Tour de France:Der sanfte Herrscher der Tour de France

Cycling - The 104th Tour de France cycling race

Chris Froome mit Sohn Kellan bei der Siegerehrung in Paris.

(Foto: REUTERS)
  • Chris Froome gewinnt zum vierten Mal die Tour de France.
  • Er ist beliebter als früher, auch weil er sich demütig gegenüber dem Rennen zeigt.
  • Sein größter Konkurrent der Zkunft könnte noch in seinem eigenen Team fahren.

Von Johannes Knuth, Marseille/Paris

Ein Brauch bei der Tour de France verlangt, dass der designierte Sieger am Vorabend seiner Krönung den Reportern eine halbstündige Audienz gewährt. Dem ersten Fragesteller fällt also eine verantwortungsvolle Aufgabe zu. Er kann die Emotionen abfragen, die historische Tragweite des Triumphs, frühere Verletzungen, es gibt viele Ansätze. Als der Skirennfahrer Fritz Strobl bei den Winterspielen 2002 gerade die größte Weihe für einen Österreicher erlangt hatte, Olympiagold in der Abfahrt nämlich, inspirierte das einen heimischen Reporter zu der Auftaktfrage: "Uuund Fritz, hast schon mit dahoam telefoniert?" Der alte und neue Tour-Sieger Christopher Froome musste am Samstag keine Auskünfte zu Telefongesprächen geben, als er in Marseille seine Anhörung eröffnete. Dafür hatte ein chinesischer Reporter recherchiert, dass der Brite früher mal der Peking-Rundfahrt beigewohnt hatte. Wann Froome denn gedenke, wieder nach China zu kommen, wollte der Reporter wissen: In Schanghai gebe es auch eine prächtige Rundfahrt.

"Ähm", sagte Froome, "ich wollte eigentlich erst mal nach Paris". Er meinte die zeremonielle Schlussetappe, die der Niederländer Dylan Groenewegen am Sonntag knapp vor André Greipel gewann. Dann ergänzte Froome, sichtlich amüsiert: "Der Radsport wird immer globaler, das ist eine gute Sache. Von da her freue ich mich, bald wieder nach China zu kommen."

Als Sieger einer Tour bekleidet man eben auch eine Art globales Regierungsamt, und Froome erfüllt die damit verknüpften Pflichten längst mit der Souveränität eines Diplomaten. Die Tour war wieder seine, nach 2013, 2015 und 2016. Es war eine enge Geschichte, vor dem letzten Zeitfahren trennte ihn eine mickrige halbe Minute von Romain Bardet (Frankreich) und Rigoberto Urán (Kolumbien). Weil die Route in diesem Jahr zwar viele Tücken, Stürze und hektische Rennverläufe bot, die Fahrer sich aber kaum absetzen konnten, bei schweren Bergankünfte etwa.

Nur Eddy Merckx, Jacques Anquetil, Bernard Hinault und Miguel Indurain waren je besser

Große Spannung ergab sich daraus aber nicht, dafür hatte Froome zu viele Vorteile auf seiner Seite: das beste Team, die größte Erfahrung, die größten Kompetenzen im Zeitfahren, das er am Samstag in Marseille deutlich vor Uran (0:54 Minuten zurück) und Bardet (2:20) beendete. Es hatte in den drei Wochen immer mal wieder gequalmt, Froome verlor auf dem steilen Schlussanstieg in Peyragudes seine Verfolger kurz aus den Augen. Aber am Ende trampelte sein Team Sky alle Brandherde schleunig aus. "Er war sehr ruhig, wie immer", sagte Froomes deutscher Teamkollege Christian Knees. Das war bei dieser aufgekratzten Tour vielleicht nicht die schlechteste Idee.

