Headhunterin für Designer-Labels:"Das war Instinkt"

DLDwomen Conference 2010; Floriane de Saint-Pierre

Immer dann gefragt, wenn es um die Neubesetzung eines Designer-Postens bei einem Luxuslabel geht: Floriane de Saint-Pierre.

(Foto: Getty Images)

Ihr letzter Coup war Alexander Wang bei Balenciaga: Floriane de Saint-Pierre ist Headhunterin für die exklusivsten Labels der Welt. Die Französin beschränkt sich dabei nicht nur auf die Modebranche - sie glaubt, dass Apple eine neue Dimension des Luxus erfinden wird.

Von Julia Werner

Weißer Stuck, goldene Spiegel und eine Diptyque-Duftkerze auf dem Besprechungstisch: So sieht eines der Machtzentren der Mode aus. Es ist das Pariser Büro von Floriane de Saint-Pierre, Headhunterin der Luxusbranche. Bei der 49-Jährigen rufen große Modehäuser immer dann an, wenn es ein existenzielles Problem zu lösen gilt: die Neubesetzung eines Designer-Postens. Wenn Louis Vuitton einen Ersatz für Marc Jacobs sucht oder Jil Sander einen für Jil Sander, beginnt der gleiche Prozess wie bei anderen Branchen: Kandidaten werden zum Gespräch geladen, mit dem Kunden an einen Tisch gesetzt, es wird um Geld und Zuständigkeiten geschachert und eine Lösung gesucht für organisatorische Probleme wie den Wohnort. Je wichtiger das Label ist, umso länger dauert das.

Floriane de Saint-Pierre wischt über ihr iPad und präsentiert stolz ihr neuestes Projekt: "Eyesontalents", ein Portal, über das Luxusfirmen direkten Zugriff auf Designer aus der ganzen Welt haben. Vom Industriedesigner bis zum Schmuckgenie aus China ist alles dabei. "Sonst würden uns doch Talente aus Seoul oder Montreal verloren gehen!", sagt Saint-Pierre. Gesamteindruck: Bei ihr ist die Zukunft der Mode in guten Händen.

SZ: Madame de Saint Pierre, Sie suchen nicht nur nach Topdesignern für die exklusivsten Labels der Welt, sondern auch nach Managern. Was bedeutet es für Ihre Branche, wenn zwei Top-CEOs wie Angela Ahrendts von Burberry und Paul Deneve von Saint Laurent von Apple abgeworben werden?

Floriane de Saint-Pierre: Wäre ich Chefin eines Modehauses, würde ich mir ernsthaft Sorgen machen! Und darüber nachdenken, wie ich selbst innovativer werden kann. Wir wissen noch nicht, mit welchen Produkten Apple Luxuskonsumenten ansprechen wird, aber es wird sehr nah dran sein an dem, was traditionelle Modefirmen zurzeit anbieten. Apple wird eine neue Dimension des Luxus erfinden. Dass sie das mit zwei Schlüsselfiguren unserer Branche tun, wirft die Frage auf: Was wird Luxus morgen sein? Und welchen Effekt wird das auf das jetzige Geschäftsmodell der Mode haben?

Die Anforderungen an einen Designer sind sowieso längst andere: Nur ein guter Schneider sein, das reicht heute nicht mehr. Nach welchen Kriterien sucht man einen Kreativchef heute aus?

Zunächst einmal ist das eine strategische Entscheidung des jeweiligen Modehauses. Wenn mich das Management eines Labels anruft, analysieren wir erst mal jedes Detail: Braucht das Label wirklich einen Richtungswechsel oder nicht? Sind die Markenstrategie und der Look der Kollektion überhaupt noch auf einer Linie? Wir arbeiten da geradezu chirurgisch. Das ist meistens eine langwierige Sache, bei der man sehr vorsichtig sein muss. Wir müssen ja erst mal herausfinden, was ein Label eigentlich erreichen will. Und am Ende schlagen wir dem Kunden einen, höchstens zwei Kandidaten vor, die ihnen dabei helfen können.

