VfB Stuttgart:Abschied vom wilden Westen

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Stuttgarter Jubelstaffel: Timo Werner feiert sein Kopfballtor zum 2:1. Und seine Kollegen feiern mit. (Foto: Uwe Kraft/imago)

Das 3:1 in Köln bestätigt die Fortschritte unter dem neuen Trainer. Mit einer soliden Taktik beendet Jürgen Kramny die radikalen Experimente des Vorgängers.

Von Philipp Selldorf, Köln

Im Laufe von Jürgen Kramnys Rede fiel irgendwann auch mit recht geringschätzigem Tonfall der Begriff "Wildwest-Fußball", und damit hat der Trainer des VfB Stuttgart keineswegs an frühe Begegnungen zwischen dem FC Tombstone und Kickers Silver City in der Bezirksliga Arizona-Südost erinnern wollen. Er hatte andere archaische Zeiten im Sinn. Kramny meinte jene Epoche, in denen die Mannschaft des VfB Stuttgart einem Konzept unterworfen war, das zum Beispiel die Spieler verpflichtete, unter Preisgabe aller gängigen Sicherheitsvorkehrungen und bis zur sinnlosen Erschöpfung die Gegner über den ganzen Platz zu hetzen wie der Windhund den Hasen. Diese verrückten Vorgänge haben sich aber weder zur Nachkriegszeit in der Oberliga Süd noch in den Blütezeiten von Hermann Ohlicher zugetragen. Sondern vor drei Monaten.

Über die Arbeit des Vorgängers spricht man eigentlich als Trainer besser nicht, sofern man diese Arbeit nicht loben möchte oder wenigstens ein Lob zu heucheln versteht. Meistens ist dann der Vorgänger beleidigt und man muss sich schlechte Manieren vorwerfen lassen. Schon gar nicht ist es daher üblich, den Spielstil des Vorgängers als Wildwest-Programm zu bezeichnen, selbst dann nicht, wenn man wie Kramny mit dem VfB gerade 3:1 beim 1. FC Köln gewonnen und damit eine hübsche kleine Serie fortgeschrieben hat, die aus einem schwer bedrohten Abstiegskandidaten womöglich ein Bundesligamitglied für gehobene Ansprüche macht.

Andererseits ist es Kramny nicht vorzuwerfen, dass er über die Probleme sprach, die der VfB neulich noch hatte - also zur Dienstzeit seines radikalen Vorgängers Alexander Zorniger -, die er jetzt aber nicht mehr hat. Kramny hatte sicherlich nicht vor, seinen Kollegen zu beleidigen, aber es ist einfach unvermeidlich, den VfB von gestern mit dem VfB von heute zu vergleichen, denn die Unterschiede sind einfach zu groß und zu offensichtlich.

"Es brennt nicht sofort lichterloh, wenn jemand ausgespielt wird", sagt Kapitän Christian Gentner

In Köln hat der VfB zwar keine Leistung geboten, die ihm Großmachtansprüche gestattet. Aber er hat die Fortschritte bestätigt, die es seit Kramnys Amtsübernahme Ende November gegeben hat. Die Stuttgarter sind defensiv nun deutlich stabiler organisiert, verlieren dadurch aber kein Stück von ihren - sehr beachtlichen - offensiven Qualitäten. Kramny hat kein Hexenwerk vollbracht, er hat einfach die vormals losen Teile - hier Angriff, dort Abwehr - wieder zum Ganzen zusammengefügt. "Wir agieren jetzt ganz anders", stellte Kapitän Christian Gentner in Köln fest, "wir stehen nicht mehr so hoch, laufen nicht mehr so wild an. Es brennt nicht sofort lichterloh, wenn mal jemand ausgespielt wird." Auch aus diesen Worten sind nicht unbedingt Komplimente an Zorniger herauszuhören.

Die Partie in Köln hätte auch ganz anders ausgehen können, das Resultat beruhte auf zwei, drei Schlüsselmomenten, die allesamt zu Ungunsten der Gastgeber endeten. Beim Stand von 1:0 waren die Kölner die bessere und unternehmungslustigere Mannschaft, während der VfB noch unentschlossen war, ob er sich mit den Mitteln des Abstiegskampfs wehren oder forciert die starke Offensivabteilung mit Daniel Didavi, Filip Kostic und Timo Werner aktivieren sollte. Letztlich nahm ihnen ein Fehler des auch sonst unglückseligen Kölner Außenverteidigers Pawel Olkowski die Entscheidung ab. Kostic, Werner und Didavi, das potenziell magische VfB-Trio, erzielten in Koproduktion das 1:1 und veränderten damit die Richtung des Spiels. Stuttgarts Treffer zum 2:1 nach einem Eckstoß des famosen Flankenschützen Kostic war dann keine Überraschung mehr - überraschend war bloß, dass der eher kurze Angreifer Werner das Tor gegen den eher langen Verteidiger Dominique Heintz erzielte.

Höchstes Schwabenlob: Zugang Kevin Großkreutz hat sich "da reingeschafft"

Auch mit ihrer Führung gingen die Stuttgarter schlau um. Sie postierten sich nicht stupide zwecks Ergebnissicherung am Strafraum, sondern griffen die zunehmend unruhiger werdenden Kölner je nach Situation bereits in deren Hälfte oder aus stabil zurückgezogener Ordnung an. Das 3:1 durch Christian Gentner nach spektakulärer Vorarbeit von Lukas Rupp war die Folge dieser variablen Methodik. An der vorausgegangenen Balleroberung auf dem Flügel hatte sich auch der neue Stuttgarter Rechtsverteidiger beteiligt. Kevin Großkreutz, so lautet sein Name, bestritt am Wochenende nicht nur sein erstes Punktspiel seit bald einem Jahr, sondern auch das erste Bundesligaspiel ohne das BVB-Emblem auf der Brust. Anfangs wirkte er zwar noch ein wenig fremd im Team, und zwischendurch machte er den Eindruck, als ob er noch ein wenig Nachhilfe benötigte (unter anderem machte er sich eines falschen Einwurfs schuldig), aber mit jedem Meter, den er nach bewährter Maloche-Art zurücklegte, fand er besser in die Partie und in seine neue Mannschaft.

"Gerannt wie ein Tier" sei Großkreutz, lobte sein Kollege Timo Werner, und Trainer Kramny konstatierte später, höchstes Schwabenlob: "Er hat sich da reingeschafft." Seine Erwartungen an den Neuen sah der Trainer vollauf erfüllt: "Seine Mentalität - das ist genau der Punkt, warum wir Kevin Großkreutz auf den Platz gebracht haben."

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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