US Open:Die Ausdauerspielerin

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Die Dänin Caroline Wozniacki hat es bis ins Halbfinale der US Open geschafft, weil ihr in ihren Partien wenige Fehler unterlaufen. (Foto: AP)

Caroline Wozniacki stand auf Platz eins der Weltrangliste, dann warf sie eine Knöchelverletzung lange zurück. Bei den US Open scheint ihr die Wende zu gelingen, nun trifft die Dänin auf Angelique Kerber.

Von Jürgen Schmieder, New York

Natürlich blamiert sich ein Zuschauer, wenn er bei den US Open während einer Partie ausschließlich eine Spielerin beobachtet. Caroline Wozniacki etwa. Beim Tennis geziemt es sich, aufmerksam der Flugbahn des Balles zu folgen, außerdem könnte jemand vom Sicherheitsdienst denken, dass von solchen Leuten eine gewisse Gefahr für die Stars ausgeht. Wer die Dänin trotzdem genauer beobachtet, der sieht ein paar Sachen, die den Ball-Verfolgern entgehen dürften.

Für all die kleinen Dramen während eines Ballwechsels interessiert sich Caroline Wozniacki nicht wirklich, sie ist zu fokussiert auf ihre eigenen Rituale - von denen die meisten Tennisspieler nicht gerade wenige haben. Sie schlägt den Ball zurück auf die andere Seite, greift sich in die Haare und zieht den Schläger hinter sich her. Dann läuft sie geduldig an den Ort, an den die Gegnerin den Ball spielen wird. Sie schlägt den Ball zurück, greift sich in die Haare und zieht den Schläger hinter sich her. Dann läuft sie wieder.

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Die Deutsche lässt sich bei den US Open von Roberta Vinci im ersten Satz ärgern, muss sich immer wieder aus kniffligen Situationen befreien. Am Ende steht sie mit 7:5 und 6:0 im Halbfinale.

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Dieses Ritual wiederholt sie so geduldig, bis ihre Gegnerin keine Lust mehr hat und Fehler macht. Dann bewegt sich Wozniacki wieder zu der Stelle, an der sie den nächsten Aufschlag erwartet. Sie schlägt den Ball zurück auf die andere Seite, greift sich in die Haare und zieht den Schläger hinter sich her. Am Ende gewinnt dabei oft Wozniacki.

Wozniacki gewinnt ihre Spiele, weil sie sich weniger bizarre Fehler leistet

Beim 6:0, 6:2 gegen Anastasija Sewastowa aus Lettland am Dienstagabend etwa schaffte sie gerade einmal 14 Gewinnschläge, wartete jedoch auf insgesamt 42 Fehler ihrer angeschlagenen Gegnerin. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wozniacki ist gewiss keine langweilige Tennisspielerin. Sie gehört nur nicht zu dieser Spielergeneration, die das Erlernen des Rückhand-Slice für eine sinnlose Beschäftigung hält und bei der sich ein mit atemraubender Geschwindigkeit auf die Grundlinie geprügelter Ball mit einem grotesken Schlag abwechselt, bei dem die Filzkugel nur aus Mitleid vor dem Netz nicht aufspringt. Wie ihre Achtelfinal-Gegnerin Madison Keys etwa. 30 Gewinnschläge, 33 leichte Fehler. Das Endergebnis: 6:3, 6:4 für Wozniacki.

Sie weiß, dass eine Partie nicht durch einen spektakulären Sprint oder eine grandiose Vorhand entschieden wird, sondern oftmals darüber, wer sich weniger bizarre Fehler leistet. Auf Fehler muss man manchmal warten. Und das kann sie gut. Wozniacki hat eine Ausdauer wie wenige Tennisspielerinnen. Den New-York-Marathon ist sie vor zwei Jahren in weniger als dreieinhalb Stunden gelaufen.