Alles eine Frage der Analyse? Braucht man bei der Suche nach einem neuen Designstar nicht vor allem Intuition?

Stimmt. Ich kann jederzeit begründen, warum ein Designer strategisch gesehen der richtige ist. Aber ob er wirklich passt, sagt mir nur mein Gefühl. Heutzutage brauchen übrigens auch Designer mehr denn je diese Gabe. Sie müssen lange vor dem Rest der Welt wissen, was die Menschen lieben werden. Gute Designer sehen Dinge voraus. Im 21. Jahrhundert sollten wir der Intuition also viel Raum geben. Aber: Diese intuitiven Menschen sind gleichzeitig auch wahnsinnig diszipliniert.

Und natürlich ist die Designerwahl auch immer eine Frage des Geschmacks.

Ja. Aber ich bin wie eine Schauspielerin, die ihre Hüte wechselt, je nach Label. Ein Beispiel: Jeder hat eine eigene Wahrnehmung von dem, wofür ein Label steht. Der Dior-Designer Raf Simons ist zu Recht berühmt, er hat Talent und Erfahrung. Aber würde man ihn für das wiederzuerweckende Haus Schiaparelli vorschlagen, würde ich sagen: Lieber nicht. All die rationalen Gründe für Simons würden gegen meine Überzeugung sprechen, dass es zwischen ihm und Schiaparelli einfach keine ästhetische Verbindung gibt.

Warum, glauben Sie, hat man sich bei Schiaparelli für Marco Zanini entschieden, einen relativ leisen Namen, den fast nur Insider kannten?

Wenn eine Marke schon berühmt ist, ist es schwierig, den Kreativposten mit einem Unbekannten zu besetzen. Aber wenn ein Name wie Schiaparelli nach Jahren wiederbelebt werden soll, geht das. Dann kommt es vor allem darauf an, dass der Designer im Einklang mit der Marke ist. So wie Alber Elbaz bei Lanvin oder Christopher Bailey bei Burberry: Beide übernahmen die Verantwortung für etwas angestaubte Labels. Beide wurden damit berühmt.

Bailey und Elbaz haben Sie vermittelt. Ihr letzter Coup war Alexander Wang bei Balenciaga. War das auch Gefühlssache?

Alexander Wang lebt nicht in Paris, sondern in New York, und er hat sein eigenes Label. Aber wir fanden, dass seine cool attitude genau das Richtige für Balenciaga ist. Das war der Instinkt. Dann haben wir versucht, die Organisation um ihn herum hinzukriegen, zusammen mit den Leuten von Balenciaga. So dass es gar nicht erst zu logistischen Missverständnissen kommen konnte, die ihn am Ende vielleicht den Erfolg gekostet hätten.

Der Designer wird immer wichtiger

Ist es nicht interessant, dass in der Mode immer öfter der Berg zum Propheten kommt? So wie das Pariser Label Saint Laurent, das jetzt in Los Angeles gemacht wird - weil der Designer Hedi Slimane lieber dort leben will.

Früher kamen Leute aus der ganzen Welt hierher, bei Cristobal Balenciaga angefangen. Sie halfen Paris dabei, zu dem zu werden, was es ist. Es gab noch keine digitalen Medien, also musste man hier sein, um etwas mitzubekommen. Aber heute kommen gut 40 Prozent der Luxusumsätze aus Asien. Labels müssen viel globaler denken. Kunden sind jünger. Kreative müssen vom Zeitgeist umgeben sein. Finden sie den im alten Paris? Ich bin nicht sicher.

Aber wird der Designer als Figur so nicht wichtiger als die Marke selbst?

Bisher gab es in der Mode ein Erfolgsrezept: Ein Kreativ-Direktor und ein CEO arbeiteten Seite an Seite. Jetzt setzt sich ein neues Organisationsmodell durch: creative leadership.

Was meinen Sie damit?

Das extremste Beispiel passierte vor ein paar Wochen: Das Genie Christopher Bailey übernahm die Führung eines Milliardenunternehmens, das er nicht selbst gegründet hat. Er wurde in den Vorstand berufen - als Creative Chief Officer und als CEO. Man achte auf die Reihenfolge! Das ist der Beweis, dass die kreative Führung in Zukunft vor allem stehen wird. Natürlich bleiben die Businessleute wichtig - aber in der Ausführung der kreativen Vision, weniger in strategischen Fragen.

