US-Open-Sieger Čilić:"Das ist der Gipfel der Welt"

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Marin Čilić: Auf dem Gipfel angekommen (Foto: AFP)

Marin Čilić gewinnt das Finale der US Open deutlich gegen Kei Nishikori. Der Kroate hat 15 groteske Monate mit Dopingsperre und vorgeschobenen Verletzungen hinter sich gebracht.

Von Jürgen Schmieder, New York

Zwei Stunden vor dem Finale ging Goran Ivanišević über die Anlage in Flushing Meadows, er sah aus wie einer, der während des New-York-Urlaubs spontan beschloss, sich diese letzte Partie der US Open anzusehen: Sieben-Tage-Bart, grellgrünes Poloshirt, Badelatschen. "Das Finale wird wie ein Marsch auf den Mount Everest", sagte er bestens gelaunt: "Es ist nur noch nicht sicher, welche Fahne am Ende oben wehen wird."

Natürlich war Ivanišević kein Tourist, sondern als Trainer von Marin Čilić in offizieller Mission unterwegs. Sein Schützling gewann das Endspiel gegen den Japaner Kei Nishikori 6:3, 6:3, 6:3, er eilte danach zugleich zu Ivanišević - direkt dahinter wedelte ein Zuschauer mit der kroatischen Flagge. "Das ist der Gipfel der Welt", sagte Čilić danach.

Nun ja, es war noch nicht einmal der Mount Everest, den Čilić an diesem Sonntag zu erklimmen hatte, Nishikori stellte eher einen kleinen Hügel dar - nach nicht einmal zwei Stunden war dieses einseitige, indes nicht uninteressante Finale vorbei. Nishikori wirkte zunächst nervös und fahrig, später einfach nur ratlos. Was sollte er auch machen gegen einen, der 33 unbeantwortete Aufschläge schaffte und immer dann prächtig servierte, wenn es dringend nötig war? Neun Breakbälle hatte Nishikori, nur einen konnte er nutzen - bei sieben anderen konnte er nicht einmal den Aufschlag zurückspielen.

Es war Čilić, der bestimmte, wie ein Punkt zu verlaufen hatte - nicht nur über seinen Aufschlag, sondern auch mit harten und präzisen Grundschlägen. Symbolisch dafür steht das letzte Aufschlagspiel dieser Partie: Ass, Ass, leichter Fehler des Gegners, Doppelfehler, Rückhand-Gewinnschlag. "Ich hatte immer das Gefühl, dass ich gewinnen kann, wenn ich gut spiele", sagte Čilić nach der Partie: "Am Schluss wusste ich einfach, dass ich dieses eine Spiel noch bekommen würde."

Wer vor den US Open auf diese Finalpartie gewettet hat, dem sei hiermit das Ausfüllen eines Lottoscheins empfohlen. Eine solche Konstellation (ein Endspiel ohne einen Akteur, der vor dem Turnier in der Weltrangliste unter den ersten zehn geführt wird) hatte es bei den US Open zuletzt 1997 gegeben, Patrick Rafter hatte damals gegen Greg Rusedski gewonnen. Selbst vor dem Halbfinale hatte kaum jemand an eine Partie zwischen Nishikori und Čilić geglaubt, schließlich waren deren Gegner die beiden topgesetzten Akteure Roger Federer und Novak Đoković. Nishikori jedoch entnervte Đoković mit aggressiven Grundschlägen, Čilić schoss Federer schlicht vom Platz.

Es war ein überaus interessantes Turnier, das Čilić da hinlegte. Nach relativ einfachen Siegen gegen Marcos Baghdatis, Ilja Martschenko und Kevin Anderson traf er im Achtelfinale auf den Franzosen Gilles Simon. Es war eine spannende, eine packende Partie - von denen der zu flattrigen Nerven neigende Čilić schon so viele verloren hatte in seiner Karriere. Nun jedoch blieb er gelassen und gewann nach mehr als vier Stunden Spielzeit im fünften Satz. "Ich war mental stark", sagte Čilić nach dieser Partie: "Es war für mich wichtig zu sehen, wie ich nach dem verlorenen vierten Satz reagiert habe und gleich zurückgekommen bin."

In den Runden danach agierte Čilić, als hätte jemand bei einem Ferrari den Tempomaten auf 215 Kilometer pro Stunde eingestellt: Er gewann in jeweils drei Sätzen gegen Tomáš Berdych, Roger Federer und Kei Nishikori - alle drei gaben danach an, dass sie nicht wirklich viel ausrichten konnten gegen einen Spieler in einer derart herausragenden Verfassung. "Ich habe richtig gut gespielt", sagte Čilić nach der Partie gegen Berdych. Nach dem Sieg gegen Federer sagte er: "Das war das beste Match meiner Karriere." Und nun nach dem Erfolg gegen Nishikori: "Ich spiele derzeit wahrscheinlich das beste Tennis meines Lebens."

Es waren auch überaus interessante 15 Monate, die Čilić da hinter sich gebracht hat. Während des Wimbledon-Turniers 2013 wurde er über einen positiven Dopingbefund informiert, weshalb er seine Teilnahme an der Zweitrunden-Partie absagte - als Entschuldigung gab er eine Knieverletzung an. Das stimmte freilich nicht, wie auch der internationale Tennisverband später bestätigte. Čilić wurde gesperrt, er verpflichtete seinen Mentor Ivanišević als festen Trainer und feilte während der Pause - die später von neun auf vier Monate reduziert wurde - an Technik und Taktik.

In diesem Jahr zeigte er vor allem auf Hartplatz herausragende Leistungen. Bei den Australian Open scheiterte er noch früh (interessanterweise in fünf Sätzen an Gilles Simon), danach erreichte er drei Endspiele, von denen er zwei gewann. Bei den French Open und in Wimbledon verlor er jeweils gegen Novak Đoković, während der Vorbereitung auf die US Open zwang er Federer und Stanislas Wawrinka jeweils in einen entscheidenden Satz. Eine ordentliche Saison also, die er nun mit dem Erfolg bei den US Open zu krönen wusste.

"Das ist eine riesige Leistung und ein riesiger Moment für mich nach diesem unglaublichen Lauf gegen all diese großartigen Spieler", sagte Čilić: "Es bedeutet die Welt für mich." Um in der Metaphorik seines Trainers Goran Ivanišević zu bleiben: Er steht nun auf dem Mount Everest. In der kommenden Saison kann er nun zeigen, wie sich dieser Erfolg auf ihn auswirkt. Es soll ja Sportler geben, die nach dem Erklimmen eines Berges nicht die Aussicht genießen, sondern sofort hinübersehen zum nächsten Gipfel, den sie gerne besteigen würden.

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