Videobeweis bei der Handball-WM:Von der Revolution überrumpelt

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"Ich brauche sie nicht" Silvio Heinevetter, r., zur neuen Torlinientechnik im Handball. (Foto: dpa)

Erst unmittelbar vor dem Turnier haben die Teams erfahren, dass bei der Handball-WM in Katar ein Videobeweis eingeführt wird. Er umfasst Torlinientechnik und versteckte Fouls. Alle finden es gut - nur der deutsche Torwart Silvio Heinevetter nicht.

Von Joachim Mölter, Doha

Der Handball-Torhüter Silvio Heinevetter aus Berlin hat sich in seiner Branche den Ruf eines gewissen Querkopfs erarbeitet; dem ist er nun bei der WM in Katar wieder gerecht geworden, als er zur Torlinientechnik in seinem Sport befragt wurde. Als "interessant, aber gewöhnungsbedürftig", befand er die Neuerung, aber: "Ich brauche sie nicht."

Alle anderen wollen sie jedoch haben, Heinevetters Klub- und Bundestrainer Dagur Sigurdsson findet sie beispielsweise "absolut top". Obwohl alle von der Einführung durch den Weltverband IHF ziemlich überrumpelt worden sind. Die Revolution kam überraschend.

Erst bei der technischen Besprechung unmittelbar vor dem Turnier sind die Verantwortlichen der 24 Teams informiert worden, dass in Doha das sogenannte "Video Referee Assistance System" einer französischen Firma eingesetzt wird, vor allem um strittige Torszenen zu klären, aber auch bei rot-würdigen Fouls. Das System ist speziell für Handball entwickelt und erstmals bei der Junioren-WM 2013 in Bosnien-Herzegowina getestet worden.

Unter der Torlatte sind Kameras angebracht, verstaut in kaum sichtbaren, aber stabilen Boxen; mit den Kamerabildern lässt sich feststellen, ob ein Ball zu hundert Prozent hinter der Linie war oder eben nicht. Eine weitere Kamera auf Höhe der Mittellinie fängt Szenen auf dem ganzen Feld ein - wie Fouls hinter dem Rücken der Schiedsrichter.

Ein kurzer Blick reicht

Zu den Spielern drangen all diese Informationen zunächst nicht vor. "Wir wussten von nichts", versichert der deutsche Keeper Carsten Lichtlein. Er bekam das erst mit, als die Videoüberprüfung einer Torszene im Auftaktspiel gegen Polen (29:26) zum ersten Mal angewandt wurde. In der zweiten Halbzeit hatte Lichtlein im Fallen den Ball noch aus der Luft gefischt - Tor oder nicht Tor? Auf der Tribüne gingen die Meinungen auseinander, je nach Perspektive auf das Spielfeld.

Ein kurzer Blick des zuständigen Beobachters hinter dem Kampfrichtertisch in seinen Laptop reichte, um die Schiedsrichter zu bestätigen: Tor!

Carsten Lichtlein fand es zwar "komisch, dass es plötzlich eine Auszeit gab", aber die war so kurz, dass sie kaum auffiel. Und obwohl die Entscheidung gegen ihn war, fand er den Videobeweis prinzipiell "schon eine gute Sache, wenn's drauf ankommt. Zum Glück war's nicht entscheidend". Auch der deutsche Teammanager Oliver Roggisch war angetan von dem System: "Auch wenn's jetzt gegen uns war - es macht den Schiedsrichtern vieles leichter und den Sport fairer."

Nur allzu oft sollte man das System nicht zu Hilfe nehmen, findet Roggisch. Aber das hat die Technische Kommission der IHF ganz gut geregelt für den Anfang: Spieler und Trainer dürfen die Überprüfung einer Szene nicht beantragen, das dürfen bloß die Schiedsrichter auf dem Feld und der Oberschiedsrichter am Zeitnehmertisch, der sogenannte "Supervisor"; und die dürfen das auch nur in genau festgelegten Situationen. "Das System ist dazu da, den Schiedsrichtern zu helfen", sagt Ramon Gallego, Mitglied der Technischen Kommission des Weltverbandes, "nicht dazu, ihre Entscheidung zu ändern." Sobald das Spiel wieder angepfiffen ist, kann keine Entscheidung mehr rückgängig gemacht werden.

Nur Silvio Heinevetter ist nicht überzeugt

Der deutsche Schiedsrichter Lars Geipel, der mit seinem Kompagnon Marcus Helbig bei der WM in Doha im Einsatz ist, sagt über die technische Hilfe: "Was Besseres kann man sich nicht vorstellen. Das wird das Verhältnis zu Spielern und Trainern verbessern, weil man unnötige Diskussionen vermeidet."

Bei den Spielern kommt das Videosystem überwiegend gut an, auch wenn Steffen Weinhold zu bedenken gibt: "Für die Fußballer hat solch eine Technik natürlich eine viel größere Bedeutung. Dort fällt oft nur ein einziges Tor, das über Sieg und Niederlage entscheidet." Im Handball fallen zwar wesentlich mehr Tore, aber auch dort gibt es Spiele, in denen ein Tor den Ausschlag gibt, wendet sein Teamkollege Michael Kraus ein. Für ihn ist es jedenfalls "eine sinnvolle Sache".

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Von Joachim Mölter

Silvio Heinevetter überzeugt das alles nicht. "Beim Handball ist es nicht wie im Fußball, dass ein Ball, der auf der Linie lang schlendert, Spiele entscheidet", sagt er: "Das kann auch mal im Handball passieren, aber nicht in dem Maß." Dass Heinevetter das objektive System nicht mag, liegt aber vielleicht auch daran, dass er gern mit den Unparteiischen diskutiert.

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