Tour de France:Schlummernde Wahrheiten

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Ein Neuanfang mit alten Bekannten: Carlos Sastre vom Team CSC gewinnt die Tour, Gerolsteiner-Fahrer Stefan Schumacher erneut das Zeitfahren.

Andreas Burkert

Wieder ein Spanier, zum dritten Mal nacheinander, und wieder Schumacher, der neue deutsche Zeitfahrspezialist. Das sind die nackten Resultate gewesen, welche die Tour de France an diesem Wochenende zu melden hatte. Carlos Sastre gewinnt die 95. Ausgabe des schwersten Rennens der Welt, er löst also Landsmann Alberto Contador ab, und Stefan Schumacher, der kahlgeschorene Schwabe aus Nürtingen vom Team Gerolsteiner, durfte sich nach der entscheidenden Wettfahrt gegen die Uhr zum zweiten Mal als verblüffender Tagessieger feiern lassen. So einfach kann Radsport sein, so klar und schlicht lesen sich seine Nachrichten. Wenn man ihn nur lässt.

Verfolgt "einen sauberen Weg": Der diesjährige Tour de France-Sieger Carlos Sastre mit Champagner auf der letzten Etappe. (Foto: Foto: dpa)

Die Tour de France und das Gros der Wegbegleiter haben Sastre und Schumacher und all die anderen gewähren lassen am Samstag und Sonntag. Und als CSC-Kapitän Sastre für ein paar schöne Bilder posierte, die als schlichte Wahrheit um die Welt gehen sollten, handelte der Madrilene gegen sein Naturell, als er für die Fotografen mit Champagner anstieß.

Am Abend zuvor, auf der traditionellen Pressekonferenz des angehenden Siegers, hatte das Auditorium sein zurückhaltendes Gemüt studieren können, "es fällt mir schwer, meine Emotionen auszudrücken", sprach er dort, "ich bin eher ein leiser Mensch". Seine Stärke sei das Zuhören, er habe "viel von meinen Mannschaftskollegen und unserem Teamchef Bjarne Riis profitiert. Die Kommunikation stimmt und hat mich stark gemacht". Und auch eine andere Vaterfigur seiner Karriere wurde mit Dank bedacht, "Manolo hat mir beigebracht zu leiden und hart zu trainieren", sagte Sastre über Landsmann Manolo Saiz, für dessen Rennstall Once er nach dem Banesto-Engagement bis 2001 fuhr. Saiz, sagte Sastre, "war seiner Zeit zehn Jahre voraus".

Niemand hat ihm in diesem Moment widersprechen können, schließlich stand und steht der knorrige Lehrmeister aus Torrelavega neben dem Dopingarzt Eufemiano Fuentes im Zentrum der weiterhin ungelösten Operación Puerto, die seit Mai 2006 den Radsport traktiert mit schlummernden Wahrheiten. Doch im Gegensatz zu Alberto Contador vor einem Jahr, der als Kunde A.C. in den Puerto-Akten der Guardia Civil verewigt ist, reagierte Sastre am Samstagabend auf die ein, zwei Fragen zum Thema Doping halbwegs entspannt.

"Ich bin sauber, ich verfolge einen sauberen Weg", betonte der 33-Jährige und verwies auf das ambitionierte Antidoping-Programm von CSC, das vom renommierten Doping-Experten Rasmus Damsgaard geleitet wird, "und das spricht doch für sich". (Der zweite Klient Damsgaards, das kasachische Team Astana, entließ soeben den Russen Wladimir Gusew wegen auffälliger Werte). Und von Saiz distanzierte sich Sastre für spanische Verhältnisse geradezu; nur noch selten hätten sie Kontakt, "denn unsere Wege haben sich getrennt, er sieht die Dinge im Radsport heute anders als ich".

