TSV 1860 München:Eine Nacht im Campingstuhl

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Lange Schlange an der Grünwalder Straße: Am Mittwochmorgen wurden Karten am Trainingsgelände verkauft. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Auf die letzten Tickets fürs erste Regionalliga-Heimspiel des TSV 1860 herrschte am Mittwochmorgen großer Andrang - dass der Verein Mitglieder bevorzugte, bekamen viele zu spät mit.

Von Maximilian Länge

Manchmal stellen sich Menschen aus Zuneigung freiwillig in Warteschlagen. Teenager zelten vor Konzerthallen, in denen ihre Idole, die Weltstars, auftreten; Technikbegeisterte sitzen auf den Gehwegen vor Apple Stores und warten auf die Weltpremiere des neuesten Supercomputers. Wenn man diesen Maßstab auf das überträgt, was am Mittwochmorgen auf dem Klubgelände des TSV 1860 München los war, steht es um die Zuneigung der Anhänger zu ihrem Verein nicht schlecht.

Die Arena, sagt einer, war "ein Akt der fußballerischen Unhygiene"

Rund 300 Fans standen in einer Schlange, die von der Eingangstür des Ticketschalters vorbei am Löwenstüberl, bis durch das blaue Eingangstor des Geländes an der Grünwalder Straße hinaus reichte. Die ersten waren bereits um 4.30 Uhr da, um sich eine oder zwei der Restkarten für den Heimauftakt der Löwen gegen Wacker Burghausen am Freitagabend um 19 Uhr im Grünwalder Stadion zu sichern. Regionalliga-Fußball wohlgemerkt - und nicht Champions-League-Weltklasse.

Inge Mörth hat sich extra frei genommen, um für sich und ihre Enkelsöhne Karten zu kaufen. Vor ihr stehen noch fünf Fans - alle in Besitz des Mitgliedsausweises, den Mörth nicht hat. Ihr Mann Rudolf saß bereits um 4.30 Uhr als einer der ersten in seinem Campingstuhl vor dem da noch verschlossenen blauen Tor. "Wir haben das gestern Abend so besprochen", erzählt sie um halb neun. "Ich habe ihn um 6 Uhr abgelöst." Dass Mitglieder beim Kauf der Tickets Vorrang haben, hatte 1860 recht kurzfristig am Dienstagabend auf seiner Website bekanntgegeben. Mörth hört es an diesem Morgen zum ersten Mal. "Ich habe gestern meinen 60. Geburtstag gefeiert", sagt sie und klingt enttäuscht. "Da habe ich von dieser Mitteilung nichts mitbekommen." Aber sie werde der Dinge harren. Man sei ja leidensfähig.

Knapp 100 Meter hinter Inge Mörth, noch vor dem Vereinsgelände, schließen Bernd Müntefering, 61 und Andreas Hiendl, 21, gerade zum Ende der Schlange auf, als ein Kleintransporter durchs Tor fahren will. Der Fahrer, erstaunt über den großen Andrang, ruft aus dem Fenster: "Seid ihr wieder aufgestiegen?" Zum Scherzen aufgelegt sind die beiden Sechzig-Fans an diesem Morgen aber noch nicht - zu groß ist die Unsicherheit, ob noch Tickets verfügbar sind, wenn sie an die Reihe kommen. Hiendl ruft deshalb seine Mutter an, sie solle sich auf der Ticket-Website der Löwen mit seinen Mitgliedsdaten anmelden und dort versuchen, Karten zu ergattern. Doppelte Chance sozusagen.

Müntefering lässt es darauf ankommen. Er wohnt direkt um die Ecke und will sein Glück versuchen. "Die Schüssel lebte nicht, die Arena hatte kein Flair", sagt er. Regionalliga im Grünwalder Stadion hingegen, das sei "Fußball pur".

Um 9 Uhr, kurz bevor der Verkauf beginnt, teilen Ordner die Wartenden auf in zwei Gruppen, links die Barzahler, die ihre Stehplatztickets an einem Biertisch erhalten, rechts die Kartenzahler. Dann geht es ganz schnell, Mörth ist an der Reihe. Doch der Mann an der Kasse schüttelt den Kopf. Sie geht leer aus.

"Viereinhalb Stunden haben wir vergeblich gewartet", schimpft sie. Erfolgreicher ist Susanne Köppler, sie wartete nur wenige Meter hinter Mörth - und strahlt jetzt. Das Anstehen hat sich gelohnt, die 25-Jährige hat die drei Mitgliedsausweise der Familie vorgelegt und sechs Karten gekauft. "Ich bestehe auf meinen Vorteil", sagt sie, "irgendwas muss ich doch von meiner Mitgliedschaft haben." Ihr Vater Konstantin reicht ihr einen Kaffee. Ende der Siebziger hatte er sich erstmals eine Dauerkarte für die Löwen gekauft und knapp 30 Jahre lang behalten. Nur in die Allianz Arena wollte er dann nicht mehr gehen. Der Besuch dort sei ein "Akt der fußballerischen Unhygiene". Das Grünwalder Stadion sei "nicht die Lösung unserer Probleme", sagt er, "aber es ist immerhin nicht das Stadion der Bayern".

Unter den Wartenden werden inzwischen fragliche Deals gemacht. Ein Mitglied, das eben erst aufs Vereinsgelände gekommen ist, hat einem Nichtmitglied weit vorne in der Schlange seinen Ausweis zugesteckt. Im Tausch dafür wechselt eins der zwei Tickets später den Besitzer. "Wir Sechziger helfen uns", sagt das Nichtmitglied.

Auch Inge Mörth kommt am Ende noch zu Tickets für ihre Enkelsöhne. Ein Vereinsmitglied, das mehr Tickets als benötigt gekauft hat, gibt ihr zwei Karten ab.

Online ist wenig später Schluss. Und auch auf dem Biertisch liegen um halb zehn keine Stehplatzkarten mehr. Stand Mittwochabend gab es noch wenige Restkarten für Mitglieder an der Grünwalder Straße und Orlandostraße.

Im Ticket-Andrang ging fast unter, wie Sascha Mölders um kurz vor neun das Trainingsgelände betrat und sich mit einem leisen "Servus" an der Masse wartender Fans vorbeidrückte. Er muss sich wie ein Weltstar gefühlt haben.

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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