TSV 1860 München:Neuanfang in Meisterleibchen

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Anderer Ansatz: Der frühere 1860-Profi und neue Trainer Daniel Bierofka plant im Abstiegskampf taktische Neuerungen. (Foto: Lennart Preiss/Getty)

50 Jahre nach dem größten Klub-Erfolg droht 1860 der Absturz. Trainer Daniel Bierofka kündigt einen neuen taktischen Ansatz an.

Von Philipp Schneider

Es sind Kleinigkeiten. Sein Händedruck ist wohl etwas kräftiger. Und er trägt nun ein blaues Hemd, der Kragen schaut oben aus seinem Pullover hervor. Aber sonst? Gut, sein Blick. Unbeirrt, geradeaus. Wie als gelte es, den Gesprächspartner mit himmelblauen Laser-Augen zu schmelzen, oder zumindest in Grund und Boden zu kucken. Früher war das anders. Als Spieler sprach und schaute Daniel Bierofka immer so, wie er spielte: sehr schnell, den Kopf nach unten gerichtet. Aber jetzt ist Bierofka ja Trainer eines Zweitligisten. Spontan eingesprungen ist er, um den TSV 1860 München vor dem Absturz in die dritte Liga und damit in die Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Der Trainer Daniel Bierofka sagt: "Ich habe ganz klare Vorstellungen. In gewissen Nuancen kann man davon abweichen. Aber ich werde nicht von der Vorstellung weggehen, wie wir spielen."

An diesem Sonntag (13.30 Uhr) empfängt 1860 vier Spieltage vor Ende der Saison Eintracht Braunschweig. Ein ziemlich später Zeitpunkt ist das, um die Spielweise einer Mannschaft zu ändern und das System zu modifizieren, das die Fußballer gewohnt sind. Andererseits: Die Löwenprofis waren ja bislang nicht sonderlich erfolgreich in dem System, das sie kennen. Es ist also genau der richtige Zeitpunkt, um zumindest in Nuancen vom System abzuweichen, das bis Anfang der Woche noch sein Vorgänger Benno Möhlmann einstudieren ließ, findet Bierofka. Am Freitagvormittag sagt er: "Wir haben heute noch Training, morgen auch noch. Da können wir die letzten Details klären, wie wir spielen wollen. Dann werden wir einen ganz klaren Plan haben."

Im Idealfall findet Bierofka bis Sonntag elf Spieler, die er zu seinem Ebenbild schulen kann

Es verdichten sich die Anzeichen, dass Teil jenes klaren Plans eine offensive Ausrichtung ist. In der U21 jedenfalls, die Bierofka noch bis Montag trainieren durfte, ließ er ein 4-3-3 spielen. Mit diesem System sei er gut gefahren, sagt der 37- Jährige nun, "jeder Trainer hat seine Vorstellungen, wie er spielen will. Die Grundformation sieht man beim Anstoß, im Spiel verschiebt sich sowieso immer alles." Denkbar wäre beispielsweise ein Dreier-Mittelfeld mit Michael Liendl, Kai Bülow und Romuald Lacazette, das eine Offensiv-Reihe mit Daylon Claasen, Sascha Mölders und Valdet Rama bedient. Was er konkret vorhat, verriet Bierofka natürlich nicht, im Gegenteil: Seit Donnerstag hat er seine Löwen weggesperrt, er lässt sie ausschließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit üben.

Drei Tage Geheimtraining?

Davon haben bei 1860 bekanntlich auch vor Bierofka schon Übungsleiter geträumt, nur getraut hat sich keiner. Manch einer mag den ungebremsten Furor der Kiebize vor dem Löwenstüberl gefürchtet haben, aber der Trainer Bierofka hat für derlei Sorgen keinen Anlass. Er weiß ja, dass die Kiebize den langjährigen Löwenspieler Bierofka noch immer im Herzen tragen. "Ich kann als Trainer Erfolg haben, wenn ich offensiv spiele, ich kann als Trainer Erfolg haben, wenn ich defensiv spiele", orakelt Bierofka: "Entscheidend ist, was ich für eine Idee habe. Und wie die Mannschaft diese umsetzt."

Als wahrscheinlich darf in jedem Fall eine Rückkehr des gelernten Linksverteidigers Maxi Wittek erachtet werden, der die vergangenen zwei Spiele wegen einer Kapselverletzung verpasst hatte. "Maxi ist für mich ein wichtiger Spieler, weil er mit sehr viel Herz spielt. Weil er verkörpert, was ich sehen will auf dem Platz", lobt der Trainer. Im Idealfall findet Bierofka bis Sonntag elf Spieler, die er zu seinem Ebenbild umschulen kann. Also zu elf Heißspornen, die emsig den Rasen umpflügen und gehörig Tempo machen über die Flügel. "Die Balance muss stimmen", sagt Bierofka. Er meint die Balance zwischen "Spielern, die schon mal dazwischen hauen können, und Spielern, die für den kreativen Moment sorgen und vorne auch mal ein Eins-gegen-Eins lösen können." Der Spieler Bierofka konnte beides, kreativ sein und dazwischen hauen. Er war ausbalanciert in sich selbst sozusagen.

Guillermo Vallori, 33, und Richard Neudecker, 19, werden ihre Balance bei 1860 dagegen nicht mehr finden: Vallori, dessen Vertrag ausläuft, hat seinen Wechsel zum spanischen Drittligisten Atlético Baleares angekündigt.

Neudecker wechselt ebenfalls ablösefrei - mit bislang unbestätigtem Ziel. Nun bringt es die zweifelsfrei sehr spezielle Dramaturgie dieser Saison mit sich, dass die Spieler bei Bierofkas Debüt in neu aufgelegten Trikots der Meisterlöwen von 1966 auflaufen werden. Dass der größte Moment in der Geschichte des TSV 1860 ausgerechnet in einer Saison sein 50-jähriges Jubiläum feiert, in der der Klub am Abgrund taumelt, war ja nicht geplant. Wenn es blöd läuft, wird den Zuschauern am Sonntag der maximale Kontrast zwischen dem Glanz von einst und der Tristesse der Gegenwart vor Augen geführt. Oder aber Sechzig gewinnt - und die Aktion mit den alten Leibchen gerät zum Sinnbild eines Neuanfangs in den Ruinen der zweiten Liga. In dem Fall wäre Bierofka sicher der richtige Trainer, um den Moment sachlich zu moderieren. Er sei nämlich gar nicht mehr so impulsiv wie früher, sagt er. "Zu viele Emotionen können die Spieler unruhig machen."

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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