Volleyball-Bundesliga:Zum Heimspiel über die Grenze

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Herrsching und Aachen spielen im Ausland.

Von Sebastian Winter

Die Volleyball-Bundesliga hat ja schon einige Skurrilitäten erlebt, in dieser Saison summieren sie sich aber auf erstaunliche Art. Ein Beispiel: Bei den Männern messen sich gerade Solingen und Rottenburg in einer Play-Down-Serie um den Abstieg. Sollte Solingen am Mittwoch sein Heimspiel verlieren, muss der Aufsteiger als einziger Erstligist gleich wieder zurück in die zweite Liga - theoretisch. In der Praxis ist es nämlich sehr wahrscheinlich, dass Solingen Erstligist bleibt, wenn er es denn möchte (und finanziell kann). Denn die Liga ist nicht voll gefüllt, fast alle Zweitligisten haben zu wenig Geld und daher nicht sehr viel Lust, aufzusteigen.

Rottenburg dagegen verspürt noch weniger Lust auf den Abstieg. Der Turnverein spielt seit zehn Jahren in der ersten Liga, allein schon wegen seiner rosafarbenen Halle und des zeternden Trainerunikats Hans Peter Müller-Angstenberger ist das Team vom Neckar quasi Traditionsverein, wenn auch ein mäßig erfolgreicher. Vor vier Wochen ist allerdings Rottenburgs Hauptsponsor abgesprungen, was schlecht für den Klub ist, weil er nun um seine Existenz fürchtet. Rottenburgs Image dürfte das nicht wirklich schaden, der Hauptsponsor war der Kopp-Verlag, der neben viel Glaskugel-Geblubber auch eindeutig rechtslastige Autoren respektive Bücher im Portfolio hat. Zuträglich für das Image der Liga wäre der Rückzug des TVR aber sicher nicht, zudem müsste sie einen weiteren Erstligaplatz besetzen.

Im Herbst hatte sie ja schon verzweifelt eine Wildcard-Lösung für die kommende Saison initiiert, die selbst für Kreisligisten gilt - sollten sie einen potenten Sponsor und eine passende Sportarena finden. Husum, der bislang einzige Interessent, hat zehn Tage vor der Antrags-Deadline kein Geld, aber die regelkonforme Halle.

Herrsching reist mit Zwölftonner an, Aachen mit Schiri-Stuhl

Das Thema Halle ist ein gutes Stichwort, denn es führt unmittelbar zu einer absoluten Premiere im deutschen Volleyball: Aachens Frauen, die Ladies in Black, und Herrschings Männer, der geilste Club der Welt, tragen ihre "Heimspiele" im Playoff-Viertelfinale an diesem Mittwoch im Ausland aus. Der Grund ist so banal wie weitreichend: Beider Hallen sind nicht playoff-tauglich, zu niedrig, zu klein. So reist Aachen für die Partie gegen den Spitzenklub Schwerin 50 Kilometer weiter ins Städtchen Maaseik, wo ein Champions-League-gestählter (Männer-) Erstligist samt 3000-Zuschauer-Halle ansässig ist. Die Herrschinger nehmen für ihre Partie gegen die United Volleys Rhein-Main immerhin knapp 130 Kilometer nach Innsbruck in Kauf. Dort spielt der österreichische Dauermeister Hypo Tirol, mit dem sie befreundet sind, am Mittwoch dann im Vorprogramm der Herrschinger sein Playoff-Halbfinale. In ihrer unmittelbaren Umgebung fanden beide Bundesliga-Klubs keinen geeigneten Ersatz, für die nahegelegenen Arenen in Köln beziehungsweise München hätten sie horrende Mieten zahlen müssen.

Die Herrschinger, die sich in ihren Lederhosen-Trikots gerne als Kämpfer gegen das Establishment sehen und zugleich eine kreative Marketing-Abteilung haben, chauffieren nun für dieses eine Spiel fast ihr gesamtes Hallen-Interieur mit einem Zwölftonner nach Österreich: LED-Banden, Lautsprecher-Anlagen, DJ-Pult, Spieler-Einlauftor. Zwei Reisebusse, vollgepackt mit Fans, sollen am Mittwoch nachkommen. Auch der König, Herrschings Hallensprecher, reist ins einstige Kaiserreich ein. Vermarkten lässt sich das schon ganz gut. Nach dem Spiel fahren Fans, Spieler und auch der geräuscharme Lkw samt Ladung sofort zurück - geräuscharm deshalb, weil in Österreich ein Nachtfahrverbot für normale Brummis gilt. Die Aachenerinnen haben einen anderen Ansatz: Grenzüberwindung im Dreiländereck. Sechs Spielerinnen und das Trainerteam stammen aus Holland, dass Maaseik in Belgien liegt, geschenkt. "Wir machen aus der Not eine Tugend", sagt Aachens Geschäftsführer Bastian Heckert, überhaupt habe in Maaseik noch nie ein hochklassiges Frauenteam gespielt. Das Interieur nehmen die Ladies im Kleinbus mit, das meiste ist - im Gegensatz zu Innsbruck - schon am Ort. Nur den Schiedsrichterstuhl müssen sie selbst im Kleinbus mitbringen, denn der braucht eine Prüfplakette der deutschen Liga; jener in Maaseik ist Marke Eigenbau.

Alles ganz lustig eigentlich, wenn's nicht so traurig wäre. Denn Aachen, einst aus den Scherben Alemannias hervorgegangen und 2016 kurz vor der Pleite, kämpft wie Herrsching um jeden Euro. Und gibt ihn nun, weil die Liga sich flugs professionalisieren will, für diesen Umzug wieder aus. "Vorsichtig formuliert", sagt Heckert, "ist das alles für den Arsch."

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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