VfL Wolfsburg:"Dann ist er hier falsch"

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Grimmiger Blick, aber beim Feiern gut ins Team integriert: Wolfsburgs Torschütze Bas Dost (li.). (Foto: Matthias Koch/imago)

Vor dem Gastspiel beim FC Bayern hängt in Wolfsburg der Haussegen schief: Trainer Dieter Hecking ledert gegen seinen Doppeltorschützen Bas Dost.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Es geschieht vergleichsweise selten, dass sich Fußballtrainer in ihren Bundesliga-Pressekonferenzen zur Heldenbeschimpfung hinreißen lassen. Das liegt in der Natur der Sache: Die oberflächlichsten Emotionen plaudern sie in so genannten Field-Interviews weg, den Rest tragen sie durch oft unergründliche Gänge schier unendlicher Stadionkatakomben und duschen sie dann mitunter einfach weg. Auf den Podien der Pressesäle sitzen deshalb oft Menschen, die mit ihren Ebenbildern vom Schlusspfiff nur noch äußerliche Ähnlichkeiten aufweisen. Umso bemerkenswerter war, was nach dem 2:0-Sieg des VfL Wolfsburg gegen Hertha BSC geschah.

Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking lief im Presseraum der Arena unvermittelt Sturm gegen die Heldenbilder, die sich in den Köpfen der Anhänger seiner Mannschaft geformt hatten. Ein Lob für den Matchwinner Bas Dost, Schütze der beiden Tore? Der solle mal besser "seine Einstellung zur Mannschaft überdenken", wetterte Hecking und klang dabei so, als wollte er den Medien auftragen, diesem Dost einen Gruß zu übermitteln; jenen, den Goethe im Götz von Berlichingen notierte. Ausgerechnet drei Tage vor der Visite in München, wo die Wolfsburger beim Tabellenführer FC Bayern den Abstand von vier Punkten auf die Spitze verkürzen möchten, hängt an der Aller der Haussegen schief.

So einen Egoismus brauche man nicht, meint Hecking

Der Grund für Heckings Groll war Dosts Verhalten in den 72 Stunden vor der Partie gegen die Berliner. Dost hatte da einer völlig unterschätzten Form der Aggression gefrönt: der stillen Aggression. Nachdem der Niederländer am Dienstag beim Champions-League-Auftakt gegen ZSKA Moskau (1:0) wegen mauer Leistung ausgewechselt worden war, lief der 26-Jährige offenbar drei Tage lang herum, als trainiere er für eine Klausur im Mönchskloster. Er sagte: kein Wort, obwohl sein Name auf die Pflanzengattung der Lippenblütler zurückzuführen ist. "Als ob man ihm das Spielzeug weggenommen hätte", grantelte der Coach, der auch deshalb sauer war, weil er seine Entscheidungshoheit untergraben sah. Es müsse ja wohl möglich sein, einen Spieler auszuwechseln, wenn es aus sportlichen Gründen angezeigt sei, echauffierte sich der Coach. Und überhaupt: Dosts Platz in der Startelf sei an Mittelstürmer Nicklas Bendtner gegangen, weil der Däne, der dann in der 70. Minute gegen Dost ausgewechselt wurde, besser trainiert hatte. Sollte Dost Vorbehalte haben, bitte: "Dann ist er hier in Wolfsburg falsch." Denn: "Diesen Egoismus, den brauchen wir hier nicht."

Das Problem mit dem Egoismus des Torjägers aber ist generell, dass er gewissermaßen existenzbegründend ist. Im Falle von Dost kommt hinzu, dass ihm die technische Finesse fehlt, um so großzügig und solidarisch mit seinen Nebenleuten umzugehen wie ein Karim Benzema von Real Madrid. Dost passt eher in die Reihe der Stürmer, die von irrationaler Selbstsucht getrieben sind. Der frühere argentinische Nationalspieler Roberto Perfumo bekannte nach seiner Karriere einmal, in den Siebzigern in einem Spiel von River Plate gegen Boca Juniors zu Gott gebetet zu haben, dass ein Mitspieler die Chance zum 2:0 vergibt: "Mir allein sollte der Ruhm gehören, den Clásico entschieden zu haben." Der Italiener Giorgio Chinaglia, der am Ende seiner Karriere bei Cosmos New York spielte, enervierte sogar den berühmten Pelé. Als Chinaglia zum wiederholten Mal aus unmöglichem Winkel den Abschluss gesucht hatte, statt auf Pelé zu passen, beschwerte sich der Brasilianer und wurde rund gemacht: "Wenn ein Giorgio Chinaglia aufs Tor schießt, dann deshalb, weil Chinaglia weiß, dass es ein Tor werden kann", brüllte Chinaglia. Jene, die der Szene sahen, behaupten, dass Pelé fast weinte.

Nun wäre es übertrieben zu behaupten, dass Dost in jeder Hinsicht ein Wiedergänger des Chinaglia wäre. Es ist eher unwahrscheinlich, dass er einen Revolver im Handschuhfach mit sich herumfährt oder Whisky, Zigaretten und einen Seidenanzug im Spind hat. Aber einen Hang zur Selbstliebe wird er sich nicht mal selbst absprechen.

Nach dem Spiel freilich gab er sich nonchalant und generös: Ob über 90 oder in 15 Minuten - er gebe immer alles, sei "immer heiß" und strebe stets nach der besten Lösung im Sinne des Teams. Dieser Leitgedanke habe auch seinem Rüffel für seinen Spielkameraden David Caliguri zugrunde gelegen: Nachdem der Deutsch-Italiener den Ball zum 1:0 aufgelegt hatte und auf Dost zum Jubel zugelaufen war, brüllte Dost auf ihn ein, nach dem Motto: "So wird das gemacht." Auch das hatte eine Vorgeschichte aus dem Spiel gegen Moskau: Da habe Caliguri in vergleichbarer Lage den Abschluss gesucht - und nicht ihn, Dost.

Andererseits zeigte sich Dost aufrichtig überrascht darüber, dass ihm der (erneut überzeugende) Julian Draxler den Ball überließ, als der Elfmeter zum 2:0 ausgeführt werden musste (88.). Diese Episode passte nur zu gut zur These von Dost, dass das Schöne am Fußball darin bestehe, dass man diskutieren könne, so wie er es am Sonntag dann auch mit seinem Trainer tat, und danach wieder alles in Ordnung sei, wie auch Hecking ("das Thema ist jetzt aus der Welt") befand.

Oder doch nicht? Interessant wäre es ja schon, wenn jemand die offenkundigen Flüche entziffern sollte, die der Däne Bendtner Richtung Trainerbank ausstieß, als er für Dost ausgewechselt wurde. Dänische Lippenleser: Bitte melden!

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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