Wimbledon:Lob für den Zweiten

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Kerber fertigt Witthöft ab, Barthel vergibt Sieg, Brown fordert Nadal - der deutsche Auftritt in Wimbledon gleicht einem Gemischtwarenladen.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Am Morgen noch gab es eine interessante Durchsage: Ähnlich wie in Melbourne bei den Australian Open, wo es extrem heiß werden kann, sollte ab diesem Dienstag eine "Heat Policy" greifen. Nur in abgespeckter Variante. Steigt die Temperatur über 30,1 Grad, würde es erlaubt sein, zwischen dem zweiten und dritten Satz zehn Minuten Pause einzulegen, hieß es. Allerdings, und das war erstaunlich, durften nur die Frauen beim Tennisturnier in Wimbledon die Regel für sich in Anspruch nehmen und nicht die Männer, eine Begründung blieb aus. Es spielte aber auch zunächst keine Rolle, die kritische Temperatur wurde haarscharf nicht erreicht, außerdem siegten manche derart schnell, dass sie bei den anschließenden Pressegesprächen fast mehr Zeit benötigten als auf dem Grasplatz. Angelique Kerber erging es so.

Alexander Zverev fühlt sich bei seinem Fünfsatz-Sieg "wie ein Engländer"

In nur 44 Minuten überfuhr die an Nummer zehn gesetzte Kielerin die arme Carina Witthöft mit 6:0, 6:0. "Ich wusste, was auf mich zukommt", sprach Kerber, die mit der Empfehlung ihres ersten Gras-Titels, in Birmingham, nach London gereist war und so etwas wie eine Mitfavoritin ist. Witthöft, 20, die sich auf Rang 53 der Welt gearbeitet hat, wusste diesmal eher nicht, was auf sie zukommt. Im ersten Vergleich zwischen einer aus der etablierten Generation und einer aus der jungen wurden Unterschiede sichtbar. "Einfach weiterspielen", "Erfahrung sammeln", diesen freundlichen Rat gab Kerber, die stets einen Plan hatte, um Ballwechsel abzuschließen. Witthöft hielt mit, viele einzelne Spiele waren umkämpft, aber sie hatte keine Strategie für den letzten gewinnbringenden Schlag.

Aus deutscher Sicht passte dieses grausam klare Ergebnis gut zu den diesjährigen Championships im All England Lawn Tennis and Croquet Club. Wenn man die Leistungen der DTB-Vertreter in einem Begriff bündeln müsste, käme das Wort Gemischtwarenladen der Sache nahe. Es gab tolle Siege, wenn auch nicht so viele. In einem Boxkampf-ähnlichen Gefecht setzte sich etwa Alexander Zverev, 18, gegen den Georgier Teimuras Gabaschwili mit 9:7 im fünften Satz durch und fühlte sich ob der Unterstützung der Fans "wie ein Engländer". Das bizarrste Spiel bestritt Andrea Petkovic gegen Shelby Rogers (USA), die mit Schiene am Knie antrat - 6:0, 6:0. Am Dienstag gewann Dustin Brown aus Winsen/Aller gegen Lu Yen-Hsun aus Taiwan 3:6, 6:3, 7:5, 6:4, er darf nun gegen den Spanier Rafael Nadal antreten. Sabine Lisicki mühte sich gegen die gute Australierin Jarmila Gajdosova, gewann aber 7:5, 6:4. Mona Barthel dagegen unterlag Anastasia Pawljutschenkowa 7:6 (3), 6:7 (4), 2:6, weil sie im zweiten Satz einen Matchball vergab. Sie wäre auf Kerber getroffen, die aber auch gegen die Russin die Favoritin ist. Vor wenigen Monaten noch befand sich die Linkshänderin aus Kiel im Tief, sie holte ihren alten Trainer Torben Beltz zurück, gewann drei Turniere in diesem Jahr und ist sogar, eine kleine Sensation, mit ihrem zweiten Aufschlag - ihrer ewigen Schwachstelle - zufrieden. "Ich habe aber auch viel daran gearbeitet", sprach Kerber und bewies so etwas wie feine Selbstironie. Vielleicht ist diese Lockerheit in ihrem Fall ein gutes Zeichen.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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