Tour de France:Offene Rechnungen

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Der einstige Tour-Sieger Alberto Contador wollte zurück aufs Podium fahren. Jetzt gibt er in den Pyrenäen auf.

Von Johannes Aumüller, Andorra/München

Es war ein Moment, der sich lange angedeutet hatte. Am Morgen schon, als der Sportliche Leiter des Teams Tinkoff berichtete, dass sein Kapitän Alberto Contador an leichtem Fieber leide. Am ersten Berg, als sich der Spanier zum Mannschaftswagen zurückfallen ließ. Und auch am zweiten Berg, als er wieder hinter dem Hauptfeld pedalierte. Bis er offenkundig genug hatte von den Anstrengungen - nach knapp 90 Kilometern der Pyrenäen-Etappe nach Andorra-Arcalis stieg der als Mitfavorit gestartete Alberto Contador am Sonntag aus der Tour de France aus. Es war ein Moment, in dem vielleicht nicht nur das Thema Contador bei der Tour 2016 endete, sondern auch das Thema Contador und die Tour überhaupt.

Abschied kurz vor Andorra: Alberto Contador, 33, verlässt die Tour. (Foto: Yoan Valat/dpa)

Alberto Contador, 33 Jahre und zweimaliger Sieger (2007/2009) der Frankreich-Rundfahrt, hat eine spezielle Rolle im Peloton. Er ist einer der letzten Aktiven, die für eine andere Zeit des Radsports stehen. Viele der Blut-, Testosteron- und Sonstwie-Doper aus den Neunziger- und Nullerjahren, manche Kunden von einschlägig bekannten Ärzten wie Fuentes oder Ferrari sind noch rund ums Peloton aktiv, als Teamchefs oder in einer anderen leitenden Funktion. Diese Funktionäre sind ob ihrer Vergangenheit und ihrer Mentalität auch eines von vielen gewichtigen Argumenten, wegen denen Zweifel an einem sauberen Radsport fortbestehen, selbst wenn mal eine Tour ohne Positivbefund auskommt.

Sieg im Hagel

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(Foto: Peter Dejong/AP)

Der niederländische Radprofi Tom Dumoulin hat bei der Tour de France die Königsetappe der Pyrenäen gewonnen. Der 25-Jährige (Foto: Peter Dejong/AP) vom deutschen Team Giant-Alpecin setzte sich nach fünf fordernden Pässen aus einer Fluchtgruppe heraus durch und feierte in Andorra Arcalis seinen ersten Tour-Etappensieg. Auch für Giant-Alpecin war es der erste Tageserfolg. Top-Favorit Christopher Froome (Großbritannien/Sky) verteidigte im von einem schweren Hagelschauer begleiteten Finale seine Gesamtführung. Einen Tag nach seinem Etappensieg kam Froome an der Seite seines schärfsten Widersachers Nairo Quintana (Movistar) ins Ziel.

Ein paar Aktive aus der Zeit gibt es noch, und Contador ist - neben Landsmann Alejandro Valverde - deren wohl bekanntester Vertreter. Er stand in den größten Betrugsteams wie denen von Johan Bruyneel oder Manolo Sainz unter Vertrag; er geriet in den Verdacht, hinter dem Kürzel "A. C." auf der Kundenliste des Blutpanschers Fuentes zu stecken, was er aber bestritt; er erhielt 2010 eine Zweijahressperre wegen eines Clenbuterol-Befundes, den er vergeblich auf ein Stück verseuchtes Kalbfleisch zurückzuführen versuchte und der zur Aberkennung eines Tour-Titels führte. Im Feld ist er nicht sonderlich beliebt.

Seit dieser Sperre und seiner Annullierung des Titels hat Contador noch eine Rechnung offen mit der Frankreich-Rundfahrt. Er hat nach seiner Rückkehr den Giro gewonnen, die Vuelta gleich zweimal, aber er hat der Welt seitdem beweisen wollen, dass er es auch auf Frankreichs Straßen noch einmal schafft. 2013 kam er auf Rang vier, 2014 stieg er aus, 2015 reichte es für Platz fünf, und nun war er noch einmal zum Tour-Start in die Normandie angereist, um den dritten Gesamtsieg anzupeilen, zumindest aber einen Podiumsplatz. Doch es lief von Beginn an schlecht. Ein Sturz am ersten Tag, ein Sturz am zweiten Tag, eine Wunde an der Schulter, eine Wunde an der Hüfte, ein wenig Zeitverlust selbst auf leichteren Etappen. Aber Contador hatte ein bisschen Hoffnung, dass es sich noch finden würde in den richtigen Bergen. Doch dann kam der Samstag, die erste schwere Pyrenäen-Etappe, der letzte Anstieg zum Col de Peyresourde, eine Tempoverschärfung. Alberto Contador konnte nicht mehr folgen - und manchmal verdichten sich im Radsport Gewissheiten in kleinen Szenen: Als Contador zurückfiel, blieb sein tschechischer Mannschaftskollege Roman Kreuziger in diesem Moment einfach vorne, bei den Spitzenfahrern. Kreuziger war als Contadors Edelhelfer eingeplant. Edelhelfer müssen normalerweise alles tun für den Kapitän. Als Contador etwa nach einem Sturz auf der ersten Etappe Probleme mit seinem Schuh hatte, reichte er ihn an den Teamkollegen Matteo Tossato weiter, der ihn wieder in Form zu bringen versuchte dafür sogar Contadors Schuheinlage zwischen die Zähne klemmte. Edelhelfer müssen ihr Vorderrad hergeben, wie am Samstag geschehen für den Lotto-Anführer Wilco Kelderman. Und natürlich müssen Edelhelfer sich zurückfallen lassen, wenn der Kapitän am Berg Schwierigkeiten hat. Doch Kreuziger fuhr einfach weiter, der zurückgelassene Contador fiel ab und verlor viel Zeit - und somit war die Hoffnung endgültig perdu. Das Fieber am Sonntag war dann nur noch die Krönung dieser für ihn missratenen Tour. Im Radsport ist immer vieles möglich, aber die These, dass es einen Tour-Sieger Contador eher nicht mehr geben wird, ist nicht verwegen. Bei der nächsten Frankreich-Rundfahrt wird er 34,5 Jahre alt sein - er wäre dann der älteste Tour-Gewinner seit dem zweiten Weltkrieg. Das Top-Duo Christopher Froome/Nairo Quintana dürfte noch ein paar Touren bestreiten, ein paar überdurchschnittliche Mitt- und Endzwanziger fahren sich gerade in die erste Klassementfahrer-Reihe. Aber Contador denkt nicht daran aufzuhören. Sein Tinkoff-Team löst sich bald auf, als wahrscheinlichstes Ziel gilt derzeit die Trek-Mannschaft.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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