Die Bailey jetzt neben seinem Designjob noch zusätzlich übernimmt.

Das gleiche ist bei Céline passiert. Das Label ist erfolgreich wie nie. Warum? Weil die Designerin Phoebe Philo alles entscheidet. Im digitalen Zeitalter, in dem Kunden besser informiert sind denn je, müssen alle Signale, die man als Marke aussendet, auf einer Linie sein. Und wenn man die richtige kreative Vision hat, dürfen nicht die falschen Köche in der Küche stehen. Integrität ist wichtiger denn je: Der Kunde merkt sofort, wenn etwas gelogen ist. Labels sind heute für die Käufer so etwas wie Clans, zu denen sie gehören wollen. Deswegen entscheidet der creative leader nicht mehr nur über die Rocklänge, sondern auch über den Rest: Wo werden die Röcke verkauft, wo werden Shops eröffnet, was sollen die Verkäuferinnen tragen - und wie sieht die Werbekampagne aus?

Aber alle reden ständig von dem großen Druck, der auf Designern lastet. Manche entwerfen im Jahr zwölf Kollektionen!

Ich glaube, dass niemand diese Entscheidungen besser treffen kann als der kreative Kopf eines Labels. Wenn er im Rhythmus seiner Zeit lebt. Also suchen wir nach creative leaders, die ihre Welt von morgen verstehen. Dann sind sie auch in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die mit den gesellschaftlichen Entwicklungen im Einklang stehen. Phoebe Philo, Hedi Slimane, Miuccia Prada: Sie sind erfolgreich, weil ihre Kollektionen relevant für ihre Zeit sind.

Was halten Sie dann von Nicolas Ghèsquiere, der kürzlich bei Louis Vuitton angeheuert hat? Gerade er ist doch einer, der sich aufs Design und nicht aufs Marketing konzentrieren möchte.

Es ist der perfekte Job für ihn. Nicolas wird die Damenkollektion verantworten. Die ist dazu da, Begehrlichkeiten rund um die Marke Louis Vuitton zu wecken. Aber sie ist nicht das Kerngeschäft. Sein außergewöhnliches Talent wird die Wahrnehmung der Exklusivität der Marke Louis Vuitton noch weiter erhöhen, aber er wird nicht der creative leader sein. Die Damenkollektion ist sein Labor, für Brot und Butter werden andere Produkte sorgen. Das ist auch der Grund, warum er bei Balenciaga nicht mehr der Richtige war: Es ging darum, eine komplette Marke voranzubringen. Aber es gab eine Diskrepanz zwischen seiner Kreativität und der Anforderung, gesellschaftlich relevant zu sein.

Ghèsquiere nicht relevant? Das war aber mal anders. Alle kopierten mal seinen Look!

Ja, das war die Magie zu Anfang. Dann interessierte er sich mehr und mehr fürs kreative Experiment, aber immer weniger für die kommerziellen Stücke. Balenciaga brauchte dringend eine Frischekur mit globalerem Designansatz. Genau das, was Alexander Wang jetzt bringt.

Bei manchen aktuellen Fällen hat man allerdings das Gefühl, da steht der Name nur noch drauf, ist aber nicht mehr drin. Wie bei Saint Laurent.

Stimmt nicht! Yves Saint Laurent war immer ein Label, das provozierte und Regeln brach. Und gleichzeitig war es sehr nah am Leben einer Frau. Meine Mutter trug YSL Rive Gauche, und sie lebte ein sehr normales Leben. Es waren Kleider, die genau in ihre Zeit passten. So wie die von Hedi Slimane und Phoebe Philo. Wenn wir also darüber reden, worum es geht, wenn man ein Label am Leben erhalten will: Es ist längst nicht mehr wichtig, die Stil-Codes einzuhalten. Es geht eigentlich nur noch um die Essenz einer Marke. Es geht um den Spirit.

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