TSV 1860 München:Sarkasmus in der Kurve

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Sechzig verliert in Freiburg und den Anschluss in der Zweitliga-Tabelle. "Wir steigen ab und ihr steigt auf", singen die Fans.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Im Freiburger Stadion herrschte schon vor dem Anpfiff gute Laune. Dass angesichts von 17 Grad Außentemperatur allen Ernstes Glühwein ausgeschenkt wurde, sorgte bei manchem Zuschauer für Erheiterung. An dieser Grundstimmung sollte sich während des Spiels nur insofern etwas ändern, als dass bei den 2000 Gästefans die Laune immer schlechter wurde, bis der 3:0-Endstand für den Zweitliga- Tabellenzweiten gegen den Tabellenvorletzten 1860 München feststand.

Schon nach dem ersten Freiburger Treffer wurde in der Sechziger-Kurve ein etwa 20 Meter langes Transparent enthüllt, das in schönster Schreibschrift die "Adios 2. Liga-Tour" ausrief. Das alte Plakat aus Zeiten, als Sechzig die zweite Liga noch in die andere Richtung zu verlassen hoffte, bot tiefe Einblicke in die pessimistisch gestimmte Fanseele. Als Jonas Föhrenbach wenige Sekunden vor der Halbzeit das zweite Freiburger Tor erzielte, übernahm Sarkasmus endgültig die Regie. "Wir steigen ab, und ihr steigt auf", schallte es der Freiburger Kurve entgegen.

Münchens Torwart Vitus Eicher (M.) stellt sich den mitgereisten Fans, die einen zehn Jahre alten Banner hissen - damals träumten sie noch vom Aufstieg. (Foto: Deniz Calagan/dpa)

"Ohne Neuzugänge geht es nicht, das ist der einzige Weg."

Dass das 0:2 ein Pausen-Spielstand war, der nicht unbedingt leistungsgerecht erschien, war aus Münchner Sicht also offenbar kein Trost. Außer für Sportdirektor Oliver Kreuzer, der zum wiederholten Male Winterzugänge "für alle Mannschaftsteile" forderte: "Wir hatten die richtige Taktik, haben dann aber Freiburg ohne Not ins Spiel gebracht. Die waren ja schlecht für ihre Verhältnisse." Investor Hasan Ismaik müsse einsehen, dass es "ohne Neuzugänge nicht geht. Das ist der einzige Weg". Auch aus eigenen Mitteln habe man allerdings einen kleinen sechsstelligen Betrag zur Verfügung. Dass Vertreter verschiedener Münchner Zeitung am Sonntag auf Einladung von Ismaik nach London geflogen waren, darüber war der Klub nicht informiert worden. Kreuzer fragte die Journalisten: "Wisst ihr, was da gesprochen wird?" Zu diesem Zeitpunkt wusste es noch niemand.

Und Ismaik hat seine Zitate dann erst für den Montag freigegeben.

Mit seiner Spieleinschätzung indes hatte Kreuzer Recht: Tatsächlich waren es die Freiburger, die nicht in die Partie kamen, viele Aufbau verloren und nur wenig von dem zeigten, was sie bislang zu einem dominierenden Team der Liga machte. Allerdings stellten sich die Löwen beim ersten Gegentor so tollpatschig an wie schon oft in dieser Saison. Ein Kopfball von Immanuel Höhn ging ungehindert durchs komplette Mittelfeld und ermöglichte es Vincenzo Grifo und Maximilian Philipp, die Viererkette mit einem simplen Doppelpass auseinanderzuspielen. Philipp traf, 1:0 (34.).

Wieder mal gepennt: Auch in Freiburg wurde 1860-Trainer Möhlmann von seiner Mannschaft enttäuscht. (Foto: imago/Eibner)

Sechzig, das bis dahin gut im Spiel gewesen war und durch Distanzschüsse von Stefan Mugosa (8.) und Rubin Okotie (30.) gute Möglichkeiten hatte, attackierte nun noch früher und versuchte, die fahrigen Freiburger zu Fehlern zu zwingen. Doch die ereigneten sich zu selten in der Nähe des eigenen Tores, als dass die Münchner daraus hätten Kapital schlagen können. Stattdessen spielten Freiburgs Beste ihre individuelle Stärke aus; ein probates Mittel, wenn das Kollektiv schwächelt. Grifo und Nils Petersen beschäftigten die Münchner Defensive mit Tempodribblings, eines davon schloss der ehemalige Bayern-Stürmer mit einem statten Schuss an den Pfosten ab, den Abpraller verwertete Föhrenbach zum 2:0 (44.). "Da pennen wir und schalten nicht rechtzeitig", ärgerte sich Trainer Benno Möhlmann. Es war ein fataler Pausenstand, zumal der Spieltag aus Löwensicht nicht ungünstiger hätte verlaufen können: Die Siege von Union Berlin und Bielefeld erhöhten den Druck, und da an diesem Montag der 15. Düsseldorf auf den 16. aus Paderborn trifft, wird sich das Tabellenbild weiter verschlimmern.

Möhlmann hatte seine Elf im Vergleich zum 0:2 im Pokal gegen Bochum gleich auf vier Positionen umgestellt: Für Keeper Stefan Ortega sowie Sertan Yegenoglu, Milos Degenek und Richard Neudecker waren Vitus Eicher, Dominik Stahl, Romuald Lacazette und Michael Liendl in die erste Elf gekommen, nun ließ der Trainer sich Zeit mit weiteren Wechseln. Das Spiel war in der 65. Minute sowieso entschieden: Grifo hielt aus 20 Metern drauf und traf.

Die Frage, ob man solche Abschlüsse nicht konsequenter verhindern muss, stellte sich zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr. Das Plakat "Adios 2. Liga-Tour" hing die komplette zweite Hälfte über in der Gästekurve. Dass es vielen Fans die Sicht versperrte, schienen diese eher als Gnade zu empfinden. "Nie mehr zweite Liga" lässt sich schließlich auch ohne freie Sicht singen. "Die Fans standen bisher wie eine Wand hinter uns", sagte Kreuzer. "Da kann ich wirklich verstehen, dass bei ihnen irgendwann so eine Scheißegal-Stimmung aufkommt."

© SZ vom 21.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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