WM 2010: Frankreich:Les Blöd

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2006 stand Frankreich im Finale, doch vor der WM in Südafrika kommt kaum Stimmung auf - die Nationalspieler um Franck Ribéry sind selbst im eigenen Land extrem unbeliebt.

Stefan Ulrich

Können Präsidenten lügen? Staatschef Nicolas Sarkozy behauptet, die ganze Nation stehe hinter der französischen Nationalmannschaft. Vielleicht sollte er mal aus dem Élysée-Palast treten und sich auf den Straßen umschauen.

Weit und breit keine Trikolore! Während drüben, beim deutschen Nachbarn, überall Fähnchen an den Autos flattern, haben die Franzosen emotional auf Halbmast geflaggt. Auch Arsène Wenger, dem französischen Trainer von Arsenal London, ist das aufgefallen. "Ich war in Paris und habe keinen einzigen Wagen mit einer französischen Fahne gesehen", moserte er. "Das sagt doch alles."

Nun gut, Wenger ist Elsässer und hofft auf einen WM-Sieg Englands. Dennoch hat er recht: Die Franzosen überraschen mit einem völligen Mangel an Patriotismus. Tristesse liegt über dem Land, nachdem die Bleus die WM-Qualifikation nur dank des handgreiflichen Glücks Thierry Henrys überstanden haben und zuletzt mehr mit einem Sexskandal, internem Gemotze und Presseboykotten auffielen als mit gelungenen Vorstößen auf dem Rasen. Daher glaubt nur eine Minderheit der Franzosen an einen Sieg im WM-Spiel am Freitag gegen Uruguay.

"Wir kommen dann gerne zum Essen"

Sofern sich die Leute überhaupt für das Match interessieren. Die Internetseiten der Zeitungen veröffentlichen lange Veranstaltungslisten für Menschen, die sich besser amüsieren wollen als mit ihrer Nationalmannschaft - etwa bei einem Konzert von AC/DC. Und wenn man als Deutscher in Paris seine Nachbarn für Freitag zu einem bayerischen Abendessen einlädt - zunächst in Unkenntnis des Spielplans - bekommt man von der netten Nachbarin zur Antwort: "Hm, da spielen doch die Bleus ... Aber die reißen ja eh nichts! Wir kommen dann gerne zum Essen."

So tief ist es gesunken, das Land des amtierenden Vizeweltmeisters und eines Zinédine Zidanes, dieses Vorbilds der Jugendlichen aus den Vorstädten. Doch Zidane spielt heute nur noch Tischkicker für eine Werbekampagne des Luxus-Labels Louis Vuitton, während sich seine Nachfolger abgeschottet von Fans und Journaille in einem Fünf-Sterne-Hotel am Indischen Ozean tummeln.

Schändlich sei das, findet die Sport-Staatssekretärin Rama Yade, schließlich durchlebe man Krisenzeiten. Doch Trainer Raymond Domenech rechtfertigte sich: "Diese Anlage gibt den Spielern ein Gefühl von Heimat." Schön müssen die es zu Hause haben, werden sich die Jungs in den Banlieues denken. Domenech dürfte bei ihnen durch diese Äußerungen noch unbeliebter werden, falls das überhaupt noch geht.

Wer singt die Hymne?

So bescheiden ist die Stimmung, dass die Zeitung Le Monde im Internet fragt: "Warum lieben die Franzosen die Blauen nicht mehr?" Die Antworten reichen von Wut bis Langeweile. "Meine Beziehung zu ihnen ist erloschen, wegen all der Enttäuschungen und des Verrats", schreibt Mélanie. "Ich bin ihrer Arroganz in der Niederlage und ihrer gebrochenen Versprechen müde."

Viele Leser beklagen, dieser Nationalmannschaft fehlten Esprit, Emotionen und Kampfgeist. "Außer Ribéry wirken sie so, als gehe sie die Weltmeisterschaft nichts an", kritisiert Christophe. Das seien doch heute alles nur noch Söldner. Andere nörgeln, die Bleus seien zu farbig - und meinen nicht die Spielweise. Ein Leser schreibt: "Der Anteil der Afrikaner erscheint mir zu hoch." Das bemängelt auch der rechtsradikale Front National.

An einen Final-Sieg in Südafrika glauben die wenigsten Franzosen. Der frühere Weltmeister Marcel Desailly meint apodiktisch: "Es ist völlig unmöglich, dass Frankreich Weltmeister wird." Trainer Wenger wiederum bekennt, er gehe in Frankreich immer etwas später ins Stadion, um nicht hören zu müssen, wie die Franzosen ihre Nationalhymne auspfiffen. Selbst die forsche Sport-Staatssekretärin Yade erwartet nicht, dass vor dem Spiel gegen Uruguay alle Spieler der Blauen die Marseillaise singen.

Doch vielleicht reißen sie sich ja doch noch zusammen, stürmen und siegen, bis am Ende dann doch die ganze Nation hinter ihnen steht. "Allons enfants de la Patrie!"

© SZ vom 11.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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