VfB Stuttgart - Darmstadt 98 (15.30 Uhr):Meister der Zermürbung

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Lässt seine Mannschaft den Gegner in endlosen Zweikämpfen aufreiben: Darmstadts Trainer Dirk Schuster. (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Mit simplen Mitteln macht Aufsteiger Darmstadt jedem Heimteam das Leben schwer. Gerade den fragilen VfB Stuttgart, der an spielerischen Lösungen interessiert ist, dürfte das vor Probleme stellen.

Von Tobias Schächter, Darmstadt

Eigentlich gibt es gerade keinen schlimmeren Gegner für diesen VfB Stuttgart als diesen SV Darmstadt 98. Warum? Bei Darmstadts Trainer Dirk Schuster steht der Kurzpass im Aufbauspiel ungefähr so dick auf dem Index wie der gemeine Rückpass bei VfB-Trainer Alexander Zorniger. Und weil das so ist, ahnt Zorniger vor dem Heimspiel des fragilen VfB am Sonntag gegen die stabilen Lilien: "Dieses Spiel wird fußballerisch eher kein totales Feuerwerk. Darmstadt wird uns nicht oft ins offene Pressing lassen und viele lange Bälle spielen." Das machen die Lilien schon die ganze Saison so und halten so die Gegner meistens ziemlich weit weg von ihrem eigenen Strafraum.

Das Grundschema des Darmstädter Spiels bei Ballbesitz ist nahezu immer gleich: Der Ball wird von einem der beiden Innenverteidiger weit nach vorne gebolzt, und dort wird der Gegner so lange in Zweikämpfe verwickelt, bis er irgendwann entweder richtig genervt oder richtig kraftlos ist - oder am besten beides. Fußballspielen von hinten heraus ist beim Aufsteiger verboten! Mit dieser Taktik gewannen die Lilien schon 13 Punkte in zehn Spielen, sechs mehr als der VfB auf Relegationsrang 16. Und auswärts verloren die Meister der Gegnerzermürbung keine ihrer bisherigen vier Visiten, obwohl es gegen die Europapokalteilnehmer aus Schalke, Leverkusen, Dortmund und Augsburg ging. Darmstadt ist, wie man heute so gerne im Fußballdeutsch sagt, ein richtig "ekliger Gegner".

Trainer Schuster beherzigt das Primat des Pragmatischen

Hinzu kommt, dass Dirk Schuster wohl der pragmatischste Fußballlehrer in der Bundesliga ist. Er spielt mit den Spielern, die ihm zur Verfügung stehen, den Fußball, den er mit diesen Spielern eben am besten spielen kann. Klingt vernünftig. Gerade für Aufsteiger ist das Primat des Pragmatischen vor der idealen Spielidee nachvollziehbar.

Im Gegensatz zu Schuster ist Kollege Zorniger ein Radikaler, Pragmatismus lässt er höchstens in Nuancen erkennen. Für ihn geht es immer zuvorderst darum, den Gegner 90 Minuten lang in jeder Sekunde so weit vorne anzugreifen wie es nur geht, um bei Balleroberung schnell zum Torabschluss zu kommen. Der Gipfel des Pragmatismus ist für Zorniger dabei die Verschiebung der Anlaufhöhe bei Ballbesitz des Gegners um ein paar Meter nach hinten. Mehr geht nicht. An seiner Grundidee hält Zorniger, wie der zuletzt in Hoffenheim entlassene Markus Gisdol ein Schüler von Ralf Rangnick, stur fest.

Weil das sture Festhalten an seiner Spielidee der Mannschaft schon viele Gegentore eingebracht und Punkte gekostet hat, steht die Philosophie Zornigers in Stuttgart unter Dauerbeobachtung. Die Hauptfrage lautet: Ist es wirklich sinnvoll, mit einer so schwachen Verteidigung so gnadenlos offensiv zu spielen?

Die Stuttgarter Gentner und Dié sind wieder fit

Der VfB beging bei der Kaderzusammenstellung in der Innenverteidigung im Sommer große Patzer. Die späte Verpflichtung von Toni Sunjic, 26, einem Durchschnittsvorstopper aus Bosnien vom russischen Erstligisten Krasnodar, beweist die Fehlplanung. Eine so fragile Defensive kann nur durch eine starke Offensive übertüncht werden. Aber da fehlt den Schwaben der verletzte Mittelstürmer Daniel Ginczek (Bandscheiben-OP) voraussichtlich bis zur Winterpause. Und weil die Mannschaft in der Vergangenheit trotz guter Leistungen zu oft zu wenig aus ihren Torchancen machte, fehlt in Stuttgart nun das wichtigste im Profifußball: Punkte. Nach dem spektakulär vergeigten 3:4 in Leverkusen (nach 3:1-Führung) stehen die Stuttgarter nun wieder so unter Siegzwang wie beim vergangenen Heimspiel gegen Ingolstadt, das die Mannschaft ausnahmsweise mal ohne Gegentor gewann (1:0).

Über dieses Resultat gegen Darmstadt wäre Zorniger sicher glücklich. Man darf gespannt sein, wie er den altenglischen Langballholzern aus Südhessen taktisch begegnet. Für mehr Stabilität beim VfB sprechen übrigens die Rückkehr der zuletzt absenten Mittelfeldgrößen Serey Dié (nach Sperre) und Kapitän Christian Gentner (nach Verletzung). Auch der serbische Dribbler Filip Kostic ist zumindest wieder im Kader. Und das 2:0 im DFB-Pokal beim Drittligisten in Jena war sicher nicht schlecht für das angeschlagene Selbstbewusstsein der Stuttgarter Profis. Beim VfB erwarten sie am Sonntag 55 000 Zuschauer. Zum bisher letzten Aufeinandertreffen der beiden Kontrahenten in Liga eins, im Dezember 1981, kamen nur etwas mehr als 12 000 Menschen ins damalige Neckarstadion. Der VfB gewann damals übrigens durch ein Tor von Didier Six mit 1:0.

© SZ vom 01.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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