Tour de France:Zwischen Dur und Moll

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Tour der Leiden: Sprinter Marcel Kittel hat nun so viele Etappen wie kein Deutscher vor ihm gewonnen, musste aber nach einem Sturz aufgeben. (Foto: Chris Graythen/Getty)

Die deutschen Radprofis erleben historische Siege, schöne Momente - und die Zerbrechlichkeit ihres Erfolgs.

Von Johannes Knuth, Marseille/Paris

Das erste Mal schärft die Sinne, und so saß Maciej Bodnar am Samstag im Pressesaal von Marseille und verfolgte interessiert das Frage-Antwort-Spiel, in dem er jetzt die Hauptrolle einnahm. Wie das halt so ist, wenn man sich für seinen ersten Etappensieg bei einer prominenten Rundfahrt das Zeitfahren am vorletzten Tag der Tour de France aussucht. Bodnar begrüßte erst mal alle Zuhörer: "Hello everybody, ich mache das zum ersten Mal." Dann nahm der Pole alle Fragen aufmerksam entgegen wie ein Forscher, der jeden Zentimeter eines unerforschten Kontinents vermisst. Er erzählte, wie gut ihm der Sieg tue; vor einer Woche hatte ihn das Feld 250 Meter vor dem Ziel eingeholt. "Nach dieser Etappe habe ich gedacht, dass ich noch etwas Schönes schaffen muss." Am Samstag lag er eine Sekunde vor Landsmann Michael Kwiatkowski und wusste: Wer knapp scheitert, genießt es umso mehr, knapp zu gewinnen.

Das letzte Wochenende dieser 104. Tour de France erweckte am Ende den Eindruck, als wolle sich die Rundfahrt noch mal mit Fahrern und Teams versöhnen, die sie zuletzt arg geärgert hatte. Bodnar zum Beispiel, der nicht nur sich, sondern auch seiner oberbayerischen Equipe Bora-hansgrohe ein versöhnliches Ende bereitete. Nicht alle Enttäuschten wurden entschädigt, der Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin beendete seine Spezialdisziplin als Vierter; beim Prolog in Düsseldorf war er ebenfalls Vierter geworden. Als Sportler kennt man keinen dauerhaften Erfolg, manchmal kommen alle Dinge nur kurz zusammen, bevor sie wieder auseinanderfallen. Davon konnten die deutschen Fahrer während der Tour einiges berichten.

Die Veranstalter der Tour hatten große Hoffnungen in den Grand Départ in Düsseldorf gesetzt, Deutschland gilt als Wachstumsmarkt, die Profis mehren seit Jahren Erfolge und WM-Titel. Auch wenn das Skript zunächst nicht aufging, weil Martin sich zu forsch in den Prolog warf. Einen Tag später war es dann Kittel, der in Lüttich gewann. Es folgten vier weitere Siege, der 29-Jährige übertraf Erik Zabels Tour-Etappenrekord (zwölf Siege), übernahm das Grüne Trikot. Und warnte stets davor, wie vergänglich sein Erfolg sei. Auf der 17. Etappe durch die Alpen rauschte Kittel in einen Straßengraben, Tour vorbei.

In dieser Tonart ging es weiter, auf Dur folgte Moll und umgekehrt. Die deutsche Bora-Auswahl gewann am dritten Tag ihre erste Etappe bei der Tour dank Peter Sagan, aber am nächsten Tag war die gute Stimmung schon wieder verdampft: Der Slowake kollidierte mit dem Briten Mark Cavendish, die Jury schloss Sagan wegen eines angeblichen Ellenbogenremplers aus. Die Mechaniker stellten jeden Tag Sagans Fahrrad mit der Startnummer 111 vor den Bus, am Abend reinigten sie es wie alle anderen Räder, aus Aberglaube und wohl auch ein bisschen aus Trotz. Es brachte zunächst wenig. Kapitän Rafal Majka stürzte, der Ravensburger Emanuel Buchmann schulterte in den Bergen plötzlich die Hoffnungen, er war eigentlich als Helfer eingeplant. Buchmann wurde am Ende 15. und deutete an, dass es mit ihm und der Gesamtwertung in den kommenden Jahren durchaus was werden könnte. Dann kam der Samstag in Marseille.

Manchmal waren Sieg und Leid eng verknüpft. Der Australier Michael Matthews vom deutschen Team Sunweb übernahm nach Kittels Havarie das Grüne Trikot und trug es am Sonntag bis Paris. Er gewann zwei Etappen, eine mit einem diskutablen Spurwechsel gegen den Deutschen John Degenkolb. Auch Matthews Teamkollege Warren Barguil war zweimal erfolgreich. Weil dem Franzosen auch das Bergtrikot zufiel, war Sunweb neben Sky eine der bestimmenden Mannschaften der Tour, auch wenn die Auswahl weiter eher niederländisch als deutsch geprägt ist. Teamchef Iwan Spekenbrink wies tapfer darauf hin, dass man gerade viele Ressourcen investiere, um einen deutschen Fahrer für die Gesamtwertung auszubilden. Für André Greipel, Zweiter im Massensprint in Paris, endete derweil eine beeindruckende Serie: Er hatte bei jeder großen Rundfahrt seit 2007 eine Etappe geworden. Bis zum Sonntag. "Generell gab es von deutscher Seite viel Engagement", bilanzierte Tony Martin, aber letztlich sei es Kittel gewesen, der die Bilanz der deutschen Fahrer "mit seinen Siegen so ein bisschen gerettet hat".

Mittelfristig sind sie im deutschen Lager gut aufgestellt, mit Nikias Arndt etwa, der am Freitag in Salon-de-Provence Zweiter sowie am Samstag Siebter wurde und seinen Vertrag bei Sunweb bis 2020 verlängerte. Wie nachhaltig sich das Hoch vom Grand Départ in der Szene niederschlägt, ist freilich ungewiss, die Basis plagen nach wie vor Probleme bei Nachwuchs und Rennen. Kurzfristig können die deutschen Profis das Jahr noch bei der WM veredeln, wobei Martin der wellige Zeitfahrkurs nur bedingt bekommt. Ihn kümmerte das am Wochenende freilich wenig, er müsse jetzt erst mal dieses lauwarme Ergebnis verarbeiten, sagte er. Am Sonntag dürfte er festgestellt haben: Der Sieg ist am Tag danach schon wieder verblasst, die Niederlage aber auch.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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