegarten drauf. Als im Oktober des vergangenen Jahres im etwa 100 Kilometer entfernten Norcia die Erde bebte und große Teile des Dorfs und die Basilika San Benedetto zerstört wurden, fuhr er noch am selben Tag hin und erklärte, sich um den Wiederaufbau zu kümmern.

Auch Harvard-Studenten kommen nach Solomeo, um von Cucinelli zu lernen

Die einstigen Kritiker sehen in Cucinelli längst nicht mehr den Prinzipienreiter, sondern einen Vordenker. Der Zeitgeist mag geholfen haben, auf faire Produktionsbedingungen und Preisleistungsverhältnisse legen immer mehr Kunden wert. Mögen die Umsätze anderswo in der Luxusmode einbrechen, seiner weist nach oben. Als er das Unternehmen 2012 an die Börse brachte, lag der Jahresumsatz bei knapp 280 Millionen Euro. Voriges Jahr waren es mehr als 450 Millionen Euro. Und im ersten Halbjahr 2017 lag das Plus schon wieder bei 10,7 Prozent. Vor ein paar Monaten wurde Cucinelli in Kiel mit dem Weltwirtschaftlichen Preis ausgezeichnet. In der Begründung hieß es, er sei ein "ehrbarer Kaufmann". Neben ihm erhielten Ex-Bundespräsident Horst Köhler und Arundhati Bhattacharya, die ersten Frau an der Spitze der Bank of India, die Auszeichnung.

Am meisten freut ihn aber, dass immer mehr junge Leute nach Solomeo kommen, um etwas bei ihm zu lernen. Kaderschmieden wie die Harvard-Universität oder das Massachusetts Institute of Technology haben ihre Studenten schon zu Cucinelli entsandt. Kürzlich reisten ein paar Hundert Schüler aus italienischen Ausbildungsstätten an. Cucinelli will ihnen dabei helfen, gute Produkte zu entwickeln. Von digitalen Start-ups hält er überhaupt nichts. "So viele haben sich an innovativen Service-Angeboten versucht und sind gescheitert", findet er. Was jetzt wieder mehr zähle, seien Manufakturen.

Während der letzten Herrenmodemesse im Juni in Florenz konnte Brunello Cucinelli übrigens einen ganz besonderen Gast empfangen: Matteo Renzi. Er kam an seinen Kollektionsstand für ein paar Pressefotos. Italiens Ex-Premier will bekanntlich wieder zurück in die Politik - und auch er scheint den Rat in Solomeo zu suchen. "Nächste Woche kommt er zum Mittagessen", sagt Cucinelli.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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