Tour de France:Der Anstrich verblasst

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Einer für das Giant-Alpecin-Konzept: Tour-Etappen-Sieger Dumoulin entwickelt sich zum Klassement-Fahrer. (Foto: Lionel Bonaventure/AFP)

Giant Alpecin, Rad-Team mit deutscher Lizenz, hat einen neuen Sponsor und wächst überhaupt zügig. Nur in seinem Stammland nimmt es kaum jemand wahr.

Von Johannes Aumüller, Andorra/München

Iwan Spekenbrink hat die Gebirgslage von Andorra gleich für ein paar interessante Parallelen genutzt. Auf 2000 Meter Höhe wolle er 2000 Tage in die Zukunft schauen, so ungefähr tat der Teamchef der Rad-Equipe Giant-Alpecin das am Montag kund. Er verbreitete gute Laune im Wallfahrtsort Meritxell, in den sein Team am ersten Ruhetag der Tour de France geladen hatte - und er durfte für seine Freude zwei Gründe ins Feld führen. Zum einen war seinem Fahrer Tom Dumoulin am Sonntag auf der schweren und vom Hagel geprägten Pyrenäen-Etappe nach Andorra-Arcalis überraschend ein Etappenerfolg geglückt. Und zum anderen konnte Spekenbrink einen neuen Hauptsponsor für sein Team präsentieren. Für drei Jahre unterschrieb der Schweizer Pauschalreisen-Anbieter Sunweb eine Kooperation. In dieser Zeit soll er helfen, Spekenbrinks für Radsport-Verhältnisse ungewöhnlich langfristigen Ansatz umzusetzen: In 2000 Tagen will der Niederländer eine neue Generation deutscher und internationaler Spitzenfahrer entwickeln.

Einerseits ist das natürlich eine erfreuliche Sache für Spekenbrink, wenn in diesen wirtschaftlichen schweren Zeiten, in denen sich von Tinkoff bis IAM Hauptsponsoren und Teameigner zurückziehen, neue Unterstützer finden lassen. Es ist aber andererseits in diesem Kontext auch die Frage, wie es strategisch mit der Equipe weitergeht - und ob es Giant-Alpecin-Sunweb schaffen kann, sich als "deutsches Team" zu positionieren.

Viele im Radsport haben Deutschland als großen Wachstumsmarkt ausgemacht, der Tour-Start 2017 steigt in Düsseldorf, die Deutschland-Rundfahrt kehrt bald in den Kalender zurück, und die Zahl der Spitzenfahrer nimmt zu. Von diesem Trend möchte Spekenbrink profitieren - wie viele andere auch. Schon seit zwei Jahren fährt sein Team mit deutscher Lizenz, aber so richtig verankert ist es in Deutschland bisher nicht. Zwar bildeten in den vergangenen Jahren deutsche Fahrer wie Marcel Kittel, John Degenkolb oder Simon Geschke einen prägenden Block in der Mannschaft, zwar stieg 2015 das Bielefelder Shampoo-Unternehmen Alpecin als Co-Sponsor ein, aber im Prinzip blieb Giant eine Equipe mit niederländischer Leitung, Struktur - und sogar Mannschaftssitz. Als vor ein paar Jahren Telekom und Gerolsteiner Erfolge einfuhren, versammelte sich Deutschlands Radsport-Gemeinde hinter diesen Teams so, wie wenn der FC Bayern oder Borussia Dortmund im Fußball-Europapokal antreten. Das ist bei Giant nicht so. Das Team war in Deutschland gefühlt ungefähr so zu Hause wie so mancher Hamburger Reeder in Panama.

Die Geldgeber kommen - die deutschen Top-Profis gehen

Jetzt verkündete Spekenbrink zwar, dass die Basis seines langfristigen ERntwicklungsprojektes in Deutschland soll - und er betonte auch, speziell deutsche Fahrer ausbilden zu wollen. Aber zugleich gibt es Entwicklungen, die eher in die gegenteilige Richtung zielen. Auf der Fahrer-Ebene reduzieren sich die deutschen Verbindungen. Schon im vergangenen Jahr verließ im Top-Sprinter und neunmaligen Tour-Etappensieger Marcel Kittel ein aktueller deutscher Vorzeige-Radler die Equipe - vorangegangen war ein Streit um die Nichtnominierung des Arnstädters fürs Tour-Aufgebot. Jetzt geht auch noch Allrounder John Degenkolb, der 2015 zwei der wichtigen Frühjahrsklassiker gewann. Er schließt sich nach der Saison wohl der Mannschaft Trek an, wo er deutlich verbesserte Verdienstmöglichkeit im siebenstelligen Bereich haben dürfte.

Die Verantwortlichen bei Giant setzen anders als in den Anfangstagen nicht mehr so sehr auf die Sprinter und Eintagesspezialisten, sondern auf Gesamt- und Bergfahrer. Auf solche Leute wie Dumoulin. Der Zeitfahrer hat sich weiterentwickelt, was bei der vergangenen Vuelta schon zu ein paar Tagen im Leader-Trikot und Gesamtrang sechs führte - und am Sonntag zum Sieg im Pyrenäen-Hagel. Oder den Franzosen Warren Barguil, eine der neuen Rundfahrt-Hoffnungen der Franzosen, der nach den ersten schweren Bergetappen im Gesamtklassement als 15. der am zweitbesten platzierte seiner Landsleute ist.

Fürs Erste bleiben an deutschen Fahrern nur noch Simon Geschke, Niklas Arndt, Johannes Fröhlinger und Sprint-Talent Max Walscheid bei Spekenbrinks Mannschaft. Womöglich schließt sich die vielversprechende Rundfahrer-Hoffnung Lennard Kämna der Equipe an, das würde jedenfalls zur sportlichen wie zur markttechnischen Strategie passen. Aber auch abseits des Sportlichen ist fraglich, wie sehr die Mannschaft ihren deutschen Anstrich behält. Denn ob das Bielefelder Unternehmen Alpecin als Co-Sponsor an Bord bleibt, ist noch ungewiss. "Wir haben etwas aufgebaut, es wäre schön, wenn sie da reinpassen. Wir befinden uns in Gesprächen, es wird relativ schnell eine Entscheidung geben", sagte Spekenbrink. Ein Rückzug von Alpecin würde seine Strategie erschweren. Dazu kommt neue Konkurrenz. Die Mannschaft Bora aus Raubling/Oberbayern kann dank seines neuen Co-Sponsors Hansgrohe den Etat gehörig ausbauen und strebt in die erste Liga. So ist es möglich, dass Giant-Alpecin auch unter dem Namen Sunweb mit deutscher Lizenz fährt - aber noch weniger Leute von einem "deutschen Sieg" sprechen und schreiben würden, wenn Tom Dumoulin noch einmal eine schwere Etappe gewinnt.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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