Viktoria Rebensburg vor Olympia:Die Gejagte kehrt als Jägerin zurück

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Es läuft noch nicht alles wieder glatt bei Viktoria Rebensburg. (Archivbild) (Foto: dpa)

Bei Olympia in Vancouver gewann Viktoria Rebensburg überraschend Gold, viele sehen sie als Favoritin für Sotschi. Doch die 24-Jährige hat Wochen im Krankenbett hinter sich. Wie es um ihre Form steht, weiß selbst sie nicht.

Von Michael Neudecker, Cortina d'Ampezzo

Viktoria Rebensburg hat das Video von Vancouver auf ihrem Laptop dabei, kann sein, dass sie es sich noch mal anschaut, irgendwann in den nächsten Tagen. "Aber ich weiß es nicht", sagt sie, "vielleicht mach' ich's auch nicht", es ist ja so: Vancouver ist vier Jahre her, und vier Jahre sind eine lange Zeit im Leistungssport. Außerdem: Viktoria Rebensburg ist Profisportlerin, und Profisportler schwelgen nicht. Nicht jetzt, kurz vor den nächsten Olympischen Spielen.

Sehenswert ist das Video von Vancouver allerdings schon, immer noch: In Vancouver 2010 ist Viktoria Rebensburg Olympiasiegerin im Riesenslalom geworden, sie war eine unbekannte 20 Jahre alte Skirennfahrerin vom Tegernsee, die diese Bilder lieferte, die Olympia so schön machen. Im Fernsehen werden die Bilder deshalb vielleicht auch bald noch mal zu sehen sein: wie sie da im Ziel stand und zusah, wie eine Favoritin nach der anderen an ihrer Bestzeit scheiterte; wie sie immer wieder den Kopf schüttelte, fassungslos, und wie sie dann bei der Siegerehrung am Abend aufs Podest sprang, die Faust ballte und mehrere Aufwärtshaken in die Luft schlug; wie sie schier explodierte vor Glück.

Der Olympia-Riesenslalom 2010 war das erste größere Rennen, das Viktoria Rebensburg gewann, ihr erstes Weltcuprennen gewann sie erst zehn Monate später.

In Sotschi 2014 ist Viktoria Rebensburg die Favoritin, diejenige, die in den Jahren nach Vancouver die Szene dominierte, eine, die alle Trainer und Berichterstatter auf dem Zettel haben, wenn es um die Medaillenanwärter geht. In Sotschi 2014 ist alles anders als in Vancouver 2010.

Oder?

Viktoria Rebensburg ist gerade in Cortina d'Ampezzo, hier sollen in den kommenden Tagen Weltcup-Rennen stattfinden; jedenfalls, wenn es irgendwann aufhören sollte zu schneien. Wegen des Schnees ist die Abfahrt vom Sonntag abgesagt worden , der Super-G soll nun kommende Woche ausgetragen werden. Es ist, als habe der Himmel beschlossen, den ganzen Schnee, der sich um diese Jahreszeit normalerweise über mehrere Bergregionen verteilt, über Cortina abzuladen (was wiederum das italienische Fernsehen derart überraschte, dass es statt des Trainings qualitativ grenzwertige Schwarz-Weiß-Bilder der Fußball-WM 1962 zeigte).

Die Rennen von Cortina wäre das drittletzte vor Olympia, in der nächsten Woche werden hier die wegen Schneemangels in Garmisch nicht durchführbaren Rennen ausgetragen, danach stehen noch ein Slalom und ein Riesenslalom in Maribor auf dem Programm (sollte es dort irgendwann noch anfangen zu schneien). Drei Wochenenden noch, um in Form zu kommen, höchstens. Das ist nicht viel, wenn man gerade gar nicht weiß, wie die Form ist.

Viktoria Rebensburg hat ein paar unangenehme Wochen hinter sich, erst hat sie eine virale Infektion geschwächt, zu der dann noch eine bakterielle hinzukam, in der Medizin heißt das "Superinfektion", daraus wurde eine Lungenentzündung. "Ich war daheim auf der Couch", sagt Rebensburg, "und mein Tagesablauf war nur noch von den Fragen bestimmt: Was nehm' ich, was hab' ich schon genommen, wann ist der nächste Termin beim Arzt?" Sie hat ein paar Rennen ausgelassen und sich bei ein paar den Berg hinuntergequält, zwischenzeitlich, sagt sie, "hatte ich echt Sorgen, ob ich überhaupt wieder auf die Beine komm'".

In der aktuellen Saison hat sie wegen des Infekts nur zwei Riesenslalom-Rennen bestreiten können: In Sölden, beim Auftakt, wurde sie gesunde Dritte, in Lienz, kurz vor dem Jahreswechsel, wurde sie auch wegen des Infekts nur 24.

Aber jetzt sieht es ganz gut aus, sie ist wieder einigermaßen gesund, kann regelmäßig und in normalem Umfang trainieren. In der vergangenen Woche hat sie zuerst am Götschen und auf der Reiteralm Riesenslalom trainiert, dann in Haus und in Wagrain Super-G. Die Speed-Rennen in Cortina auszulassen, um Kraft für ihre wichtigste Disziplin zu sparen, das, sagt Rebensburg, sei nicht infrage gekommen: "Es ist wichtig, sich wieder an den Wettkampf zu gewöhnen", in diese Stimmung zu kommen, die in den Tunnel führt, in dem es nur Skirennen gibt und sonst nichts.

Und: Cortina ist für Rebensburg ein guter Ort für ein Comeback. Vor einem Jahr gewann sie den Super-G hier, es war ihr erster Weltcup-Sieg in dieser Disziplin.

Cortina ist für Viktoria Rebensburg, wenn man so will, nun der erste Schritt auf einem Weg, an dessen Ende sie wissen wird, wo sie steht. Der Olympiasieg 2010 hat eine Welle unter Viktoria Rebensburg erzeugt, die sie zwei Jahre lang trug, aber keine Welle läuft ewig. In den vergangenen zwei Jahren war sie nicht mehr selbstverständlich die Beste, es gewannen immer häufiger andere, und der ganz normale Alltag eines Skirennläufers holte sie ein: Bei der Ski-WM in Garmisch fuhr sie grippegeschwächt auf Rang neun, bei der WM in Schladming wurde sie von einer Rippenprellung behindert gar nur Elfte.

In diesen zwei Jahren, sagt Rebensburg, "hab' ich lernen müssen, dass es in Sotschi wahrscheinlich andere Favoriten für die Medaille gibt". Ihre Rolle hat sich in dieser Zeit verändert: "Ich bin jetzt nicht mehr die Gejagte, sondern wieder die Jägerin." Fast so wie damals, in Vancouver.

Viktoria Rebensburg findet diese Rolle "spannend", und das ist sie tatsächlich: Weil im Moment niemand genau weiß, wie die Jagd ausgehen wird.

© SZ vom 18.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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