VfB Stuttgart:Hilfst du mir, helf' ich dir

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Zwei Filous auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: Kevin Großkreutz und Lukas Podolski 2014 in Brasilien mit der WM-Trophäe. (Foto: ActionPictures/imago)

Leidensgenossen unter sich: Kevin Großkreutz und der VfB Stuttgart finden in der Krise zusammen. Großkreutz wird in Stuttgart einen Vertrag bis 2018 unterschreiben.

Von Christof Kneer

Kevin Großkreutz wird für immer behaupten können, dass er mit der Spitze seines rechten Fußes im WM-Finale stand. Am Abend des 13. Juli 2014 stand er an der Seitenlinie des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro, und er vollführte bereits die klassische Choreografie, die man von Einwechselspielern auf der ganzen Welt kennt. Er hüpfte, tänzelte und kreiste mit den Armen, und die berufsmäßigen Statistiker hoben schon die Finger, um den Vorgang in ihre Computer zu tippen: Großkreutz kommt, Schweinsteiger geht.

Ja, Kevin Großkreutz ist Weltmeister geworden an jenem Abend, aber für einen Einsatz hat es am Ende doch nicht mehr gereicht. Böse Zungen behaupten, dass der mächtig ramponierte Schweinsteiger augenblicklich von seinen Leiden auferstand, als er ahnte, dass Großkreutz gleich für ihn mitspielen soll. Aber das ist wahrscheinlich nur eine sehr gemeine Unterstellung. Wahrscheinlich ist Schweinsteiger wiederauferstanden, weil man das als Schweinsteiger halt so macht. Mit Großkreutz hatte das nichts zu tun.

Dennoch muss Großkreutz, 27, ab sofort damit leben, dass man ihn da, wo er jetzt hingeht, nicht mehr Weltmeister nennt: In Stuttgart sagt man Weltmeischder. Am Montag meldete der VfB, dass er sich mit Galatasaray Istanbul auf einen Wechsel geeinigt habe, Großkreutz soll beim VfB bis 2018 unterschreiben. Die kolportierte Ablöse von knapp drei Millionen Euro stimme aber nicht, sagt Sportchef Robin Dutt, man könne eher davon ausgehen, dass Galatasaray das im August investierte Geld so ungefähr zurückerstattet bekomme. Die Türken hatten 1,5 Millionen für Großkreutz bezahlt, was grundsätzlich keine schlechte Idee war. Etwas schlechter wurde die Idee allerdings dadurch, dass die Klubfunktionäre den Transfer zu spät ins Fifa-Computersystem eintippten; jedenfalls kam die Meldung bei der Fifa zu spät an. Großkreutz verlor seine Spielberechtigung und wurde bis zum Winter gesperrt.

Der VfB Stuttgart war zuletzt nicht gesperrt, aber es gab während der Vorrunde Momente, da hätten die Fans sich vermutlich gewünscht, ihr Lieblingsverein verlöre auch für eine Weile seine Spielberechtigung. Man weiß ja nicht, wer zuletzt mehr leiden musste: Großkreutz, der in Istanbul hüpfte, tänzelte, mit den Armen kreiste, aber nie spielen durfte - oder der VfB, der dauernd spielte, mitunter sogar gut, aber halt doch meistens verlor. Vielleicht ist es nur folgerichtig, dass die Leidensgenossen nun zu Lebensabschnittspartnern werden.

"Kevin soll all das einbringen, was er vor 2015 verkörpert hat", sagt VfB-Sportchef Robin Dutt

"Kevin und wir sind in einer ähnlichen Lage", sagt Robin Dutt, "2015 konnten Verein und Spieler nicht das zeigen, was in ihnen steckt." So haben sie jetzt ein gemeinsames Hilfspaket verabschiedet: Der VfB gibt Großkreutz die Chance, auf prominenter Bühne zu spielen; und Großkreutz gibt dem VfB etwas, was auf dieser Bühne dringend nötig ist: "Kevin soll all das einbringen, was er vor 2015 verkörpert hat", sagt Dutt, "das hat mit Qualität und Vielseitigkeit, aber vor allem viel mit Mentalität zu tun." Am Ende, hofft Dutt, könne es "für beide auf eine Win-win-Situation rauslaufen", was nach beiderseitigem Lose-lose-Jahr wie ein überzeugender Plan klingt.

Zum Plan gehört auch, dass der VfB das Image seines Neuen so interpretiert, dass der Transfer passt. Zuletzt hatte sich das Image ja bedenklich von "Kultspieler" in Richtung "Problembär" verschoben, vom Boulevard wurden Großkreutz' Dönerweitwurf- und Hotelhallenpipi-Affären süffig ausgeweidet. In Gesprächen mit dem Spieler hat Dutt aber den Eindruck gewonnen, dass es sich lohnen könnte, diese Teile der Biografie unter vorübergehendem jugendlichem Leichtsinn zu verbuchen: "Die negativen Erfahrungen der letzten Monate haben Kevin reifen lassen", sagt Dutt, "er ist einfach heiß, wieder zu spielen."

Beim VfB setzen sie nun darauf, dass sich die Geschichte des vergangenen Winters wiederholt. Da holte Dutt den wilden Ivorer Serey Dié, der in Basel gerade suspendiert worden war. "Da haben auch viele gesagt: Was wollt Ihr mit dem?", erinnert sich Dutt, "und am Ende haben dieselben Leute gesagt, dass wir ohne Serey Dié abgestiegen wären."

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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