USA: Sport und Verbrechen:Der amerikanische Träumer

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Soll ein verurteilter Tiermörder eine zweite Chance erhalten? Die Verpflichtung des Football-Stars Michael Vick durch die Philadelphia Eagles wird in den USA heftig diskutiert.

Jürgen Schmieder

"Das ist Amerika." Das war der knappe Kommentar von Andy Reid, dem Trainer der Philadelphia Egales. Der Football-Verein hatte kurz zuvor bekannt gegeben, dem Spielmacher Michael Vick für die kommende Saison einen Vertrag anzubieten. Der Abschluss wäre nicht weiter erwähnenswert, schließlich gehörte der 29-Jährige jahrelang zu den besten Quarterbacks in der Profiliga NFL. Doch Vick ist nicht nur Profisportler, er ist auch verurteilter Verbrecher. 18 Monate saß er im Gefängnis, weil er Kampfhunde trainiert und illegale Kämpfe veranstaltet hatte.

Michael Vick im Trikot der Philadelphia Eagles. (Foto: Foto: AP)

Erst im Juni wurde er aus dem Gefängnis entlassen, vor zwei Wochen hob NFL-Chef Roger Goodell die Suspendierung gegen Vick auf und erlaubte ihm, sich von einer Mannschaft verpflichten zu lassen, zu trainieren und vom sechsten Spieltag an wieder am Spielbetrieb teilzunehmen - wenn er sich nichts zuschulden kommen lässt. Nun griffen die Philadelphia Eagles zu. "Ich glaube stark daran, dass jeder Mensch, der sich zu bessern gewillt ist, eine zweite Chance verdient hat", sagt Trainer Reid. Das ist Amerika.

Nach der ersten Trainingseinheit bei den Eagles standen Dutzende Journalisten vor der Umkleidekabine, doch Vick wollte nichts sagen. Als ihn einer fragte, wie er sich denn fühle, antwortete er knapp: "Großartig." Dann ging er nach draußen, wo zahlreiche Mitglieder von Tierschutz-Organisationen warteten und lautstark gegen eine Fortsetzung von Vicks Karriere protestierten. In den Tagen zuvor zeigte er sich bei Interviews reumütig und gab an, im Gefängnis geweint zu haben. Er habe sich geändert und im ehemaligen Football-Trainer Tony Dungy einen hervorragenden Mentor gefunden.

Diese Karriere liest sich wie der Mensch gewordene amerikanische Traum: Aufgewachsen ist Vick in Newport News, einer Stadt im Bundesstaat Virginia, in dem schwarze Menschen wie er als "Nigger" beschimpft werden und denen sich gewöhnlich kein Ausweg aus der Armut bietet. Vick spielt Football, er bekommt ein Stipendium an der Virginia Tech University. "So war ich weg von der Straße", sagt er später in einem Interview über seine Zeit am College. Im Jahr 2001 wird er als von einem Profi-Verein, den Atlanta Falcons, gedraftet; er ist der erste schwarze Quarterback in der Geschichte der NFL, dem diese Ehre zuteil wird. Aufgrund seiner Fähigkeit, den Ball sowohl werfen als auch geschickt mit ihm laufen zu können, steigt er schnell zu einem der bestbezahlten Spieler der Liga auf.

Im Jahr 2004 unterschreibt er einen Zehn-Jahres-Vertrag, der ihm 130 Millionen Dollar garantiert. Dazu kommen zahlreiche Werbeverträge, Nike will gar einen Schuh nach ihm benennen. Andrew Young, ein schwarzer Prediger und früherer Freund von Martin Luther King, möchte Vick zu einem Idol für schwarze Jugendliche heranziehen und ihn für seine Gemeinde gewinnen - ohne Erfolg. "Er hing lieber mit seinen alten Freunden herum, anstatt in die Kirche zu gehen", sagt Young. "Er lehnte jede Form der Hilfe ab."

Vick ist zu Beginn seiner Karriere in kleinere Delikte verwickelt. In einem seiner Autos wird Marihuana gefunden, er bestiehlt mit seinen Freunden einen Wachmann am Flughafen in Atlanta, er zeigt den Fans der Falcons nach einer Niederlage beide Mittelfinger. Er glaubt, als Profisportler und Millionär über dem Gesetz zu stehen. Zum einen, weil Freunde und Vereins-Verantwortliche ihn immer wieder herausboxen. Zum anderen, weil seine Leistungen auf dem Feld zu gut sind, als dass die Falcons es sich leisten könnten, ihn hart zu bestrafen.