Viermal hat Froome die Rundfahrt jetzt gewonnen, nur Eddy Merckx, Jacques Anquetil, Bernard Hinault und Miguel Indurain waren mit ihren jeweils fünf Siegen besser. Da steht man dem Peloton qua seiner Vita als Patron vor. Aber Froome interpretiert diese Rolle demütiger als manch Vorgänger. Er ist kein Kannibale wie Merckx, der jede Etappe für sich vereinnahmen wollte, kein Hinault, der eisern über das Feld herrschte und alle öffentlich demütigte, die seine Gebote verletzten. Froome hat seine Kälte, die ihn anfänglich umwehte, längst abgeschüttelt. Er verneigt sich vor der Tour (was der letztlich des Dopings überführte Amerikaner Lance Armstrong nie tat). "Es ist das Rennen der Fans, sie wachsen damit auf. Es ist unglaublich, ein Teil davon zu sein", sagte er am Samstag. Er zieht sich selbst auf, wenn er erörtert, wie spät er in den Sport wuchs: "Ich denke, jeder stimmt mir zu wenn ich sage, dass ich einen eigenen Stil auf dem Rad habe."

Seine Umfragewerte sind im Vorjahr nach oben geschnellt, weil er am berüchtigten Ventoux stürzte, minutenlang auf ein Ersatzfahrrad wartete und in seiner Not den Berg hinaufjoggte. Wie Froome und seinem Team, das alles penibel kontrolliert, plötzlich die Kontrolle entglitt, das unterhielt das Publikum. Aber ansonsten fällt Froome selten aus seiner Fassung; spricht von guten Beinen, dass er von Tag zu Tag schaue, "noch mal alles auf die Strecke bringen muss". Ein bisschen erinnert er dann an die Einserschüler-Mentalität des ehemaligen FC-Bayern-Kapitäns Philipp Lahm. "Er ist einfach ein netter Mensch, der versucht, jedem irgendwie gerecht zu werden", sagt Teamkollege Knees. Ob das Fans sind, die um Autogramme betteln, oder Reporter, die fragen, wann Froome endlich die Tour de Schanghai beehrt.

Die Merkwürdigkeiten in seinem Team moderiert der Brite weg

Bei dieser Tour, berichtete Froome am Samstag stolz, sei er vom Anhang so gut unterstützt worden wie noch nie. Die Fans haben sich offenbar arrangiert mit seiner sanften Dominanz, so sehr, dass ein Bruch in seiner Biografie fast in Vergessenheit geraten ist. Froome hatte die Tour in seinen ersten Jahren als 84. und 36. beendet, er wechselte dann zu Sky, litt fast zwei Jahre an einer Wurmkrankheit - und verwandelte sich plötzlich in einen Dauergast auf den Podien der großen Rundfahrten.

In den Jahren seiner Machtergreifung zog er viele Zweifel auf sich, Fans am Straßenrand bewarfen ihn vor zwei Jahren mit Urin. Sky rückt bis heute keine aussagekräftigen Leistungsdaten von Froome heraus, überhaupt wurde das Team zuletzt von allerlei Merkwürdigkeiten umrankt: von zuvor unbekannte Ausnahmegenehmigungen für Kortisongaben, seltsamen Medikamenten-Lieferungen oder Testosteronpflaster-Bestellungen (war ein Versehen, Ehrenwort!).

Die britische Anti-Doping-Agentur ermittelt. Gründe zum Zweifeln gibt es also weiter genug, Froome musste dazu am Samstag aber nur eine Frage beantworten - die er durchwinkte: "Ich habe damit nichts zu tun." Vielleicht sind die Zweifel auch deshalb verdampft, weil er nicht mehr so überlegen wirkt wie in den Jahren zuvor. Wobei der Kurs diesmal wenig Gelegenheiten bot, Macht zu demonstrieren.

Und jetzt? Froome habe das Potenzial, die Tour auch ein fünftes oder sechstes Mal zu gewinnen, sagte Eddy Merckx am Freitag in Salon-de-Provence beschwingt (nachdem er sich zuvor offenbar ausgiebig dem bekannten Merlotwein der Region gewidmet hatte). Froome bedankte sich artig. Er wisse mittlerweile zu schätzen, wie schwer es sei, eine derartige Dynastie zu errichten. Zumal die Nachfahren im Hintergrund schon um sein Erbe rangeln.

Froomes Teamkollege Mikel Landa wirkte in den Bergen stärker als sein Kapitän, er könnte Sky am Ende des Jahres verlassen. "Es wird sicherlich nicht einfacher, ich schaue von Saison zu Saison", sagte Froome. Und falls dem 32-Jährigen seine Dominanz demnächst tatsächlich abhanden kommen sollte: In Schanghai sollen sie auch eine ganz ordentliche Rundfahrt haben.

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