Tour de France:Auch für Südafrikas Kinder

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Der erfahrene britische Sprinter Mark Cavendish kommt bei der Tour de France überraschend stark zurück - und verfolgt in diesem Sommer ambitionierte Ziele

Von Johannes Aumüller, Limoges/Frankfurt

Der große Eddy Merckx könnte langsam unruhig werden. Der Belgier hält in der Radsport-Welt noch immer zahlreiche Rekorde, unter anderem darf er sich dafür rühmen, die meisten Etappensiege bei der Tour eingefahren zu haben, nämlich 34. Das schien eine dieser Marken für die Ewigkeit zu sein, aber nun muss Merckx mit ebenso großem Erstaunen wie der Rest der Szene feststellen, dass ihm jemand gefährlich nahe rückt.

Es ist schon eine ungewöhnliche Geschichte, die Mark Cavendish, 31, in diesem Sommer abliefert. Vor ein paar Jahren war er unbestritten der schnellste Sprinter der Branche. Aber zuletzt schien er etwas von seinen Fähigkeiten eingebüßt zu haben. Natürlich galt er noch immer als schnell, aber zur absoluten Spitze der Sprinter schien er spätestens nach seinem Wechsel zur südafrikanischen Equipe Dimension Data nicht mehr zu zählen. Doch dann begann die Tour, und seit deren Beginn ist Cavendish wieder ganz vorne zu finden, wenn das Peloton nach den langen Flachetappen zu seinen finalen Geschwindigkeitsjagden ansetzt.

Erst gelang ihm der Sieg auf der Auftakt-Etappe nach Utah Beach, der ihm gleich noch für einen Tag das Gelbe Trikot einbrachte. Danach gewann er auf der dritten Etappe am Montag nach Angers, ein paar Zentimeter nur vor André Greipel (Rostock) und obwohl er einen zu dicken Gang für die ansteigende Zielgerade aufgelegt hatte. Der 28. Etappentriumph war das bereits bei der Tour, mehr hat nur Merckx. "Er ist der beste Tour-Sprinter aller Zeiten, das ist klar. Und ob er den Merckx-Rekord noch knackt oder nicht, ist egal. Das waren sowieso andere Zeiten, andere Rennen", sagte sein Teamchef Rolf Aldag.

Seit Beginn der Tour ist der Sprinter Mark Cavendish (in Grün) wieder ganz vorne zu finden, wenn das Peloton zu seinen finalen Geschwindigkeitsjagden ansetzt. (Foto: Michael Steele/Getty Images)

Seit einem Jahrzehnt ist Cavendish nun Teil dieses Pelotons, und über lange Zeit ist er ein Rätsel geblieben. Da war einerseits stets der Bad Boy und Rowdy, der im Kampf um den Etappensieg schon mal den Sturz eines Konkurrenten in Kauf nahm - und den die Organisatoren der Tour de Romandie wegen einer merkwürdigen Geste schon mal mitsamt seiner damaligen Mannschaft ausschlossen. Und andererseits war da schon immer ein für Sprinterverhältnisse eher klein gewachsener Mann von 1,75 Meter, der sich im persönlichen Gespräch stets sehr freundlich gab.

Es hat jetzt den Anschein, als wolle Cavendish, der wie alle, die von der Isle of Man stammen, den Spitznamen Manxman hat, mit zunehmendem Alter das Einerseits durch das Andererseits tilgen. Ausgeflippt ist er im Sattel schon länger nicht mehr, dafür brachte er zum Tour-Auftakt zu den Siegerehrungen immer Sohnemann David und Töchterchen Delilah Grace mit, ganz rührende Bilder waren das. Und wann immer es möglich war, erzählte er in Utah Beach oder in Angers vor den Kameras und zwischen den Mannschaftsbussen von dem sozialen Auftrag, den seine neue südafrikanische Mannschaft habe. Den Kindern in Südafrika das Radfahren nahe zu bringen, sei doch auch richtig viel wert, findet er.

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(Foto: Jean-Paul Pelissier/Reuters)

Marcel Kittel hat die vierte Etappe der Tour de France gewonnen und damit für den ersten deutschen Tagessieg gesorgt. Der 28 Jahre alte Arnstädter (Mitte, Foto: Jean-Paul Pelisier/Reuters) vom Team Etixx-Quick Step siegte auf dem längsten Tour-Abschnitt nach 237,5 Kilometer in Limoges hauchdünn vor dem Franzosen Bryan Coquard (Direct Energie/rechts) und dem Slowaken Peter Sagan (Tinkoff), der das Gelbe Trikot des Gesamtführenden verteidigte. Kittel lag auf der Zielgeraden zunächst deutlich vorne, danach holte aber Coquard mächtig auf. Schulter an Schulter überquerten beide die Ziellinie, nach dem Zielfoto-Entscheid lag der Thüringer kaum eine Reifenbreite vorne. Für Kittel war es der neunte Etappensieg bei der Tour.

Es hat sich aber auch sportlich noch einmal einiges verändert. Mark Cavendish hat sich für 2016 ein ungewöhnliches Programm vorgenommen. Nach der Tour will er Anfang August bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro reüssieren - allerdings nicht im Straßenrennen, sondern auf der Bahn. Das ist sein ursprüngliches Rad-Metier, wie bei manch anderem britischen Fahrer, zwei Mal schaffte er da schon einen WM-Titel. Jetzt soll noch eine Goldmedaille in Rio folgen. Mentor Aldag, der Cavendish bei insgesamt 25 von dessen bisherigen Tour-Erfolgen betreute, empfindet das als gelungene Ergänzung. Sein Schützling profitiere durchaus von der Olympia-Vorbereitung mit den vielen jungen Fahrern, sagt er.

In jedem Fall reicht es, um auf Augenhöhe zu sein mit den deutschen Vorzeige-Sprintern André Greipel und Marcel Kittel. Zu beiden hat er eine durchaus besondere Beziehung. Mit Greipel stand er vor ein paar Jahren zeitgleich beim Team Highroad unter Vertrag. Aber das Wörtchen Nicht-Verhältnis untertreibt die damalige Beziehung der beiden noch.

Bei den großen Rundfahrten ist pro Team immer nur für einen schnellen Mann Platz. André Greipel hat dem Briten nicht als Anfahrer dienen wollen, Cavendish wiederum genölt, der Deutsche gewinne nur kleine Rennen. (Cavendish fügte neben klein noch ein nicht ganz so nettes Adjektiv ein.) Bald darauf suchte sich Greipel einen neuen Rennstall. Bei Cavendish und Kittel wiederum liegt der Fall so: Noch bis zum Vorjahr fuhr der Brite für Etixx, dann löste ihn dort Kittel als Sprint-Chef ab. Da sind Siege auch immer eine besondere Genugtuung.

Am Dienstag landete Cavendish weiter hinten, auf Rang acht. Aber der Streckenplan bietet ihm noch ein paar Chancen auf Etappenerfolge. Und selbst wenn er die Marke von Merckx dabei nicht schaffen sollte: Cavendish ist zwar schon seit einem Jahrzehnt Teil des Trosses - aber doch erst 31 Jahre alt. Und damit jung genug, um noch das eine oder andere Jährchen dranzuhängen.

© SZ vom 06.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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