"Anziehsache" zu Stiefeln:Männer scheuen Schäfte

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...oder bevorzugen sie Beinfreiheit? (Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Sie sind warm, praktisch und in den meisten Fällen äußerst kleidsam: Warum werden Stiefel eigentlich nur von Frauen getragen, und nicht auch von Männern?

Von Lena Jakat

Kennen Sie einen Stiefelknecht? Im Haus meiner Oma hing er hinter dem Kellereingang. Als Kind habe ich mich oft gefragt, wofür dieses Stück Holz mit dem Schwalbenschwanzende wohl gut sein könnte. Eine Handschneefräse? Ein Hühnerhalshalter, für damals, als man die Viecher noch persönlich zum Hackstock tragen musste? Tatsächlich steckt in diese Einkerbung der Stiefelherr traditionell seinen Stiefelfuß, sodass der Stiefel stecken bleibt, der Fuß sich aber in einer sanften und eleganten Bewegung löst. Ohne Zerren und Stöhnen, und meist auch ohne Umfallen.

In den meisten jüngeren Haushalten dürften Stiefelknechte so selten anzutreffen sein wie Rückenkratzer (obgleich beide eigentlich modern in ihrer Single-Freundlichkeit). Das mag daran liegen, dass gerade Städterinnen ihre teuren Louboutin-Stiefel nicht an grobem Holz zerkratzen wollen. Es heißt ja aber auch nicht Stiefelmagd. Die Stiefelknechte sind überflüssig geworden, weil es kaum noch Stiefelherren gibt. Beziehungsweise Herrenstiefel.

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Bei den Frauen dürfte der durchschnittliche Stiefelbesitz bei >1 liegen, Gummi-, Reit- und Skistiefel nicht eingerechnet, Stiefeletten sowieso ausgenommen. Solche knöchelhohen Schuhe gelten bei Herren dagegen schon als das Maximum an Stiefelgefühl, wie eine kurze Recherche in einschlägigen Online-Shops belegt - und eine Woche quantitative Beobachtung (= 0) im öffentlichen Nahverkehr. Ein Leser klagte mir sein persönliches Leid, dass er gerne Stiefel trüge, aber mit dem geringen Angebot und der noch geringeren sozialen Erwünschtheit zu kämpfen habe. Er fühlt sich geknechtet vom Stiefeldogma.

Der Herrenstiefel, so scheint es, wird nur in engen funktionalen Kontexten akzeptiert. Als Gummistiefel zum Angeln, als Motorradstiefel zum Motorradfahren, als Cowboy-Stiefel im Linedanceklub. Für Punks oder Neonazis gibt es Zusatzausnahmen, aber zumindest auf l etztere ist in dieser Hinsicht auch kein Verlass mehr.

Extravaganza an der Wade

Stiefel sind warm, sie schützen Hosenbeine vor Fahrradketten und Knöchel vor dem Knacksen. Jahrhundertelang waren Stiefel die einzige existierende Form des Herrenschuhs. Trotzdem sind sie heute im Alltag für die allermeisten Männer offenkundig eine Unmöglichkeit, eine Extravaganza aus 40 Zentimetern Leder zu viel.

Die meisten Männer meiden in der Mode Exzentrik wie Vampire den Knoblauch. Nun ist die soziale Kleiderordnung für Männer generell deutlich restriktiver, die Chance, sie versehentlich zu verletzen, entsprechend groß. Zudem machen sich Männer oft mehr Gedanken als Frauen darüber, dass sie mir ihrer Kleidung aus Versehen die falschen erotischen Signale an die falschen Empfänger aussenden könnten. Dazu kommt das beschränkte Angebot.

Von einzelnen Farbklecksen abgesehen bleibt der Herrengarderobe nicht mehr als Hosen, Hemden und Pullover in gedeckten Tönen. Prints sind schwierig, Shorts und Sandalen sind schwierig, Schmuck - und Stiefel sowieso. Während Frauen sogar ungestraft in der Männergarderobe wildern, Blazer, Budapester und Krawatten tragen dürfen, werden den Herren nicht mal Stiefel zugestanden.

Was von all den Restriktionen zu halten ist? In den meisten Fällen recht wenig. In Sachen Stiefel überhaupt nichts. Liebe Herren, lasst euch nicht stiefelknechten, macht euch die Schuhwelt untertan! Und wenn ihr für den Anfang der Revolution auf ausrangierte Stiefel eurer Bekannten zurückgreifen müsst. Habt Mut zum Schaft! So schafft ihr nebenbei noch ein paar Arbeitsplätze für ausrangierte Stiefelknechte.

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