Hotellerie:"Dieser Grad von Hingabe ist schon ein kleines bisschen seltsam"

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Wenn es hart auf hart kommt, muss Simon Thomas für seine Gäste auch mal Stutenmilch besorgen. (Foto: Muir Vidler)

Der Concierge-Verband "Les Clefs d'Or" hat einen neuen Chef: Simon Thomas, Brite.

Interview von Alexander Menden

Simon Thomas, 46, ist Chef-Concierge des Londoner Hotels The Lanesborough, ein Luxushaus in Hyde Park Corner. Im vergangenen Monat wurde er zudem in Berlin zum Präsidenten der "Union Internationale des Concierges d'Hôtels Les Clefs d'Or" gewählt. Er ist damit als erster Brite seit mehr als 25 Jahren Vorsitzender der weltweiten Dachorganisation der Concierges, die circa 4000 Mitglieder zählt. Die gekreuzten Goldenen Schlüssel, die ein "Clefs d'Or"-Concierge am Revers tragen darf, stehen nach Aussage der Vereinigung für "garantierten Qualitäts-Service": Ein Concierge werde jeden Gästewunsch erfüllen, solange er "moralisch, legal und menschenmöglich" sei.

SZ: Mr. Thomas, wie fühlt es sich an, Präsident aller Concierges zu sein?

Simon Thomas: Das ist natürlich großartig. Ich muss aber sagen, dass der Haupteindruck, den ich von unserer Konferenz in Berlin mitgenommen habe, der war, wie unglaublich sich gerade die jüngeren Kollegen mit ihrem Beruf identifizieren. Wir hatten in Berlin einen Tattoo-Künstler eingeladen, und viele Teilnehmer haben sich die Goldenen Schlüssel, unser Zunftabzeichen, auf den Oberarm tätowieren lassen. Ich war erst ein bisschen schockiert, aber dann wurde mir klar, welches Engagement hinter so einer Entscheidung steht.

Was macht ein Concierge eigentlich?

Ein Concierge muss in viele verschiedene Rollen schlüpfen, er ist der Alleskönner im Hotelgewerbe. Man ist Kontaktperson, Vertrauensperson, Ratgeber, Freund, Mädchen für alles. Manchmal muss man ein Heiliger sein. Ich habe Gästen geholfen, ein Haus zu kaufen oder war Trauzeuge bei ihrer Hochzeit. Man baut eine Beziehung zu ihnen auf, vor allem mit Menschen, die monatelang im Hotel wohnen. Die anderen Angestellten wechseln relativ häufig, weil gutes Personal sehr gesucht ist, und man sich seine Jobs aussuchen kann. Der Concierge ist da oft die einzige Konstante.

Sie selbst sind erst vor drei Jahren an Ihren jetzigen Arbeitsplatz gewechselt.

Ich habe mich bei meinem vorherigen Arbeitgeber extrem woh gefühlt. Aber das Lanesborough gilt nun mal als bestes Hotel Londons - ich hätte mich beim Vorbeifahren jedes Mal geärgert, wenn ich das Angebot nicht angenommen hätte. Grundsätzlich sind 60 Prozent der Mitglieder der Clefs d'Or zehn Jahre oder länger in einem Job. Schauen Sie sich nur hier in der direkten Nachbarschaft um: Der Kollege im Hilton ist dort seit 27 Jahren, der im Meridian seit 30 Jahren, und der im Ritz arbeitet schon dort, seit er 16 war. Jetzt geht er bald in Rente.

War es wirklich Ihr Kindheitstraum, anderen Menschen jeden Wunsch von den Augen abzulesen?

Ich bin da mehr per Zufall hineingerutscht. Ursprünglich stamme ich aus Wrexham in Nordwales, aus sehr einfachen Verhältnissen. Dort oben gab es Mitte der Achtzigerjahre keine Arbeit. Ich war damals 15 und zog nach London, um einen Job als Techniker anzunehmen. Den habe ich gehasst und gab ihn schnell wieder auf. Ich wollte nach Hause zurück, hatte aber kein Geld für den Zug, was mir peinlich war. Deshalb nahm ich, mehr aus der Not, einen Job als Page im Grosvenor House Hotel an. Ich hatte immer gute Manieren, und es fiel mir leicht, mit Menschen umzugehen. Außerdem war der Chef-Concierge dort erstklassig. Ich habe gleich gemerkt: Das ist die richtige Umgebung für mich.

Was muss man für ein Mensch sein, um eine guter Concierge zu werden?

Die Frage, was einen Concierge motiviert, beschäftigt mich sehr. Dieser Grad von Hingabe an einen Job ist schon ein kleines bisschen seltsam. Ist da ein emotionaler Mangel, der ausgeglichen werden muss? Wäre er gerne Schauspieler und spielt stattdessen die Rolle des Faktotums? Ist er einfach ein Altruist? Concierge zu sein ist auf jeden Fall weniger Beruf als Berufung. Das kann man nicht akademisch lernen, sondern nur, indem man es macht. Natürlich verkauft man an manchen Tagen nur Briefmarken und sagt den Gästen, wo das nächste Restaurant oder was die beste U-Bahnverbindung ist. Das kann man lernen. Aber an anderen Tagen organisiert man einem Gast das ganze Leben, macht hundert Sachen gleichzeitig, und das muss Teil des Charakters sein.

Sie sind immer erreichbar?

Als Chef-Concierge muss man zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung stehen. Auf meiner Visitenkarte steht meine private Mobilnummer. Vergangenen Samstag war ich zum Beispiel bei einer Geburtstagsparty, und um 22 Uhr klingelte mein Handy. Ein Gast war aufgebracht, weil wir ihm einen Tisch im Erdgeschoss eines Restaurants gebucht hatten. Er wollte im Zwischengeschoss sitzen. Ich musste im Restaurant anrufen. Keine Frage, dass so etwas Vorrang hat vor einer privaten Feier.

Denkt man nicht manchmal: Mein Gott, warum kann der Gast das nicht selber machen?

Manchmal schon. Aber schauen Sie: Diese Tasse Kaffee hier kostet mehr als fünf Pfund. Im Ketten-Café nebenan kostet er die Hälfte. Hier bekommen Sie ihn allerdings im besten Porzellan, unter einem Kristallkronleuchter, ein Portier öffnet Ihnen die Türe - das alles hat seinen Preis. Dafür darf die Tasse aber auch keinen Sprung haben. Wenn man damit wirbt, den besten Service der Stadt zu bieten, muss man diesem Anspruch auch in jeder Situation gerecht werden.

Was ist der ausgefallenste Wunsch, den Sie bisher erfüllen mussten?

Natürlich gibt es Tausende Geschichten, einen Großteil davon kann ich leider nicht erzählen. Aber vor ein paar Wochen hatten wir einen Gast aus Saudi-Arabien, der ein großer Pferdenarr ist. Vor Kurzem starb eine seiner Stuten bei der Geburt eines Fohlens, und er wollte es mit der Flasche großziehen. In Saudi-Arabien gibt es anscheinend kein Stutenmilchpulver, hier in Großbritannien aber schon. Wir haben also kiloweise Stutenmilchpulver nach Saudi-Arabien geschickt, um dieses Fohlen hochzupäppeln.

Warum hat er gerade Sie gefragt?

Weil er weiß, dass wir ihm jeden Wunsch erfüllen. Einmal Gast, immer Gast.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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