Verfahren um Radprofi Sinkewitz:Streit um die Grenzwerte

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Die Anti-Doping-Agenturen verfolgen im Verfahren um den Gebrauch von Wachstumshormonen eine undurchsichtige Taktik. Der positiv getestete Radprofi Sinkewitz fordert, dass seine Proben mit einem angeblich stark verbesserten Verfahren überprüft werden. Doch die Nada blockt.

Thomas Kistner

"Zu einer effektiven Dopingbekämpfung gehört Transparenz." So simpel lautet der Kernsatz im Verfahren der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) gegen Patrik Sinkewitz, das der Radprofi gewann. Auf 68 Seiten weist Willi Erdmann, Einzelschiedsrichter der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), die Klage der Nada ab. Der frühere Vorsitzende am Bundesgerichtshof rügt spektakuläre Mängel im Nachweisverfahren für Wachstumshormon (hGH), dessen Gebrauch Sinkewitz angelastet wurde.

Patrik Sinkewitz (Mitte) im Jahr 2009 beim "Eschborn-Frankfurt City Loop". (Foto: ag.ap)

Aus diesem Grund öffnete Erdmann dem Athleten auch gleich den Weg zum Schweizer Bundesgericht, für den Fall, dass die Nada und ihr Dachgremium Wada (Welt-Anti-Doping-Agentur) beim Gang vor den Weltsport-Gerichtshof Cas nicht klar darlegen, wie sie die Grenzwerte für ihren hGH-Test ermitteln: Das Schweizer Bundesgericht nehme nicht hin, wenn "fundamentale Rechtsgrundsätze" verletzt würden, warnt Erdmann. Das Gebot auf Fairness und rechtliches Gehör schließe "ein Informationsrecht über die verfahrensrelevanten Tatsachen mit ein".

Doch die Nada hält es weiter undurchsichtig. Gerade forderte Sinkewitz, dass seine Proben für die Cas-Neuauflage mit einem jüngst öffentlich vorgestellten, angeblich stark verbesserten hGH-Verfahren überprüft werden. Aber die Nada blockt.

Das verblüfft Athleten-Anwalt Rainer Cherkeh: Was spreche dagegen, in einem vom DIS als unausgegoren abgeschmetterten Analyseverfahren mit modernster Technik nachzubessern? Müsste sich Sinkewitz' angebliche hGH-Sünde so nicht klar belegen lassen? Das Taktieren der Nada nährt Spekulationen: Dieses erste relevante Wachstumshormon-Verfahren hat auch eine sportpolitische Dimension - darf es deshalb um keinen Preis verloren gehen? Jedenfalls zieht die Nada alle Register.

Schon das erste Verfahren barg Befremdliches: Wada und Nada rückten wichtige Belege nicht raus. Dabei hatten alle Gutachter die Labordaten angefordert, um das Verfahren beurteilen zu können. Die Fahnder sträubten sich, trotz Aufforderungen durch den DIS-Richter. Im Mai teilten sie mit, zur Vorlage der Referenzdaten seien sie "nicht verpflichtet".

Richter Erdmann sah das anders. Er befand, die Nada hätte "nicht hinreichend" nachgewiesen, dass ihre "Grenzwerte dem Stand der Wissenschaft entsprechen". So geraten die Agenturen erneut in ein trübes Licht, nachdem sie jüngst in der Affäre um mit UV-Licht bestrahltes Blut am Olympiastützpunkt Erfurt ein Kommunikationsdesaster hingelegt hatten.

Für Wachstumshormone gibt es nur indirekte Nachweisverfahren, weil die Substanz im Körper auch natürlich produziert wird. Hormon-Konzentrationen im Blut werden gemessen, die einen Grenzwert nicht übersteigen dürfen. Das Verfahren ist solide, problematisch sind die Grenzwerte. Das Schiedsgericht bezweifelte, dass sie "wissenschaftlich hinreichend verlässlich" seien und forderte die Rohdaten an.

