VfB Stuttgart:Nur noch kurz die Welt retten

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In den vergangenen Spielzeiten war Daniel Didavi stets rechtzeitig aus Verletzungspausen zurück, um den VfB zu retten. Jetzt ist er gesund, aber es liegt noch mehr Last auf ihm.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Vor zwei Jahren hat es Daniel Didavi am 30. Spieltag getan, vor einem Jahr hat er sich den 32. Spieltag ausgesucht. Vor zwei Jahren schoss er ein Tor in Mönchengladbach, vor einem Jahr traf er gegen Mainz. Das eine Tor schoss er aus sechs, das andere aus 30 Metern, die Tore hatten nicht viel gemeinsam, außer eines natürlich: Es waren die Tore, die dem VfB Stuttgart im Abstiegskampf das Leben retteten. Vor zwei Jahren dauerte es bis zum 33. Spieltag, bis der VfB endgültig sicher war, auf dem Weg dahin hat Didavi weitere Tore vorbereitet. Und vor einem Jahr musste der VfB bis zum 34. Spieltag auf die Erlösung warten, 0:1 lag die Mannschaft in Paderborn hinten, bis Didavis Tor zum 1:1 die Wende erzwang. Am Ende siegte der VfB mit 2:1, und alle huldigten Huub Stevens, dem Mann, der das Schicksal wieder einmal bezwungen hatte.

Huub Stevens kann nicht mehr helfen, wenn an diesem Wochenende wieder mal ein 32. Spieltag anbricht. Sowieso hatte er sich zuletzt ja beim Feind verdingt, er hat vorübergehend versucht, die TSG Hoffenheim aus dem Keller zu knurren. Der VfB muss es ohne Stevens schaffen beim Kellerduell am Montagabend in Bremen, richten muss es wohl wieder der Mann von der unfreiwilligen Feuerwehr: Daniel Didavi - jener Spieler, der sich in den letzten beiden Jahren zu einer Art Huub in kurzen Hosen entwickelt hat. Immer wenn's ernst wurde im Abstiegskampf, ging's dem ewigen Knie-Patienten zumindest vorübergehend so gut, dass er seine Verletzungspausen kurz unterbrechen konnte; fast ohne Training haben ihn die Trainer ins Getümmel geworfen, er hat 60 Minuten durchgehalten und in dieser Zeit mal kurz das ein oder andere Wunder bewirkt.

Didavi sitzt in einem Presseraum auf dem VfB-Gelände, und er muss selber den Kopf schütteln, wenn er an die jüngere Vergangenheit denkt. Er wisse ja selbst nicht, warum das so sei, sagt er, "aber ich hab' nach den langen Pausen kaum gefremdelt, ich war auch ohne Kondition und Spielpraxis sofort wieder auf meinem Niveau. Vielleicht liegt das daran, dass meine Karriere schon mal auf dem Spiel stand, dass ich schon mal an dem Punkt war, an dem ich gedacht habe: Ich will einfach nur ohne Schmerzen kicken können, und wenn's nur mit den Kumpels auf dem Bolzplatz ist. Mit dieser Lockerheit hab' ich meinen Teil zum Klassenerhalt beitragen können, vielleicht hab' ich den ein oder anderen damit angesteckt."

Stuttgarts Überflieger: In dieser Saison bejubelte Daniel Didavi gemeinsam mit Trainer Kramny furios das Siegtor gegen den HSV. (Foto: Ulmer/Imago)

Nichts könnte der VfB im Moment dringender brauchen als diese Art von Lockerheit, aber Didavi ist im Moment selber auf der Suche. Er muss ja gerade nicht nur Didavi sein, ein Spielmacher, der scharfe Pässe schlagen, knackig schießen und sogar herzhaft grätschen kann. Im Idealfall sollte Didavi zurzeit auch noch den verletzten Daniel Ginczek als Torjäger ersetzen und die ebenfalls verletzten Serey Dié und Kevin Großkreutz als Antreiber, Mitreißer und Organisatoren des Widerstands. Er würde schon gern wieder locker sein, aber es ist im Moment alles ein bisschen viel verlangt. Daniel Didavi muss gerade die Welt auf seinen Schultern tragen.

Didavi quält sich, aber damit kennt er sich aus. Seine Geschichte ist vielleicht die kurioseste, die die Liga gerade zu erzählen hat. Dieser Spieler hat alles, was ein Spieler auf seiner Position braucht, mit etwas mehr Glück oder auch nur etwas weniger Pech hätte er es vielleicht in die Ahnenreihe seines Klubs geschafft. Der VfB hatte wundervolle Zehner, Hansi Müller, Asgeir Sigurvinsson, Krassimir Balakov, und es ist herrlich sinnlos und zugleich herrlich verführerisch, darüber nachzudenken, wie ein Didavi mit intaktem Knie die jüngere Vereinsgeschichte verändert hätte.

