Tour de France:Klare Sicht im Nebel

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Andy Schleck gewinnt auf dem Tourmalet. Der Luxemburger wollte mit einer Attacke die Gesamtführung an sich reißen, doch Alberto Contador behält Gelb - wahrscheinlich bis zur Zieleinfahrt in Paris.

Andreas Burkert

Die größte Bedrohung für Alberto Contador kam auf vier Beinen daher, was natürlich ein wenig unfair gewesen ist. Aus dem Nebel des Col du Soulur tauchte plötzlich eine aufgeregt blökende Schafsherde auf und sprengte die Spitzengruppe um den Mann im Gelben Trikot, die Wollknäuel hielten trotz fehlender Bereifung ein paar Meter ganz gut mit auf dem regenfeuchten Terrain. Auch die Fahrer sind in diesem Moment aufgeregt gewesen, wie wilde Angstschreie belegten. Sie hatten schließlich gerade Puls 180 in dieser Bergprüfung der ersten Kategorie, und hinter der flachen Begrenzungsmauer ging es steil hinunter.

Der Etappensieger und der Träger des Gelben Trikots in großer Harmonie: Andy Schleck (links) und Alberto Contador Arm in Arm. (Foto: ap)

Ansonsten hat der Titelverteidiger aber souverän die Angriffe auf seine Spitzenposition abgewehrt, für die wieder nur Andy Schleck verantwortlich zeichnete. Zusammen kamen sie auf dem Tourmalet an, Contador überließ Schleck den Vortritt und damit seinen zweiten Tagessieg. Doch die Tour gewinnen wird wohl nur der Spanier, trotz des knappen Vorsprungs von weiterhin nur acht Sekunden. Beim Zeitfahren am Samstag in Pauillac (52km) kann Schleck eigentlich nur mit einem Hilfsmotor vor dem Madrilenen landen.

Im Ziel gratulierten sich die beiden, "ich hatte natürlich Gelb im Kopf, aber Contador ließ sich einfach nicht abschütteln", sagte Schleck. "Normal ist die Tour jetzt entschieden, aber gewonnen hat er natürlich erst in Paris", sagte sein Teamchef Bjarne Riis. Contador, 27, wehrte vorzeitige Glückwünsche ab, "nein, gewonnen habe ich noch nicht".

Der Tag hatte mit einer Reminiszenz an Contadors Unsportlichkeit vom Dienstag begonnen, als er nach Schlecks Kettendefekt attackierte und ihm nur so Gelb entriss. (Der Spanier hat sich nach Schlecks Wutausbruch entschuldigt, ihr Verhältnis gilt nun als befriedet, wenn auch nicht mehr als so intakt wie zuvor, das vermuten auch die Fachleute von L'Équipe). Nach 25 Kilometern lag plötzlich Samuel Sanchez auf dem Asphalt, regungslos und vor Schmerzen jaulend war der Drittplatzierte von seinen Euskaltel-Helfern umzingelt. Und was machte Carlos Sastre, der Toursieger von 2008? Nunja, er attackierte umgehend.

Gutmensch aus Madrid

Einige andere wollten hinter dem Spanier her, aber Contador ist ja nun ein Gutmensch, mit heruntergelassenem Arm blockierte er den Verkehr: Stopp, nicht fahren! Nur Sastre, zuletzt mehrfach vergebens ausgerissen, hatte die Aufregung der letzten Tage nicht begriffen. Schlecks Teampartner Fabian Cancellara schaute ihm kopfschüttelnd nach.

Sanchez, der bis dahin nur zwei Minuten hinter Landsmann Contador lag und angesichts passabler Zeitfahrfähigkeiten ein Podiums-Anwärter ist, kam zurück, vier Helfer chauffierten den mit ein paar Schrammen versehenen Spanier ins bummelnde Feld. Das schwarze Schaf Sastre jagte in seinem hellweißen Cervélo-Hemd den halben Tag einer fünfköpfigen Fluchtgruppe (mit dem Deutschen Marcus Burghardt) nach. Anschluss fand Sastre nicht, und 24 Kilometer vor dem Ziel sah er das Feld wieder, aber nur ganz kurz. Es fuhr grußlos vorbei und ließ den Kollegen zurück. Der 35-Jährige griff entkräftet zum Powerriegel.

Das Rennen der Besten startete am Tourmalet, der ebenfalls in dichten Nebelschwaden lag. Vor hundert Jahren führte die Tour-Route erstmals durch die Pyrenäen, deshalb haben sie die legendären Serpentinen, die in 2115 Metern Höhe enden, ins Zentrum der Schlusswoche gestellt. Aber für die Geschichte hatten Contador und Schleck nun keinen Sinn, es beschäftigte sie die Gegenwart, ihr Duell. Schlecks Saxo-Leute gingen mit Tempo in die 18 Kilometer lange Rampe, Stuart O'Gready, Cancellara und als letzter Jakob Fuglsang erboten ihre Helferdienste. Contador war isoliert, aber jedem war klar, dass am Ende nur die beiden Kapitäne die Sache unter sich ausmachen würden. Schleck beendete das Vorspiel sehr früh und setzte sich schon vor der 10-km-Mark energisch an die Spitze.

Aber Contador folgte ihm spielend. Sanchez (nun 3:32 Minuten zurück) und die anderen Podiumskandidaten Denis Mentschow (3:53) und Jurgen van den Broeck (5:27) kapitulierten.

Provokante Blicke

Im Scheinwerferlicht der Begleitfahrzeuge schaukelten die zwei auf ihren Rädern durch Nebel, Nieselregen und wildgewordene Menschenmassen der Passhöhe entgegen. Schleck radelte bei diesem Bergzeitfahren stets voraus, und es muss ihn genervt haben, wie aufreizend penibel der Rivale darauf bedacht war, an seinem Hinterrad zu bleiben. Allein dies ist ja Contadors Ziel gewesen. Nur einmal griff er selbst an, 3,8 Kilometer vor dem Ziel war das. Aber Schleck, 25, folgte ihm, fuhr auf und schaute ihm provokant ins Gesicht.

Trotzdem, Contador konnte er nicht gefährden, und dass er Schleck den prestigeträchtigen Sieg auf dem Tourmalet ohne Gegenwehr gestattete, ist nur als Fortsetzung seiner Imagekampagne zu werten. Sie gilt allerdings nur der eigenen Sache. Dem Radsport hat dieser Alberto Contador bislang noch keinen rechten Dienst erwiesen.

© SZ vom 23.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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