WM-Kolumne: Die Vorstopperin:Fußballmutterland ignoriert seine Töchter

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Alexandra Popp im Pub? No way! Wer in der Fußballstadt London nach bewegten Bildern der Frauen-WM sucht, der kann was erleben: chauvinistische Barbesitzer, verzweifelte Kellnerinnen und peinlich berührte Wettexperten.

Michael König, London

Mandy hat beide Hände voll und trotzdem Verständnis. Mit der einen Hand balanciert sie ein Tablett mit fettigem Essen. Mit der anderen auch. Trotzdem gibt die Bedienung der Sportsbar auf dem Londoner Haymarket bereitwillig Auskunft über das heutige Programm. Den Sonderwunsch ihrer deutschen Gäste, die unschlüssig zwischen Plastikmöbeln und Theke stehen, kann sie aber leider nicht erfüllen.

Der Treffpunkt am Abend für die Menschen in London: die Sportsbar oder ein Pub. (Foto: dpa)

Mandy heißt vermutlich gar nicht so, aber der Name würde zu ihrem Outfit passen. Ihre Arbeitskluft, ein ultraknappes, rotes Cheerleader-Kostüm mit glitzerndem Saum, könnte aus einem Wonderwoman-Comic entsprungen sein. Ihr Haar trägt sie blond gefärbt, mit rostroten Strähnen. Sie sieht aus wie die Kellnerin gewordene Fachkompetenz. Und die fragen wir jetzt: Ob denn auf einem der 45 handgezählten TV-Bildschirmen in dieser Sportkneipenhölle Frauenfußball zu empfangen sei?

Frauenfußball? Mandy ist überrascht. "Yes, the women's world cup, in Germany, you know?" Sie hält inne, die Tabletts mit den triefenden Chicken Nuggets im Griff, und blickt sich um. Ihre Augen wandern an den Flachbildschirmen entlang: Cricket, eine Wimbledon-Partie in der Wiederholung, wieder Cricket, Cricket und noch einmal Cricket.

Cricket! Eine Sportart, bei der kleine Bälle von großen Jungs in anachronistischer Schutzausrüstung auf obskure Hölzer geworfen werden. Und das, während die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft gegen Nigeria vermutlich gerade das entscheidende Tor schießt. Oder steht es schon 5:0? Wir wissen es nicht.

"Sorry, guys", sagt Mandy. "Wir haben hier schon Sportarten gezeigt, die viel abwegiger waren." Ob denn heute schon ein anderer Kunde nach der Frauen-WM gefragt habe? "No, sorry." Und an den vergangenen Tagen? Mandy schüttelt den Kopf, sie muss weiter. Das Fett auf den Tellern wird kalt.

Die Sportsbar auf dem Haymarket war unsere letzte Hoffnung. Begonnen hatten wir unsere Suche dort, wo die Dichte von Fernsehern, Zapfhähnen und alkoholgeschwängerter Luft so hoch ist wie an wenigen Plätzen auf der Welt: in Soho, jenem Londoner Kneipenviertel, in dem sich die Damen und Herren (mehrheitlich Herren) der britischen Hauptstadt nach Feierabend vergnügen - mangels eigener Wohnzimmer und weil es dort zwischen Erotikbuchhandlungen und günstigen Plattenläden so schön ist. Und weil im Fernsehen Fußball läuft. Premier League, Arsenal, Chelsea, Tottenham Hotspurs, you know?

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Für Frauenfußball gelten andere Regeln. Pub nach Pub gehen wir durch, suchen nach bewegten Bildern schwarz-weißer Trikots. Vergeblich: Keine Alexandra Popp im Pub. In der Beak Street wagen wir uns schließlich an die Bar, wo ein Mann mit wenigen Zähnen und schütterem Haar Biergläser poliert.

Ob sich denn in England, dem Mutterland des Fußballs, wirklich niemand für Fußballmütter interessiere? "Nah", sagt der Barmann und versucht ein Grinsen. "Höchstens, wenn sie ihr Trikot ausziehen." Keine weiteren Fragen. Er schickt uns zum Haymarket, in die Sports Bar, "dort zeigen sie jeden Quatsch". Aber auch dort wird uns nicht geholfen.

Auf dem Weg zurück nach Soho kommen wir an einer Filiale von William Hill vorbei, jenem Wettanbieter, der in mehr als 2700 teils schäbigen, aber stets neonbeleuchteten Geschäften die Briten dazu einlädt, ihr Geld in Sportwetten zu investieren.

Der karge Raum wird von einer Glasscheibe dominiert, wie man sie einst aus der örtlichen Sparkasse kannte, als Kundenkontakt noch nachrangig war. Hinter der Scheibe steht Tony und studiert einen Monitor.

"Live Matches" steht dort zu lesen. Live ist gut, die deutschen Frauen spielen gerade jetzt gegen Nigeria. "Oh, really?", fragt Tony. Er scrollt auf seinem Bildschirm herab. Cricket, kein Fußball. Auch bei der Frage nach den Wettquoten für die Frauen-WM muss Tony zunächst passen - was ihn sichtlich peinlich berührt.

In Großbritannien sei das Turnier eben kein Thema, sagt Tony entschuldigend, "vermutlich, weil es am anderen Ende der Welt stattfindet". Mit einigem Erstaunen registriert er, dass die Frauen-WM in Deutschland gespielt wird. "Na dann liegt es vermutlich daran, dass Deutschland das Turnier so einseitig gestaltet."

Er ist mittlerweile hinter seiner Scheibe hervorgekommen und in die hinterletze Ecke seines Büros gegangen. Triumphierend holt Tony ein Blatt mit Wettquoten hervor. Tatsächlich, dort sind die Partien der Frauen-WM vermerkt. Ganz unten, in Schriftgröße sieben. Direkt unter den Hunderennen.

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