Werder Bremens Diego:Zauberer ohne Titel

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Werders gefeierter Spielmacher Diego muss endlich einen Titel gewinnen. Deshalb erklärt er die Spiele gegen den HSV zu den wichtigsten seiner Bremer Zeit.

Ralf Wiegand

Es sind ja nicht nur diese Tore wie jenes, das im Videoportal Youtube bereits mehr als 900000 Mal abgerufen worden ist. Da traf Diego Ribas da Cunha aus 62 Metern ins Netz, es war das 3:1 gegen Alemannia Aachen, ein paar Jahre her. Zu finden sind im Internet massenweise Kunstfreistöße und Übersteiger des brasilianischen Spielmachers von Werder Bremen, alle Varianten seiner Pirouette mit Ball, mit der er sich an den kantigsten Gegnern vorbei zaubert, Pässe gelupft und solche mit der Hacke gespielt.

Werder Bremens Spielmacher Diego: ein Künstler im dritten Programm. (Foto: Foto: dpa)

Die kurzen, schlecht aufgelösten Filmchen zeigen ausschließlich die schöne Seite des Fußballs, der sich Diego, 24, vollständig verschrieben hat. All diese Dinge, die er kann, sind Grund genug für HSV-Manager Dietmar Beiersdorfer, sich in seinen Träumen einen Gegner ohne Diego auszumalen. Er wünsche sich, sagte Beiersdorfer zuletzt, dass noch vor der Best-of-Four-Serie zwischen Bremen und Hamburg die Transferliste eröffnet würde: "Dann wäre Diego schon bei Juventus Turin."

Aber das Spektakel auf dem Platz alleine ist es nicht, was den Bremern fehlen wird, wenn ihr bis 2011 vertraglich gebundener Regisseur dereinst von dannen zieht - es ist der ganze Kerl. Der Topstar ist ja nicht nur auf dem Platz ein Stilist, er weiß auch sonst, was sich gehört.

Während andere Profis selbst im beschaulichen Bremen nicht genug Zeit finden, Manieren zu lernen, sondern nach dem Training stur an ihren nach Autogrammen begehrenden Fans vorbeispurten oder 20 Jahre ältere Reporter neben sich herlaufen lassen wie Dackel, ja die noch nicht einmal Guten Morgen sagen können oder wenigstens zum Gruß mit dem Kopf nicken - unter all diesen Özils und Schnösils ist Diego anders: Bleibt stehen, wenn nach ihm gerufen wird, beugt sich zu den kleinen Fans, um T-Shirts und Fotos zu signieren, gibt Interviews, grüßt höflich, verabschiedet sich freundlich. Superprofis unterscheiden sich von Profis eben auch dadurch, dass sie den ganzen Job machen. Auf dem Platz und daneben.

Bremen, am Montagmorgen. Es ist das vorletzte Training vor dem DFB-Pokal-Halbfinalspiel zwischen dem HSV und Werder, das erste nach dem 1:2 der Bremer bei Hertha BSC Berlin. Diego hatte in der Hauptstadt nicht gespielt, eine Muskelgeschichte. Aber an diesem Morgen im Schatten des Weserstadions läuft er schon wieder zu großer Form auf. Pässe gibt er, die im Trainingsspiel der Reservisten und Maladen sogar aus Jurica Vranjes einen Torschützen machen.

Als das Training zu Ende ist, beginnt wie immer der große Jagd auf den kleinen Star. Der bleibt: gelassen. Während etwa Mesut Özil auf die Frage nach seiner Spielfähigkeit lediglich kaum erkennbar den Daumen hebt, ohne etwas zu sagen, und so schnell Richtung Kabine läuft, dass ihm die aufgeregten Kinder nicht folgen können - Diego schreibt und beantwortet Fragen und stellt sich erwartungsfroh der Größe eines Spiels gegen den HSV, das ganz Werder am liebsten zu einer Lappalie herunter reden würde. Nur Diego nicht: "Für mich ist es das wichtigste Spiel, seit ich in Bremen bin."

Diego mag gelegentlich den Eindruck erwecken, er sei selbstverliebt genug, um sich an seiner eigenen Kunst zu berauschen. Es gab seit seiner Ankunft in Bremen Diskussionen genug in der Mannschaft, wer denn nun von wem besser lebt: Diego von den Kollegen, das Team von ihm? Spätestens in der Endphase dieser Saison, in der Diego die Bremer mit vier Toren in zwei Spielen gegen Udine ins Uefa-Cup-Halbfinale beförderte und mit einer überragenden Leistung in Wolfsburg auch ins DFB-Pokal-Halbfinale, ist die Frage geklärt: Ohne Diego wäre die Saison für den Bundesliga-Zehnten schon jetzt eine verlorene.

Gleichzeitig streichelt der Star mehr denn je die Seele des Teams. "Ohne gute Mannschaft bin ich nichts", sagt Diego vor dem ersten Vergleich mit dem HSV, "und wir haben ein starkes Team." Und das braucht auch der Brasilianer in den womöglich letzten Spielen für diesen Klub. Zwar hat er in Italien durch seine Auftritte gegen den AC Mailand und Udinese Calcio solch nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass ihn die Medien in Bella Italia für "unbesiegbar" halten (Corriere dello Sport).

Schonung für den Star

Jedoch hat Diego in seinen drei Bremer Jahren noch nichts gewonnen. International ist Werder eine Fußnote und Diego trotz persönlicher Glanzleistungen zweimal nicht für die Auswahl seiner Heimat nominiert worden. Es ist, als zaubere David Copperfield im dritten Programm. Als Katalysator für seine Karriere braucht der Einzelkönner Titel. "Ich spiele Fußball, um Champion zu werden", sagt er deshalb. In den Spielen gegen den HSV besteht endlich die Chance, zwei Finals zu erreichen, Champion zu werden, Aufmerksamkeit zu erlangen.

Auch die sportliche Führung verweigert sich der Sonderrolle des Regisseurs nicht länger. So munter, wie Diego Montag und Dienstag trainierte ("Die Verletzung war keine große Sache"), ist kaum zu glauben, dass er nicht auch am Sonntag hätte spielen können. Schonung für den Star. Trainer Thomas Schaaf wehrt sich zwar gegen Anwürfe, Diego bewusst daheim gelassen zu haben, doch nutzt er den Slalom zwischen bedeutungsloser Bundesliga und packendem Pokal gern als Experiment für die Zukunft. In Leverkusen und Berlin gab er die seit Jahren eingeübte Mittelfeldraute auf, weil ihr die Spitze - der Spielmacher - fehlte.

Noch, sagt Werders Sportdirektor Klaus Allofs, sei der Abschied von Diego ja nicht beschlossen: "Wir wollen die Mannschaft zusammenhalten, auch wenn wir keinen internationalen Wettbewerb erreichen." Aber wenn schon Thomas Schaaf sein System modifiziert, dann scheint der Glaube, nach dem genialen Franzosen Micoud und dem zauberhaften Diego ein drittes mal auf der schönen Seite des Fußballs fündig zu werden, nicht sehr ausgeprägt.

© SZ vom 22.04.2009/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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