"Klar kann man sich fragen: Wo wär' ich heute und wo wär' der VfB, wenn ich nicht ewig verletzt gewesen wäre?", sagt Didavi selbst. Mögliche und herrlich unbeweisbare Antwort: Didavi wäre Nationalspieler und Weltmeister. Und der VfB wäre ein Klub, der nicht immer am 32. Spieltag besorgt schauen muss, wie die anderen Abstiegskandidaten gespielt haben.

Vier Jahre ist es jetzt her, dass Didavi aus der Karriere fiel, kurz bevor sie richtig begann. Die Stuttgarter hatten ihn nach Nürnberg verliehen, Didavi spielte dort scharfe Pässe, schoss knackig und grätschte herzhaft, und beim VfB freuten sie sich schon auf die Rückkehr ihres U 21-Nationalspielers. Nach Saisonende, in einem letzten Freundschaftskick für Nürnberg, zog Didavi sich eine schwere Knorpelverletzung zu. Es war der Tag, an dem er vom Spitzentalent zum Teilzeit-Genie wurde.

In der Vorsaison traf Daniel Didavi im entscheidenden Spiel in Paderborn. (Foto: Avanti/imago)

Er wurde operiert, fiel sieben Monate aus, kehrte kurz zurück, wurde wieder operiert, fiel fast ein Jahr aus, rettete den VfB kurz vor dem Abstieg, verletzte sich am Oberschenkel, kehrte kurz zurück, erlitt eine Reizung im bösen Knie, rettete den VfB vor dem Abstieg. Jetzt ist er 26 und weiß selbst nicht, ob er nun ein altes Talent oder ein junger Routinier ist.

"In meiner Karriere fehlt einfach dieser Entwicklungsschritt, den man normalerweise macht: der Schritt vom Talent zum gestandenen Profi", sagt Didavi. "Diesen Schritt hab' ich einfach übersprungen. Ich war erst ein Talent, dann war ich drei Jahre verletzt, und dann war ich plötzlich ein gestandener Profi, den andere Klubs umwerben. Ich denk' manchmal: Du bist wirklich schon 26? Das fühlt sich gar nicht so an. Ich fühle mich gar nicht erfahren."

Drei Spiele noch, dann trennen sich die Wege der Partner, die das Schicksal eigentlich füreinander bestimmt hatte. Didavis Vertrag läuft aus, er wird zum VfL Wolfsburg wechseln, zum Trainer Dieter Hecking, bei dem er einst in Nürnberg einfach nur ein gesundes Talent sein durfte. "Dabei verbringe ich mein Leben, seit ich denken kann, mit dem VfB", sagt Didavi. Als Siebenjähriger hat er an einem Probetraining teilgenommen, weil es für alle Teilnehmer Freikarten fürs nächste VfB-Heimspiel gab, natürlich haben sie ihn gleich dabehalten. Didavi hat alle Jugendteams durchlaufen, als Bub hat er das magische Dreieck Elber/Bobic/Balakov zaubern sehen, und als der VfB 2007 Meister wurde, stand der B-Jugendspieler Didavi in der Kurve. Es ist die bitter-ironische Pointe unter Didavis VfB-Karriere, dass er und sein Lieblingsverein sich ausgerechnet nach jener Saison scheiden lassen, in der er endlich mal gesund war.

Dortmund und der FC Bayern haben ihn interessiert verfolgt, jetzt wechselt er nach Wolfsburg

"Wenn ich jünger wäre, hätte ich mir gern die Zeit genommen, auf die Entwicklung des VfB zu warten", sagt er, "aber ich bin 26, ich will mir später nicht vorwerfen müssen, eine Chance verpasst zu haben." Nach der spektakulären Aufholjagd Ende der vorigen Saison hat er kurz gehofft, dass aus Didavi/Kostic/Ginczek vielleicht mal ein neues magisches Dreieck werden könnte, "aber diese Saison sind wir gleich wieder in einen Strudel geraten, die Stimmung wurde bald wieder negativ. Das hat meine Entscheidung sicher beeinflusst". Auch die großen Klubs haben seine herausragenden Fähigkeiten gesehen, die Dortmunder haben seinen Weg verfolgt, selbst beim FC Bayern haben sie überlegt, ob dieser Kerl mit seinen bisher elf Saisontoren nicht einer wäre, den man in der Champions League für Thiago einwechseln kann. Aber Didavi wollte nicht warten, im Winter hat er Wolfsburg zugesagt.

Aber bevor er wechselt, muss Didavi erst mal wieder die Welt retten, das fällt ihm schwerer als zuletzt. Er weiß ja, dass ihm alle auf die Füße schauen, alle wollen sehen, ob er sich jetzt, da er geht, immer noch genauso reinhaut. "Wer mich kennt, weiß, dass das überhaupt keine Frage ist", sagt er. Am 34. Spieltag spielt der VfB übrigens beim VfL Wolfsburg.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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