TSV 1860 München:Irre Momente

Lesezeit: 3 min

Erst wie Roadrunner, dann wie Hulk: Noor Basha, Vertreter von Investor Hasan Ismaik, nach dem rauschhaften Sieg gegen Kiel auf dem Rasen der Arena. (Foto: Sven Simon)

Nach dem Klassenerhalt stellt sich bei Sechzig die Frage, ob der Klub die wenigen Helden an sich bindet. Womöglich wartet auch der Trainer auf einen großen Knall.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Es gehört zu den Geheimnissen dieser Nacht von Fröttmaning, warum Torsten Fröhling am Ende so aussah wie immer. "Dass es heute nicht so einfach war, sieht man an meinem Gesicht", sagte der Trainer des TSV 1860 München zwar, als er irgendwann auf der großen Bühne saß, um den Journalisten seine Eindrücke zu schildern von dieser packenden Rettung in den allerletzten Sekunden einer desaströsen Zweitligasaison. Aber niemand wusste, was Fröhling damit meinte. Etwas zerknautscht blickte er hinab, das schon. Aber war er zerknautschter als sonst?

Fröhling hatte ja stets geahnt, dass der Abstiegskampf bis zum Ende offen bleiben würde, immer wieder hatte er das betont in der kurzen Zeit, die ihm blieb, um einen vollkommen fehlgeleiteten Traditionsverein vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Und nun war Fröhling beim 2:1 gegen tapfere Kieler ein kleines Wunder gelungen. Als seiner außergewöhnlich jungen und nur aus der Personalnot improvisierten Mannschaft in den letzten Sekunden der Relegation noch der Klassenerhalt gelungen war. "Ich fahre jetzt in den Urlaub", sagte also ein in Anbetracht der Ereignisse erstaunlich gewöhnlich zerknautschter Fröhling: "Ich habe noch bis zum 30. Juni Vertrag. Also komme ich wieder und arbeite." Tatsächlich?

Kai Bülow, der sympathische Fehlerteufel, erwägt einen Wechsel zu seinem Heimatklub

Es gehört zu den vielen Fragen dieser Nacht von Fröttmaning, ob es dem TSV 1860 München diesmal gelingen wird, die wenigen Helden an sich zu binden, die er noch hat. Da wäre Kai Bülow, der sympathische Fehlerteufel, der am Dienstag das wichtigste Tor seines Lebens erzielte und der als Vermittler und Therapeut seit jeher so wichtig ist für das Seelenleben der Mannschaft. Der Vertrag des 29-jährigen Defensivspielers läuft nach fünf Jahren bei den Löwen aus, laut der Ostseezeitung denkt der 2010 von Hansa Rostock nach München gewechselte Bülow über eine Rückkehr zu seinem früheren Klub nach. Da wäre der nimmermüde Daniel Adlung, der in Zeiten einer Mannschaft ohne Hierarchie im richtigen Moment zum Anführer heranreifte - und auf Fragen nach seiner Zukunft nach der Partie gegen Kiel eher im Vagen blieb. Und da wäre Fröhling. Der Trainer, der angetreten war als Notnotlösung, ein stiller und akribischer Norddeutscher, der öffentlich nie ein böses Wort über seine Vorgesetzten verlieren würde. Und der doch auf eine kluge Weise rebellierte gegen die merkwürdige Einkaufspolitik des ehemaligen Spielervermittlers und gegenwärtigen Sportchefs Gerhard Poschner: indem er dessen Spieler einfach nicht mehr spielen ließ.

Es gehört zu den wenigen Erkenntnissen dieser Nacht von Fröttmaning, dass auch Fröhling nicht unter allen Bedingungen weiterarbeiten wird. Womöglich wartet auch er auf einen großen Knall im Verein, nach Art von Kapitän Christopher Schindler, der gesagt hatte: "Nach dem 0:2 am letzten Spieltag in Karlsruhe war Sechzig ein Pulverfass, aber das ist ja auch gut so." Die Mannschaft jedenfalls habe Perspektive, sagte Fröhling: "Wir haben ja am Schluss fast nur mit U21-Spielern gespielt. Es wird keinen großen Umbruch mehr geben, das verspreche ich." Pause. "Soweit ich das garantieren kann." Das war schon allerhand. Denn ob Umbruch oder nicht, das ist eine Frage, die in der geplanten schönen neuen Sechzig-Welt doch eigentlich nur noch der Sportchef zu verantworten haben sollte. Man wollte sich einst "ein Stück weit unabhängig machen vom Trainer", wie Präsident Gerhard Mayrhofer sagte - um dann in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von Poschner zu geraten.

Was die Spieler angeht, die zuletzt als verbliebenes Häuflein der Aufrechten den Klassenverbleib sicherten, ist die Frage nach dem Trainer Fröhling längst entschieden. "Er hat uns immer positive Gedanken mitgegeben", sagte etwa Adlung, "was er und sein Team auf die Beine gestellt haben, das hat sehr großen Anteil an diesem Erfolg." Bülow meinte: "Ich bin ein großer Fan der Arbeit von unserem Trainer." Und Schindler teilte mit: "Er ist ein super, super Trainer, ich hoffe, dass er bleibt."

"Von meiner und auch Hasans Seite aus gibt es keinen Grund, etwas zu ändern", sagt Basha

Dass Poschner bleibt, hofft - entgegen den Bestrebungen des Präsidiums und des Verwaltungsrats des Vereins - der Münchner Investoren-Vertreter Noor Basha. Er ging nach dem Spiel auf dem Rasen im weißen Hemd irgendwann versonnen spazieren wie einst Franz Beckenbauer 1990 in der Nacht von Rom. Zuvor hatten Basha aber die packenden Geschehnisse der zweiten Hälfte offenbar fast in den Irrsinn getrieben, als er, mit aufgerissenem Hemd und Bierbecher in der Hand, wie Roadrunner durch den Sponsorenbereich des Stadions gefegt war. Immer wieder, auf und ab. Ehe er dann, bei Bülows Erlösungstreffer, vor Freude fast platzte wie Hulk auf Drogen. In Momenten wie diesen wird deutlich, wie sehr Noor Basha 1860, wie sehr er seine Arbeit und sein Leben in München liebt. Auch wenn sein Cousin längst plant, seine Anteile am Klub zu verkaufen.

"Er bleibt Sportchef", sagte Basha nach der Nacht der Nächte dem Kicker auf die Frage aller Fragen: auf diejenige also, ob Poschner bleiben wird. Und er sprach gleich für seinen Cousin: "Von meiner und auch Hasans Seite aus gibt es keinen Grund, etwas zu ändern." Ismaik selbst, der sich ja nun bereits mit dem dritten Präsidium überworfen hat, konnte man mal wieder nicht fragen. Warum er auch an diesem wichtigen Abend für Sechzig, an dem sein Investment im Abstiegsfall den größten Teil seines Werts verloren hätte, mal wieder nicht in der Arena weilte, gehörte auch zu den Geheimnissen.

© SZ vom 05.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: