TSV 1860 München:Sie leben noch

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Späte Erlösung: Die Münchner Jannik Bandowski und Guillermo Vallori (vorn) jubeln nach dem Schlusspfiff am Bornheimer Hang. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Trainer Fröhling stellt um auf ein System mit zwei Stürmern, nach einem späten Treffer von Valdet Rama gewinnt 1860 München 1:0 gegen den FSV Frankfurt - und verlässt vorerst die Abstiegszone.

Irgendwo, tief in sich drin, muss Daniel Adlung in all den Jahren diesen einen Pass vorbereitet haben. Anders war das ja gar nicht zu erklären. Diese Ruhe. Diese Übersicht. Diese Präzision. Von der Mittellinie schlug Adlung jenen Pass, er schickte den Ball in den Himmel oberhalb des Bornheimer Hangs, ehe er sich erst im Strafraum wieder zu Boden senkte. Genau vor die Füße des eingewechselten Valdet Rama, der aus dem Mittelfeld herbeigelaufen war, als sei mit diesem Pass von Adlung zu rechnen gewesen. Rama stürmte durch den Sechzehner, er zog ab, halb in Seitlage traf er den Ball, der sechs Minuten vor Ende der Partie ins Tor des FSV Frankfurt flog. Das 1:0, tatsächlich.

Und der Endstand einer Zweitliga-Partie am Freitagabend, die mit Adlungs Pass aus dem Nichts und dem erst vierten Torschuss der Münchner in diesem Spiel eine kaum noch vorstellbare Wendung nahm.

Es war eine Wendung, die den TSV 1860 München zwei Spieltag vor Ende der Saison wieder Mut fassen lässt im Abstiegskampf der zweiten Liga: Zumindest bis zu diesem Samstag steht die Mannschaft von Trainer Torsten Fröhling wieder auf dem 15. Tabellenplatz; am Nachmittag dann könnten der FC St. Pauli (mit einem Sieg in Kaiserslautern) und Erzgebirge Aue (mit einem Sieg bei Union Berlin) jeweils noch an den Münchnern vorbeiziehen.

Aber wie egal war bitte schön dieser Gedanke am Freitagabend in Frankfurt?

"Hauptsache wir haben gewonnen", sagte Christopher Schindler nach dem Schlusspfiff: "Für den Kopf hatte sich die Situation in dieser Woche extrem zugespitzt. Wir wurden unter der Woche von allen Seiten zugeschissen. Das war heute auch wichtig fürs Ego. Jetzt gucken wir morgen mal, was die anderen machen." Sechzigs Trainer Torsten Fröhling fasste die Folgen dieses Spiels mit der gewohnten Prägnanz zusammen: "Der Pass vor dem Tor war ein Traumpass. Wir haben einen Abstiegskrimi und kein gutes Spiel gesehen. Wir leben noch. Danke." Was er nicht sagte: Es war ein wichtiger Sieg, der auf eine mutige Umstellung folgte, die 68 Minuten lang allerdings überhaupt nicht funktioniert hatte.

Vor zwei Wochen war Fröhling gefragt worden, ob er sich auch ein Spiel mit zwei Stürmern vorstellen kann, ob ein 4-4-2 auch bei ihm denkbar sei? Oh nein, sagte Fröhling damals, er werde sein System gewiss nicht ändern, nur weil sich der Klub im Abstiegskampf befindet.

Es war eine Finte. Und wie es mit Finten nun einmal so ist, sie sind dann ganz besonders erfolgreich, wenn der Gegner bereits die eine oder andere Erfahrung gesammelt hat. Fröhlings Gegner auf Seiten des FSV Frankfurt war mal wieder Benno Möhlmann. Ein Trainer, der am Freitag seine 500. Zweitliga-Partie anleitete. Um selbst Möhlmann zu verwirren, änderte Fröhling also seine Startelf vorsichtshalber gleich auf fünf Positionen: Maximilian Wittek, der seinen Stammplatz nach dem Winter an Jannik Bandowski verloren hatte, rückte wieder ins Spiel. Zunächst auf die ehemalige Position von Valdet Rama im linken Mittelfeld, der ihn nach 68 Minuten wieder ersetzte. Bandowski gab den Linksverteidiger, Julian Weigl ersetzte im defensiven Mittelfeld Ilie Sanchez. Und Wittek bildete mit Adlung und Marius Wolf auf der rechten Seite den vorderen Teil einer Raute, die kluge Pässe auf Rubin Okotie und Stephan Hain spielen sollte. Denn Fröhling entschied sich erstmals für einen Zwei-Mann-Sturm. Es war ein mutiger Plan, den Fröhling verklausuliert angekündigt hatte: "Wir müssen werden und wollen punkten". Und es war ein Plan, der zunächst nicht funktionierte. Auch weil Okotie keinen seiner Zweikämpfe gewann und der glücklose Hain mal wieder kaum Bindung zum Mittelfeld fand.

Rubin Okotie sieht die fünfte gelbe Karte - im Heimspiel gegen Nürnberg ist er gesperrt

Okotie, der schon zuletzt beim 0:3 gegen Union Berlin nicht geglänzt hatte, sorgte diesmal nur mit einer Szene für Aufsehen, als er mit zu viel Schwung in einen Luftkampf stieg und sich so seine fünfte gelbe Karte verdiente. Das kommende Heimspiel gegen Nürnberg wird er verpassen.

Hain vielleicht auch. Nach 53 Minuten wurde er ausgewechselt - mit Verdacht auf Muskelfaserriss im Oberschenkel. Trotz einer in der Theorie stürmischen Ausrichtung der Münchner entwickelte sich eine zähe Partie. Nach fünf Minuten lief Sechzigs Marius Wolf über die rechte Seite, Alexander Bittroff holte ihn von Beinen. Den fälligen Freistoß trat Wittek mit viel Gefühl aus 30 Metern Entfernung - Patric Klandt musste sich strecken, um den Ball über die Latte zu lenken. Kurz darauf spielte Sechzig schnell durch die Mitte, diesmal war es Christopher Schindler, der von Hanno Balitsch unsanft gestoppt wurde. Wieder gab es Freistoß. Wieder lief Wittek an, diesmal aber senkte sich sein Schuss in Klandts Arme. Bis zu Adlungs schönem Pass von der Mittellinie waren Witteks Freistöße die gefährlichsten Szenen der Münchner. Und sie hatten auch noch Glück, weil Schiedsrichter Christian Dingert ein rüdes Einsteigen von Guillermo Vallori im eigenen Strafraum übersah (24.), das wohl Rot für Vallori und Elfmeter für Frankfurt hätte geben müssen.

Die Frankfurter zogen sich meist weit zurück in ihre Hälfte, ließen Sechzig spielen, passen und kombinieren. Um sie zu locken, und dann blitzschnell umzuschalten. So kam der FSV immerhin zu ein paar guten Möglichkeiten: Einen Freistoß verlängerte Aoudia auf Balitsch, der aus kurzer Entfernung über das Tor schoss (15.). Danach vergab Aoudia zweimal die Chance zur Führung per Kopf (16. und 18.). Nach der Pause wurde das Spiel nicht ereignisreicher; Frankfurts Oumari verpasste mit einem Schlenzer (50.), auch Rama verfehlte aus der Distanz (81.).

Aber dann schlug Adlung den Pass seines Lebens. Einen Pass, der Sechzig noch vor dem Abstieg retten könnte.

© SZ vom 09.05.2015 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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