Die Agenturen weigerten sich, und Richter Erdmann folgerte geharnischt: "Das bedeutet, dass die Festlegung der Grenzwerte in einem geheimen In-Camera-Verfahren erfolgt." Anwalt Cherkeh sagt: "Wer nichts zu verheimlichen hat, liefert solche Daten, und zwar vollständig und für alle nachvollziehbar." Oder er kassiert eine Niederlage - das Verharren im stillen Kämmerlein habe keinen "nachvollziehbaren Grund", befand das DIS.

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Sinkewitz war am 27. Februar 2011 beim Grand Prix Lugano in seinem italienischen Team Farnese Vini positiv getestet worden. Als Wiederholungstäter droht ihm eine lebenslange Sperre. Der frühere T-Mobile-Profi hatte schon 2007 einen Testosteron-Befund - und danach reinen Tisch gemacht. Als Kronzeuge enthüllte er Anrüchiges aus dem Radsportbetrieb. So hatte im Vorjahr, Zufall oder nicht, der in Dopingfragen unter Dauerdruck stehende Radweltverband UCI just einen seiner Nestbeschmutzer in einem zweitklassigen Team als ersten hGH-Sünder aufgespürt.

Unter Dopingprofis ist längst bekannt, dass auf hGH getestet wird; und auch, dass der Nachweis nur in einem winzigen, kaum zweitägigen Zeitfenster gelingt. Es gibt fast keine Fälle, gedopt wird meist im Training. Im Wettkampf wird häufig kontrolliert, zudem ist hGH-Doping hier sinnlos, weil es nicht kurzfristig hilft.

Schon im Juni 2011 verwies Nada-Justitiar Lars Mortsiefer auf die Brisanz des Falles. Man prüfe genau, "um nicht im ersten maßgeblichen hGH-Prozess in etwas reinzurennen, was uns dann um die Ohren gehauen wird". Jetzt ist das passiert, und Mortsiefer räumt ein: "In der Tat ist der Schiedsspruch auf den ersten Blick ein fatales Signal für neue Nachweismethoden."

Genau besehen würde jedoch der hGH-Test an sich nicht beanstandet. Deshalb sollen in der nächsten Runde vor dem Cas "letzte Zweifel an der Methode" ausgeräumt werden; die Nada wolle "endlich klären, warum die Werte von Herrn Sinkewitz so deutlich von den Grenzwerten abweichen". Von Grenzwerten, deren Korrektheit das DIS stark anzweifelt.

Das nationale Dopingverfahren ist beendet, nun beginnen beim Cas alle Sachvorträge und Beweiserhebungen erneut, die Kosten wachsen. Womöglich ins Unermessliche, klagt Anwalt Cherkeh - denn die Nada lehne es ab, das Verfahren vor dem Cas auf Deutsch fortzuführen. Obwohl alle Akten in Deutsch vorliegen und sein Klient in anderen Sprachen nicht sattelfest sei.

Die Inanspruchnahme ausländischer Anwälte und die Übersetzungskosten dürften Sinkewitz finanziell ins Verderben treiben. Die Nada aber mauert auf die Frage, warum sie dem Deutschen einen deutschsprachigen Prozess verweigert: Das Verfahren laufe, daher wolle sie "derzeit keine Auskünfte geben", man könne ja ihren Schweizer Anwalt fragen.

Dieselbe Auskunft gibt es auf die Frage, ob die Nada den neuen, zum Auftakt der Londoner Spiele von der Wada angepriesenen hGH-Test anwenden wolle. Sinkewitz hatte davon in der Zeitung gelesen und sofort seinen Anwalt instruiert: Die Nada solle seine Probe mit dem neuen Test analysieren. Für einen Sünder, der Entdeckung befürchten muss, eine interessante Reaktion? Nicht für die Nada. Cherkeh bekam nicht einmal eine Antwort.

© SZ vom 17.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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