Wolfsburg:Im Zustand der Konfusion

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Am Samstag könnte der VfL Wolfsburg den Status als Nummer eins im Norden verlieren - im Duell beim Hamburger SV, dem jahrelang kriselnden Rivalen. Nach einem Sinkflug steht der Klub vor dem Umbruch.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie die Saison für den VfL Wolfsburg begann. Die Erinnerung an den DFB-Pokalsieg war frisch, jene an die folgende Party in einer Berliner Szene-Location mutmaßlich nicht mehr vorhanden, als der VfL auch den Supercup des DFB abstaubte, durch einen Sieg gegen den FC Bayern. Pep Guardiola ärgerte sich so sehr, dass sich in der Rückschau der Eindruck aufdrängt, er habe geahnt, dass man dort nie hätte verlieren dürfen. Weil die Spielzeit 2015/2016 zu der Saison werden würde, in der die Wölfe, nun ja, vor die Hunde gingen. Am Samstag könnten sie auch noch ihren Status als Nummer eins im Norden verlieren - im Duell beim Hamburger SV, dem jahrelang kriselnden Rivalen.

Warum nun der VfL kriselt, ist ein Rätsel, auch wenn es an Erklärungsansätzen nicht mangelt. Nach dem Supercup gingen Kevin De Bruyne zu Manchester City und Ivan Perisic zu Inter Mailand, für viel Geld, das gewinnversprechend reinvestiert wurde. Es kamen Dante vom FC Bayern, Max Kruse von Borussia Mönchengladbach und Julian Draxler vom FC Schalke 04 - man hat schon absurdere Transfers gesehen. Jedoch: Weder konnten sie die Weggänge individuell auffangen, noch war Wolfsburg imstande, eine neue kollektive Idee zu entwickeln.

Die Fußballer vermissen den Förderer Martin Winterkorn

Mal war Dante Architekt seines eigenen Infernos (siehe das 1:5 im Hinrundenspiel beim FC Bayern), mal schickte er seinen Teamkameraden mit einem Tritt in der Wintervorbereitung ins Lazarett (siehe Bas Dost). Draxler brauchte lange, ehe er seine Begabung über die Dauer ganzer Spiele einzubringen vermochte (und tat es dann ziemlich genau ein Mal). Kruses Lebenswandel wiederum wurde derart filetiert, dass es irgendwann egal war, ob es tatsächliche oder vermeintliche Sünden waren, ob sie sich gestern oder in der Bronzezeit zugetragen hatten.

Derweil eskalierte die Lage um Nicklas Bendtner derart, dass der VfL den Vertrag mit dem dänischen Nationalspieler vorzeitig auflöste - zu einem Zeitpunkt, als kaum noch jemandem bewusst war, dass Bendtner noch dem Klub angehörte. Und er den Supercup-Sieg vom August möglich gemacht hatte. Für Unruhe sorgte dafür noch etwas anderes: die Abgas-Affäre des VfL-Mutterkonzerns Volkswagen.

Nicht, dass die VfL-Profis um die Verpestung der Umwelt durch ihre Dienstwagen besorgt gewesen wären; sie fahren gern noch größere und schönere Dreckschleudern, und wenn sie von anderen Herstellern sind, umso besser. Nein: Das Problem war vielmehr, dass Konzernchef Martin Winterkorn zwar nicht von der Payroll, wohl aber aus der Chefetage bei VW wich. Damit ging der Mann, der als der größte firmeninterne Förderer des VW-geförderten Profi-Fußballs galt.

Ansonsten lebte die Mannschaft in einem Zustand der Konfusion. Sie gefiel sich nur in der Champions League. Doch just, als der VfL eine Sensation hätte landen können, verspielte er im Viertelfinale bei Real Madrid den 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel. Darüber durfte sich, immerhin, der VfL-Aufsichtsratschef freuen: VW-Vorstandsmitglied Francisco Javier García Sanz ist ein Hardcore-Fan von Real. Was García Sanz weniger gefallen haben dürfte: Wolfsburgs Sinkflug in der Liga war zuletzt so rasant, dass Trainer Dieter Hecking sich in dieser Woche gezwungen sah, zur Schärfung der Sinne ein Kurztrainingslager am Chiemsee anzuordnen.

Und so toben die Debatten um die Zukunft der lohnabhängig Beschäftigten beim VfL. Hecking soll bleiben, aber Dante und Kruse gelten als Streichkandidaten, der Brasilianer Luiz Gustavo soll mit einem Wechsel nach China liebäugeln, Ricardo Rodríguez gilt als umworben. Wer kommt? Als Zugang für die kommende Saison steht bislang Spielmacher Daniel Didavi vom VfB Stuttgart fest.

Gewinner der Saison ist Geschäftsführer Klaus Allofs aus anderen Gründen: Er konnte den VW-Bossen einen Rekordgewinn melden und das Konzernergebnis stützen. Das ist wichtig: Solange die Nullen auf den Auszügen mit den Bonus-Zahlungen stimmen, erträgt es die VW-Chefetage, wenn auch mal Nullen auf dem Platz stehen.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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