Den Versuch eines Neuanfangs mit einem alten Bekannten, der vielleicht seine Vergangenheit hinter sich gelassen hat, so ist Sastres Sieg wohl zu werten. Diese Vergangenheit ist allerdings mit großer Sicherheit befleckt, dies legen seine Stationen nahe. Saiz' Team Once (später Liberty Seguros) war, zumindest dies haben ja die Puerto-Ermittler unwidersprochen beweisen und behaupten können, jahrelang systematisch gedopt. Sastre fuhr fünf Jahre für Saiz, der seine Leute später mit Fuentes bekannt machte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Sastres Meinung über junge Dopingsünder und die Verwunderung des Cadel Evans.

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Die Tour de France 2008 ist beendet. Die letzte Etappe war wie üblich eine weitgehend gemütliche Dienstfahrt.

Es heißt zudem, er arbeitete weiter mit dem umstrittenen Arzt Pedro Celaya zusammen, der über Once und US Postal zu Team Astana gekommen ist. Auch Riis' CSC-Rennstall, wo Sastre seit 2001 fährt, hat mit Anschuldigungen zu leben (siehe Text unten), der Doping-Kronzeuge Jörg Jaksche äußert über 2004, sein Jahr bei dem Dänen, im Spiegel ganz allgemein: "Riis wusste natürlich über Doping Bescheid, er sagte, was Sache ist." Vielleicht hat Sastre deshalb gerade gesagt, jungen Dopingsündern müsse man "eine zweite Chance geben und sie nicht lebenslang sperren".

Am Wochenende des großen Erfolges führten Sastre und Riis dagegen aus, wie erquicklich die legale Zusammenarbeit auf dem Rad und daneben gewesen sei. Der Spanier, gewöhnlich mit 61 Kilogramm Gewicht angegeben, hat nochmals etwa 2000 Gramm abgespeckt, eine Folge des Trainings und der Ernährungstipps des Teamchefs, wie Sastre anmerkte. Dass Riis ein akribischer Tüftler ist, ist bekannt, er hat gerade in der Disziplin Zeitfahren noch jeden schneller gemacht, wie auch Sastre am Samstag nachwies.

"Was läuft denn hier?"

Platz zwölf belegte er nach den 53 Kilometern zwischen Cérilly und St.-Amand-Montrond, wobei er nur 29 Sekunden auf Herausforderer Cadel Evans verlor. Vom verkrampft tretenden Australier, somit wieder nur Gesamtzweiter, waren denn auch der kritischen Töne gegen die Konkurrenz zu vernehmen. "Einige sind erstaunlich schnell gefahren", sagte Evans, "ich erhielt die Zeiten von anderen Fahrern und dachte: 'Was läuft denn hier?'"

Das weiß auch seit dieser Frankreich-Rundfahrt niemand, nicht mal der beeindruckende Tagesbeste Stefan Schumacher. Nachdem sein Erfolg über die kürzere Strecke von Cholet (29 Kilometer) noch erklärbar war, da ihm diese Distanz schon häufiger behagte, wusste sein Teamchef Hans-Michael Holczer am Samstag auch keine rechte Deutung für den erneuten Triumph. Deutlich geschlagen, um 21 Sekunden, wurde ja erneut der Schweizer Favorit Fabian Cancellara, der - ganz gegen den Trend seines dominierenden CSC-Teams - in Frankreich einen reservierten Auftritt hinlegte.

Der ebenso unerwartete dritte Gesamtrang seines österreichischen Leaders Bernhard Kohl komplettierte das Hochgefühl des Herrenbergers Holzer an einem Arbeitstag, der vielleicht sein (vor-)letzter bei der Tour war. Vier Wochen bleiben noch zur Sponsorensuche, ein Süßigkeitenhersteller gilt derzeit als möglicher Kandidat, doch Holczer genoss insgesamt süß-sauer den schönen Moment. "Ich bin versucht zu sagen, der dritte Rang Kohls sei der Ausdruck einer positiven Entwicklung des Radsports", sagte er, um zu ergänzen: "Doch bevor man triumphiert, sollte man besser das Jahresende abwarten."

Der alte Mann Sastre, 33, vor dem Altgedienten Evans, 31, und Kohl, 26, bei dem sich der Manager noch die lauten Jubelgesänge unterdrückt. Mit diesen Nachrichten hat sich die Tour am Sonntag verabschiedet. Vorerst.

© SZ vom 28.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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