Vor Fußball-WM in Brasilien:Spiel mit dem Feuer

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Seit Monaten jagt eine schlechte Nachricht die andere: Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft galt eigentlich als Ritterschlag für Brasilien. Doch 50 Tage vor Anpfiff wünschen sich viele, man hätte sich diese Monster-WM erspart.

Von Peter Burghardt

Als Brasilien 2007 die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 zugesprochen bekam, war das ein Fest. Endlich schien das Schöne Spiel, das Jogo Bonito, heimzukehren. Zwar gab es schon damals Stimmen, die an dem aufgeblasenen Turnier der Fifa Zweifel hatten: Er könne sich nicht vorstellen, dass sein Land ein solches Ereignis ausrichte und gleichzeitig seine sozialen Verhältnisse verändere, prophezeite der frühere Mittelfeldregisseur und Querdenker Sócrates.

Doch zunächst feierte das Publikum. Die Vergabe galt als Ritterschlag für Südamerikas Aufsteiger, der zu den großen Volkswirtschaften aufschloss. Ein Finale im Maracanã-Stadion des wunderbaren Rio de Janeiro - unschlagbar. 50 Tage vor Anpfiff allerdings wünschen sich viele, man hätte sich diese Monster-WM erspart.

Die Fifa-Funktionäre führen sich auf wie Kolonisatoren

Seit Monaten jagt eine schlechte Nachricht die andere. Aus Rio de Janeiro werden Schießereien mit Toten gemeldet. Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke gab derweil bei einer seiner Inspektionstouren bekannt, dass die Arena des Eröffnungsspiels am 12. Juni in São Paulo erst im allerletzten Moment fertig werde.

Zwischenzeitlich hatte er den nachlässigen Gastgebern "einen Tritt in den Hintern" empfohlen. Der Fußball-Weltverband Fifa aus Zürich ist jedoch selbst eines der entscheidenden Probleme in dem brasilianischen Drama, denn die Funktionäre aus dem Königreich des Fifa-Patrons Joseph Blatter benehmen sich wie Kolonisatoren. Niemals hätte sich eine Demokratie mit mehr als 195 Millionen Menschen auf die Wünsche dieser undurchsichtigen Sportvereinigung und ihrer Sponsoren einlassen dürfen.

Bereits bei der WM-Generalprobe namens Konföderationen-Pokal im Jahr 2013 wurde die Staatschefin Dilma Rousseff neben dem unbeliebten Herrn Blatter ausgepfiffen, draußen protestierte das Volk. Inzwischen erreicht die Stimmung neue Tiefpunkte, nach Vorfreude muss man suchen. Denn die zwölf Stadien wurden und werden nicht nur verspätet gebaut oder renoviert.

Die WM wird viel Geld verschlingen

Vor allem haben die hektischen, oft schlecht gesicherten Baustellen acht Handwerker das Leben gekostet und horrende Kosten verursacht. Diese WM wird noch mehr Geld verschlingen als jene in Deutschland 2006 und Südafrika 2010 zusammen. Und die Rechnung begleichen keineswegs private Unternehmen, wie der vormalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in der Euphorie versprochen hatte. Zur Kasse gebeten werden Brasiliens Steuerzahler.

Das Debakel zeigt, was passiert, wenn Fifa, Provinzgouverneure und Baufirmen Geschäfte machen. Ohnehin fragt sich, wozu fast fünf Wochen WM zwölf Spielorte brauchen. Schauplätze wie Cuiabá oder Manaus besitzen nicht mal vernünftige Klubs, um nachher die Tribünen zu füllen. Brasiliens Stadien gehören jetzt zu den teuersten der Erde - Schulen und Krankenhäuser dagegen darben. Die Projekte fürs Allgemeinwohl blieben trotz großer Pläne weitegehend auf der Strecke. Flughäfen, Häfen, Straßen und Züge wurden kaum modernisiert. Selbst das einst vergleichsweise beschauliche Rio leidet unter haarsträubendem Verkehr.

Außerdem stockt der Versuch, vor WM und Olympia 2016 strategisch wichtige Armenviertel aufzuräumen. Diese Favelas sind Brasiliens schlechtes Gewissen und bleiben trotz des enormen Aufschwungs im Land der schreiende Kontrast zu den abgesperrten Villenvierteln der Superreichen. Die sogenannte Befriedung von ausgewählten Siedlungen durch Friedenseinheiten der Militärpolizei wird von Krieg begleitet.

Die Brasilianer protestieren wie selten zuvor

Viele Polizisten sind nicht weniger brutal als die Drogenhändler, die sie vertreiben wollen. Die meisten ihrer Opfer sind junge, dunkelhäutige Männer. Das Kommando über das organisierte Verbrechen übernehmen anschließend gern Milizen aus dem Sicherheitsapparat.

Mittlerweile sieht es so aus, als werde die WM-Party militarisiert. Aus Angst vor Kundgebungen und Gewalt hat die Regierung einen Sicherheitsplan entworfen, der den Einsatz der Armee einschließt. Dafür wird ein Vielfaches dessen ausgegeben, was zum Beispiel die Indianerschutzbehörde bekommt. Schon haben Soldaten einen Favela-Komplex besetzt.

Auch deshalb protestieren die Brasilianer wie selten zuvor, das ist die gute Nachricht. Die Proteste gegen Willkür, Verschwendung, Korruption und miese Infrastruktur haben die Republik aufgeweckt, noch dazu vor der Präsidentschaftswahl in diesem Herbst. Schon Sotschi hat gezeigt, dass ein Sportereignis nicht nur der Propaganda dient, sondern auch der Kritik. Auch die WM 2022 in Katar ist bereits eine Bühne, um Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Brasilien kann nun beweisen, dass sich eine Nation ihr Selbstbewusstsein nicht von Gier und fremden Regeln nehmen lässt.

© SZ vom 24.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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