Tour de France:Zwischen den Schreckensmeldungen

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Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Tour stagniert, die Frage ist nur: Sind die verschärften Kontrollen dafür verantwortlich oder der moderatere Fahrstil des Feldes?

Andreas Burkert

Die ersten Sechs innerhalb von nur 49 Sekunden, das versprach den Puristen des Radsports wirklich ein Spektakel, als die Tour de France nach dem zweiten Ruhetag am Dienstagmittag aus dem Piemont wieder nach Frankreich übersetzte. Nach zwei Wochen mit Dopingaffären und Depressionen waren vor allem die Hauptdarsteller gewillt, ihr Rennen mit den Alpenetappen nach Jausiers (welche gestern der Franzose Cyril Dessel gewann), mittwochs in Alpe d'Huez und schließlich mit dem 53 Kilometer langen Zeitfahren am Samstag nun doch einer sportlichen Entscheidung zuzuführen. Und zumindest vor dem Abschied aus Italien in Cuneo verzichtete der erstmals an der Strecke anwesende Präsident der französischen Antidoping-Agentur AFLD, Pierre Bordry, darauf, wieder den Spielverderber zu geben und verkündete: "Heute gibt es auf meinem Schreibtisch keinen positiven Fall."

Glänzend gelaunt: Stefan Schumacher auf dem Weg zur Alpen-Etappe nach Jausiers, die er über weite Strecken dominierte. (Foto: Foto: dpa)

Die AFLD testet zwar recht fleißig, doch das Labor in Lausanne ist eben hoffnungslos ausgelastet - und die AFLD, betonte Bordry, mache auch während der Tour am Wochenende frei. Das Thema muss also warten, eine Taktik, die sich bewährt hat in der Veloszene. In Spanien harrt ja die Operación Puerto der Aufklärung, wiewohl hier durchsickert, dass pünktlich zum Showdown vor Paris neue Details über neue Kundennamen aus dem alten Fuentes-Netzwerkes veröffentlicht werden könnten.

Das Tempo ist raus

Sicherlich nicht von den Behörden, die Instanzen arbeiten ja überall mit dem Tempo von Schnecken auf Baldrian; auch in Österreich, wo die zumindest fürs Team Rabobank relevante Humanplasma-Affäre totgeschwiegen wird. Und hat nicht Alejandro Valverde, der spanische Klient des Blutdoktors Fuentes, kürzlich vom obersten Sportschiedsgerichtshof eine halbjährige Schonfrist erhalten bezüglich des Einspruchs gegen seinen Freispruch durch den nationalen Verband RFEC?

Bis zur nächsten Schreckensmeldung oder Bestätigung von Vermutetem darf sich die Tour also an der Sekundenjagd der umfangreichen Favoritenliste auf den Gesamtsieg zuwenden. Auch Italiens Gazzetta hat am Dienstag mitgemacht und trotz des unehrenhaften Abschieds der Saunier-Squadra (Meldung rechts) eine Hitliste vermeldet. Ihre Favoriten heißen Cadel Evans, der in Prato Nevoso erstmal entmachtete Australier, sowie der Russe Denis Menschow von Rabobank (siehe oben): vier Sterne. Dahinter folgen der am Dienstag im gelben Hemd abgereiste Luxemburger Frank Schleck, dessen CSC-Kumpan Carlos Sastre aus Spanien (zwei) sowie die hier einmütig ignorierten Bernhard Kohl, Austria, und Christian Vandervelde, USA (je einer).

Dass die Herren bisher so dicht hintereinander im Klassement rangieren durften, erklären sich die Beteiligten erneut mit der Geschwindigkeit. Gemeint ist hier mal nicht die träge Justiz, sondern das Tempo des Feldes selbst - es habe sich merklich reduziert angesichts der erhöhten Kontrollintensität und -qualität. "Vielleicht kommen eben jetzt doch welche auf einem Niveau zusammen", glaubt Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer ( eine Aussage, die Defätisten wieder anders als gemeint auslegen könnten). Doch auch der wegen Jobsuche zum Fernsehzuschauer degradierte Doping-Kronzeuge Patrik Sinkewitz ist nach Ansicht der Bilder der Meinung: "So schnell wie in den letzten Jahren, zum Beispiel letztes Jahr mit Rasmussen und Contador, die alles hochgesprintet sind, sieht das derzeit nicht mehr aus."

"Die Tour durchzustehen, ist keine außergewöhnliche Leistung"

In den Vergangenheit, als Kontrolleure ihren Namen eigentlich nicht verdient hatten, nahm man gerne die Durchschnittsgeschwindigkeit als Beleg für den mutmaßlichen Betrug. Seit 1990 stieg die Durchschnittsgeschwindigkeit rasant an - in der Blütezeit des Blutmittels Epo, dessen Nachfolgegenerationen zurzeit in Mode zu sein scheinen. Der Spanier Miguel Indurain schraubte den Schnitt 1991 auf 39,5 km/h, ehe Seriensieger Lance Armstrong aus gutem Grund auch für eine Rekordflut sorgte: 40,31km/h 1999 (als er nachweislich Epo-gedopt war), 40,95 km/h 2003 und schließlich seine noch aktuelle Topmarke von 2005 mit 41,82 Stundenkilometer.

Die Spanier Oscar Pereiro (2006: 40,79) und Alberto Contador (2007: 39,23) fielen danach wieder ab, auch dieses Jahr dürfte der Schnitt trotz des leicht abgesenkten Profils (19 statt zuletzt im Schnitt 22 Pässe der zweiten oder ersten Kategorien) eher stagnieren. Weil, wie AFLD-Chef Bordry glauben möchte, "die Blutprofile sich bei manchen Fahrern wegen der zahlreichen Kontrollen verbessert haben"? Wunschdenken, müsste man nach den zurückliegenden zwei Wochen entgegnen.

Eher gilt der moderatere Fahrstil des Pelotons als Ursache, ihn haben ja bisher nur die Tempobolzer von CSC ignoriert. "Die Tour durchzustehen, ist keine außergewöhnliche Leistung", sagt inzwischen der frühere französische Toursieger und geständige Doper Laurent Fignon, "aber wenn es darum geht, Sekunden und Minuten herauszuholen, wird es hart." Und auch Herr Bordry hat wohl seine Schlüsse aus dem Rennen gezogen. Am Ruhetag ließ er die italienischen Kollegen sechs Männer von CSC kontrollieren.

© SZ vom 23.07.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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