Zehnter Weltcup-Sieg:Das Neureuther-Gefühl

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Felix Neureuther, nach seinem deutlichen Sieg beim Slalom in Madonna di Campiglio. (Foto: Getty Images)

Nach seinem zehntem Weltcup-Sieg ist Felix Neureuther der erfolgreichste deutsche Skifahrer.
Dabei konnte er in der Vorbereitung nur wenig trainieren.
Hier geht's zum Ergebnis in Madonna di Campiglio und zu den Weltcup-Ständen.

Von Johannes Knuth, München

Felix Neureuther schaute ein wenig ratlos zu Boden. Wie sollte er das jetzt am besten in Worte kleiden, diese Vorstellung am Montagabend beim Nachtslalom von Madonna di Campiglio? Neureuther hatte ja nicht einfach seinen ersten Weltcup der Saison gewonnen.

Er hatte sich im zweiten Lauf eindrucksvoll von der Konkurrenz abgesetzt, acht Zehntelsekunden trennten ihn von seinem ebenfalls eindrucksvoll starken Teamkollegen Fritz Dopfer, mehr als eine Sekunde von Österreichs Marcel Hirscher, dem Siebten, dem bislang überragenden Techniker des Winters. Dabei war Neureuther, 30, mit einigen Wochen Verspätung in die Saison eingestiegen, der Rücken hatte ihn wiederholt zur Ruhe gezwungen. Und jetzt, rund eine Sekunde vor dem Rest der Welt?

Neureuther schien ein wenig von sich selbst überrascht zu sein, als er über seine Darbietung referierte. "Selbst wenn ich mich nicht gut fühle, im Training oder am Tag davor, ich weiß nicht", sagte Neureuther, er suchte nach Worten, dann sagte er: "Im Rennen ist einfach dieses Gefühl da."

Dieses Gefühl hatte ihn nun wie auf einer Welle ins Tal getragen, zu seinem zehnten Sieg im Weltcup. Der wog freilich etwas schwerer als ein handelsüblicher Weltcup-Triumph. Markus Wasmeier hatte in seiner gesamten Laufbahn neun Weltcups gewonnen, Armin Bittner sieben, Christian Neureuther, Felix' Vater, sechs. Neureuther junior ist nun also mit Brief und Siegel der erfolgreichste deutsche Skirennfahrer im Weltcup-Geschäft. "Ist zwar schön, aber Statistiken interessieren mich relativ wenig", sagte er. Er wirkte glücklich und erschöpft, gezeichnet von einem Jahr, von Erlebnissen, mit denen man vermutlich einen eigenen Jahresrückblick im TV-Abendprogramm gestalten könnte.

Mit dem Slalomsieg in Madonna hat er Markus Wasmeier überholt

Vor dem Abflug zu den Olympischen Spielen war Neureuther mit seinem Auto auf eine Eisplatte geraten und in eine Leitplanke gerauscht. Neureuther reiste mit einem notdürftig auskurierten Schleudertrauma nach Sotschi, er quälte sich zu Rang acht im Riesenslalom, im Slalom war er unterwegs zu einer Medaille, fädelte ein, schied aus. "Eine der unglücklichsten Wochen meiner Karriere", bilanzierte Neureuther.

Zum Saisonfinale in Lenzerheide kam er als Führender in der Slalom- Wertung. Mike Pircher, Hirschers Trainer, steckte den ersten Lauf, er steckte ihn so, dass vor allem der Athlet mit Startnummer Eins begünstigt war. Hirscher trug die Eins, Neureuther die Drei. Am Ende gewann der Österreicher das Rennen und den Slalom-Weltcup. Im Sommer schoss Neureuther beim Krafttraining ein Schmerz durch den chronisch maladen Rücken, er legte seine Vorbereitung weitgehend still, den Auftakt in Sölden ließ er aus. Vor seinem ersten Rennen in Levi richtete er aus, dass er kaum Slalomstunden genommen habe, dass er vielleicht 70 Prozent seiner Schaffenskraft abrufen könne. Er wurde Dritter.

Es ist schon verblüffend, mit welcher Konstanz sich Neureuther schon wieder in die Weltspitze eingereiht hat, wie ein Schüler, der mit wenig Lernaufwand trotzdem Bestnoten schreibt. In sechs Rennen schied er einmal aus, ansonsten wurde er Achter, Fünfter, Dritter, Zweiter, Erster. Die vergangenen acht Slalomrennen beendete Neureuther stets auf dem Podest, saisonübergreifend. "A Wahnsinnsserie", sagt Mathias Berthold.

Berthold arbeitet seit Sommer im Deutschen Skiverband (DSV) als Cheftrainer der Herren, er hatte im Herbst, bei Neureuthers vereinzelten Slalom-Einheiten, bemerkt: "Der Felix hatte schon damals ein gutes Gefühl." Dieses Gefühl also, das Neureuther in Madonna zitierte, dieses Gefühl, dass einem im Wettkampf nichts passieren kann, egal wie vereist der Hang ist, wie schlecht die Vorbereitung war. "Der Felix braucht ja auch nicht viel Training", sagt Berthold, "er hat noch viel Substanz aus den letzten Jahren."

Neureuther galt einst als Fahrer, der sein Können bei Großereignissen nicht abruft - Zeiten, die er längst hinter sich gelassen hat. Er hat die meisten Komponenten des Rennsports ausbalanciert, Ski, Schuhe, Bindung, Psyche. Dank dieser Balance hat sich Neureuther eine beeindruckende Selbstverständlichkeit im Wettkampfbetrieb angeeignet, man könnte auch sagen: ein gutes Gefühl. Neureuther hat gelernt, welche Dosis Aggressivität eine Fahrt verträgt. Im zweiten Lauf verbessert er sich meistens, anstatt wie früher zu überdrehen, das hat ihm eine WM-Silbermedaille in Schladming und nun zehn Weltcup- Siege eingebracht.

Im DSV fragen sie sich manchmal, was möglich wäre, würde Neureuther eine vollwertige Vorbereitung mitmachen. Sie sehen, wie Hirscher seit Jahren Gesamtweltcupsiege und Medaillen aneinanderreiht, und Berthold ist sich sicher: "Der Felix wäre dazu auch in der Lage." Im kommenden Februar verteilen sie in Vail/ USA ein paar WM-Plaketten, nach Silvester beginnt die heiße Phase der Vorbereitung. Neureuther wird sie mit einem guten Gefühl angehen.

© SZ vom 24.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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