Vor sechs Jahren ist Wozniacki zwei Wochen lang auf Platz eins der Weltrangliste geführt worden, vor zwei Jahren hat sie in New York das Finale bei den US Open erreicht. Mittlerweile ist sie, auch wegen einer schlimmen Knöchelverletzung, auf Platz 74 gerutscht und hatte 2016 vor den US Open noch keine Partie bei einem Grand-Slam-Turnier gewonnen. "Das ist doch völlig egal - es gibt nur zwei Platzierungen: die besten fünf und alle anderen", sagt sie. "Es macht keinen Unterschied, ob du auf Platz 20 oder auf Rang 100 geführt wirst. Du musst ohnehin gegen die gleichen Leute antreten."

Wer Wozniacki, 26, nicht nur auf dem Tennisplatz ein wenig länger beobachtet, der erkennt weitere Details, die sie von anderen unterscheiden: Sie versteht sich blendend mit jenen Frauen, die in der Weltrangliste ganz vorne geführt werden. Sie veröffentlicht Fotos, die sie im Urlaub mit Angelique Kerber zeigen oder auf der Fashion Show von Serena Williams. Sie verabredet sich gerne mit anderen Sportlern, nach der öffentlichen Trennung von Golfer Rory McIlroy traf sie sich mit den Footballprofis J. J. Watt und Ryan Kerrigan und wurde zuletzt mit dem Basketballspieler David Lee gesichtet.

Über all diese Sachen spricht sie ebenso ungern wie über die Knöchelverletzung und das von ihrem Vater Piotr in einer dänischen Zeitung gestreute Gerücht, dass sie deshalb ihre Karriere habe beenden wollen. "Ich bin noch nicht bereit, darüber zu reden", sagt sie. "Irgendwann werde ich mich dazu äußern. Doch jetzt möchte ich erst einmal noch hoffentlich zwei Partien bei diesem Turnier bestreiten."

Wozniacki wohnt während der US Open nicht wie viele andere Spielerinnen in einem Hotel in Manhattan. Sie hat sich eine Wohnung im East Village mit Blick über den Union Square gekauft und trainiert auf öffentlichen Plätzen, um sich "wie eine echte New Yorkerin zu fühlen". Ihre Mutter kocht jeden Abend, zur Ablenkung vom Tennis liest sie gerade den Selbsthilfe-Schmöker "The Power Of Your Subconscious Mind" von Joseph Murphy. "Solche Bücher helfen mir, mich selbst ein bisschen besser zu verstehen", sagt Wozniacki. "Wenn es dann auf dem Tennisplatz stressig wird, kann ich besser damit umgehen."

Im Halbfinale trifft Wozniacki auf ihre Freundin Angelique Kerber

Bei diesen US Open gab es nur wenige stressige Momente für Wozniacki. Sie hat den ersten Satz der ersten Runde gegen Taylor Townsend (USA) verloren, seitdem läuft sie so entspannt durch dieses Turnier wie vor zwei Jahren beim Marathon über die Queensboro Bridge. Sie besiegte neben Keys unter anderem auch Swetlana Kusnezowa (Russland), im Halbfinale trifft sie nun auf Angelique Kerber, die bisher noch keinen Satz verloren hat und auch gegen Roberta Vinci (Italien) nach nervösem Start erstaunlich souverän wirkte.

"Wir sind noch immer Freundinnen", sagt Wozniacki über Kerber. "Aber wenn man älter wird, verschieben sich die Prioritäten. Ich will meine Freizeit gerne in New York verbringen. Die gemeinsamen Urlaube sind seltener geworden, doch wir können noch immer gemeinsam lachen", sagt Wozniacki. Und: "Ich freue mich für ihre Erfolge. Ich glaube, dass es eine interessante Partie werden wird."

Wozniacki wird den Ball zurückschlagen, sich in die Haare greifen und den Schläger hinter sich herziehen. In diesem Halbfinale aber wird es sich lohnen, ihr dabei nicht zuzuschauen, sondern zu beobachten, was Wozniacki und Kerber mit dem Ball machen. Denn auch Kerber hat gezeigt, dass sie eine hervorragende Ausdauer hat - ganz ohne New-York-Marathon.

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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