Protest vor dem Stadion: Tierliebhaber wollten die Verpflichtung von Michael Vick verhindern. (Foto: Foto: AP)

Doch Vick ist nicht nur ein Kleinkrimineller wie so mancher seiner Football-Kollegen, er ist auch ein sogenannter Dog Man - einer, der Pitbulls zu Kampfhunden heranzüchtet. Er schickt sie auf Laufbänder, schleift die Zähne, prügelt sie, um sie aggressiver zu machen. Nach der grausamen Ausbildung werden die Hunde in eine kleine Arena geschickt, wo sie übereinander herfallen, bis einer nicht mehr kann. Die unterlegenen Tiere werden entsorgt: erhängt, ertränkt, mit Elektroschocks malträtiert, bis sie sterben.

Die Polizei findet auf Vicks Anwesen 66 Pitbulls, er wird zu 23 Monaten Haft verurteilt und verpasst die vergangenen beiden Spielzeiten. Damit nicht genug: Die Falcons suspendieren Vick und verklagen ihn auf Rückerstattung der Bonuszahlungen und Schadenersatz, Sponsoren kündigen Verträge und klagen ebenfalls, Banken fordern geliehenes Geld zurück. Am 7. Juli 2008 muss Vick Privatinsolvenz anmelden. Ihm ist kaum etwas geblieben außer seinem unfassbaren Talent als Footballspieler.

Nun geben die Philadelphia Eagles Michael Vick die Chance, dieses Talent zu nutzen, um sein leben in den Griff zu bekommen. Zuvor hatten die Atlanta Falcons ausgeschlossen, ihn wieder in den Kader aufzunehmen. Die Eagles bezahlen ihm 1,6 Millionen Dollar für die kommende Saison mit der einseitigen Option für den Verein, den Vertrag um eine weitere Spielzeit für fünf Millionen Dollar verlängern zu können. Unklar ist allerdings, auf welcher Position Vick spielen soll. Seit mehr als zwei Jahren hat er kein Spiel mehr bestritten, im Gefängnis hielt er sich mit Basketball fit. "Wir müssen ihn in Form bringen und dafür sorgen, dass er seinen Football-Rhythmus zurückbekommt", sagt Reid.

Als Quarterback ist Donovan McNabb gesetzt, kürzlich stattete ihn der Verein mit einem Vertrag aus, der ihm in den kommenden zwei Jahren 24,5 Millionen Dollar garantiert. "Ich habe mich für ihn eingesetzt", sagt McNabb. "Er verdient eine zweite Chance, er ist keine Bedrohung für mich oder einen anderen Spieler. Er ist eine weitere Waffe für unsere Offensive."

Vick gilt als einer der vielseitigsten Football-Spieler der Liga. Er kann nicht nur präzise passen, er ist der erste Quarterback in der Liga-Geschichte, der innerhalb einer Spielzeit mehr als 1000 Yards Raumgewinn erlaufen konnte. Somit käme er auch als Running Back oder gar Wide Receiver in Betracht. Beim ersten Training - er trug bereits ein Eagles-Trikot mit der Nummer sieben - agierte er ausschließlich als Quarterback. Er warf einige lange Pässe und beeindruckte seine neuen Kollegen. "Er wirft härter als irgendjemand, den ich kenne", urteilte Wide Receiver Danny Amendola.

Keine dritte Chance

"Er ist ein unglaublicher Athlet", sagt sein neuer Trainer Andy Reid. "Ich denke mir schon etwas für ihn aus." Denkbar ist, dass die Eagles bei den meisten Spielzügen dem eher steifen McNabb vertrauen, in besonderen Situationen die sogenannte Wildcat-Offensive einsetzen, bei der ein beweglicher Spielmacher die gegnerische Abwehr verwirren soll. Die Miami Dolphins spielten sich mit dieser Taktik und dem Quarterback-Duo Pennington/Henne in der vergangenen Saison bis in die Ausscheidungsrunde.

Michael Vick kann nun beweisen, dass aus seiner Karriere und aus seinem Leben doch noch ein amerikanischer Traum wird - auch wenn er kürzlich in einem Interview sagte: "Nach dem, was ich getan habe, spielt Football keine Rolle mehr." Es gehört zum amerikanischen Sport, die Geschichten von gefallenen Helden zu zelebrieren - wenn sie sich geläutert geben, sich zu benehmen wissen und vor allem auf dem Platz glänzen können.

Der Baseballspieler George "Babe" Ruth ging wegen seiner Homeruns in die Geschichte ein und nicht wegen seiner Trinksucht. Einer der talentiertesten Quarterbacks aller Zeiten dagegen, Todd Marinovich, ist nur noch deshalb bekannt, weil er sein Talent an Drogen verschwendete und seine Karriere nach zwei Jahren in der NFL beendete. Es ist nun an Michael Vick, ob er als fieser Hundequäler oder als fantastischer Profisportler in Erinnerung bleiben wird. "Es gehört zur Tradition dieses Landes, eine zweite Chance zu erhalten", sagt Jeffrey Laurie, der Besitzer der Eagles. "Eine dritte Chance gibt es nicht." Das ist Amerika.

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