Falsche Flasche?:Trink, was klar ist

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Äh, Schardonäh? Oft kommt auf die Zunge nur, was einem leicht über die Zunge kommt. Die Angst vor Wein-Sprachfehlern ist global - und eigentlich ziemlich unnötig.

Von Max Scharnigg

Einer der Momente, an denen man als Mann die Gleichberechtigung besonders nachdrücklich einfordern möchte, ist die Übergabe der Weinkarte. Sie wird im Restaurant immer noch so selbstverständlich an ihn weitergereicht, als wären mit dem Stimmbruch auch Grundkenntnisse der Önologie eingetreten. Das ist nicht der Fall. Anwesende Frauen und Kellner wissen aber, dass sich Männer schwer damit tun, Unkenntnis zuzugeben, zumal bei einem Date. Was folgt, ist also meist ein tragisches (W)Ein-Mann-Stück: nachdenkliches Blättern durch Seiten voll Appellationen, wissendes Grübeln über Namen, von denen nur eines sicher ist: Die Zahl am Zeilenende wird später auf der Rechnung auftauchen.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Also, wie wäre es mit einem Nuits-Saint-Georges 1er Cru Aux Vignerondes 2010 Domaine Faiveley? Oder einem vergleichsweise schlichten Bourgogne Pinot-Noir 2012 Comte de Moucheron? Tja, niemand am Tisch wird es erfahren, denn bestellt wird doch lieber ein vertraut klingender Gewürztraminer, der dank Umlaut oft die letzte Rettung bei akuter Chateaux-Panik ist. Oder es wird gleich "der erste Chardonnay da auf der Karte" bestellt. Am besten noch mit tippender Unterstützung des Fingers, wie man es als Kind im China-Restaurant gelernt hat. Exotisch essen gerne, aber exotisch bestellen - bitte nicht. Angesichts einer wohlsortierten Weinkarte hüsteln auch polyglotte Weltbürger verlegen etwas von Grüner Veltliner, wenn sie nicht gleich den Offenbarungseid leisten: "Wir möchten irgendeinen trockenen Weißwein."

Wer Wein falsch ausspricht, ist offenbar der größere Banause als der, der gleich nur Bier trinkt

Kaum etwas lässt das Selbstbewusstsein bei Tisch derart schnell erodieren wie Angst vor, ja wovor eigentlich? Vom Kellner korrigiert zu werden? Davor, dass der Sommelier laut "Was, mein Herr, meinen Sie bitte mit Schianti?" fragt? Vor der Ächtung einer Ess-Gesellschaft, die bei Latte matschiato und Gnotschi doch auch nicht so zimperlich im Eindeutschen ist? Wein rangiert noch mal auf einem eigenen Einschüchterungslevel, vor allem geschmacklich und preislich. Aber wer ihn schon falsch ausspricht, offenbart damit scheinbar mehr Banausentum als jemand, der lieber gleich beim Bier bleibt. Ein ähnliches Paradox wie bei Galerien - wer sich hinbegibt, fühlt fälschlich eine größere Wissens-Bringschuld als diejenigen, die immer nur daran vorbeilaufen. Gehobenes Dinieren wird immer noch als Statusbeweis verstanden, und wer als gestandener Mann nicht wie nebenbei Pouilly-Fumé bestellen kann, gerät auch in Verdacht, sich die Krawatte im Geschäft binden zu lassen. Deshalb das Rumdrucksen, deshalb immer nur Schardonääääh.

Deswegen wohl sind auf Youtube auch seitenweise linguistische Tutorials zu finden, bei denen von berufenen Kehlköpfen die kniffligsten Rebsorten, Appellationen und Weingüter intoniert werden. Natürlich inklusive eingeblendeter Lautschrift zum Mitschreiben: cab er nay saw vee nyon, shah toe nuf dew pahp. Das Fröhlichste an diesen Trockenübungen sind die Kommentare darunter, in denen von hämischen Italienern und Franzosen zuverlässig gleich neue Sprachfehler aufgedeckt werden. Botschaft an alle verunsicherten Nicht-Europäer: Der geheime Türcode für die Alte Welt besteht aus vielen Accents und bösartig verschluckten Hs.

Dabei ist Allwissenheit in Sachen Wein ein kaum leistbares Unterfangen, finden die beiden Geschäftsführer eines jungen Online-Weinladens, der auf den sehr einfachen Namen " Geile Weine" hört. "Auch ein Sommelier kennt nicht jede Lage und jedes Chateaux und hat die richtige Betonung drauf. Aber es gibt eben in dieser Branche immer noch eine gewisse Aristokratie. Menschen, die mit Namen und Begriffen um sich werfen, weil das für sie Teil des Spiels ist. Das baut natürlich für Außenstehende eine Hürde", sagt Michael Reinfrank. Gerade deshalb ist er mit Partner Sedat Aktas angetreten, die Flaschenwahl einfacher zu machen und die Aufregung um den Wein wieder da beginnen zu lassen, wo sie hingehört: im Glas. Nur gerade mal knapp mehr als 200 Weine haben die Händler im Angebot - jeder einzelne so süffig und simpel beschrieben, dass keine Berührungsangst aufkommen soll.

Problem: Im Restaurant hilft das alles nichts. Als Faustregel für den Moment mit der Weinkarte geben die beiden deswegen den Tipp, dort nach Vertrautem zu spähen - aber dann einen Schritt daneben zu treten. Also entweder aus einer bereits bekannten Weinregion eine andere Rebsorte zu probieren. Oder bei einer bewährten Rebsorte einen neuen Winzer. "Am besten ist, wenn man sich merkt, was einem mal geschmeckt hat. Dann hat man eine Grundlage, die man an den Kellner zurückspielen kann." Ein andere brauchbare Regel praktizieren Heiratsschwindler und Lebemänner seit jeher erfolgreich: einfach immer Champagner bestellen. Der passt zu allem und ist leicht auszusprechen.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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