Tottenham Hotspur:Englands schlauster Klub hinterfragt sich

Tottenham Hotspur: Dele Alli (l.) feiert sein Tor gegen Newcastle mit Harry Kane (2. v. l.). Beide sind in Tottenham zu den besten Spielern der Liga gereift.

Dele Alli (l.) feiert sein Tor gegen Newcastle mit Harry Kane (2. v. l.). Beide sind in Tottenham zu den besten Spielern der Liga gereift.

(Foto: AFP)
  • Tottenham Hotspur gehört zu den besten Klubs der Premier League, obwohl der Verein selten viel Geld auf dem Transfermarkt ausgibt.
  • Viele Kenner halten die Spurs deswegen für den schlauesten Klub der Insel.
  • Doch die Strategie gefällt längst nicht mehr jeden. Ändert der Verein seine Philosophie, um konkurrenzfähig zu bleiben?

Von Tim Brack

Das Verhalten von Tottenham Hotspur ist eigentlich absurd. Der Klub aus Nord-London, einer der führenden der Branche, gibt in Zeiten, in denen immer höhere Summen den Transfermarkt fluten, kaum Geld für neue Spieler aus. Und trotzdem reihten sich die Spurs in der vergangenen Saison hinter dem FC Chelsea auf Platz zwei ein - in der Spielzeit zuvor wurden sie Dritter. Für Kenner des englischen Markts ist Tottenham deswegen der schlaueste Klub auf der Insel. Bislang.

Die gewitzte Sparpolitik findet längst nicht überall anklang. Ein öffentlicher Angriff kam in der vergangenen Woche aus den eigenen Reihen. Linksverteidiger Danny Rose sah den Erfolg des Klubs in Gefahr, weil Manager Mauricio Pochettino bis dahin im Sommer noch keinen neuen Spieler verpflichtet hatte. Rose wählte ein Interview mit dem Boulevardblatt Sun, um den Tottenham-Bossen seine Meinung zu übermitteln. Man brauche ja nicht zehn Spieler kaufen, sagte er, aber zwei, drei bekannte sollten es dann schon sein. Er bewies durchaus Humor. Es sollen keine Spieler gekauft werden, "die man googeln muss und sich fragt 'Wer ist das?'". Rose wünschte sich namhafte Verstärkungen.

Wenn man so will, sind die Spurs im Sommer der grotesken Transfersummen das spannendste Team im europäischen Fußball. Bleiben sie sich selbst treu? Und werden damit zum Vorbild, dass es auch ohne viel Geld, sondern mit einer schlauen Strategie funktioniert, im großen Fußball mitzumischen?

Das Modell Gareth Bale: billig kaufen, teuer verkaufen

Es war nichts weniger als die Philosophie des Klubs, auf junge, billige Spieler zu setzen, die Rose mit seinem Aufruf hinterfragte. Der Appell dürfte bei Daniel Levy, dem Vorstandsvorsitzenden, allerdings kein Gehör finden. Der 55-Jährige gilt als sparsamer und harter Verhandlungspartner, sein geschäftliches Credo ist dabei wenig originell, aber vehement ausgeführt: Billig kaufen, teuer verkaufen. Prominentestes Beispiel ist Gareth Bale, der für 14,7 Millionen Euro kam und für die damalige Rekordsumme von 101 Millionen Euro ging. Auch wenn Levys Entscheidungen auf dem Transfermarkt nicht immer beliebt waren, lag er häufiger richtig als falsch. Das zeigen die jüngsten Erfolge unter Trainer Mauricio Pochettino.

Die Angst, das sportliche Hoch könne sich aufgrund mangelnder Investitionen einstellen, ist aber nicht haltlos. Meister Chelsea, Gegner am Sonntag (17 Uhr), kaufte für umgerechnet rund 140 Millionen Euro ein, Manchester United für 164,4 Millionen und Manchester City für 244,3 Millionen Euro - davon 57 Millionen für Tottenhams Rechtsverteidiger Kyle Walker. Die Spurs schicken zwar immer noch eine erste Elf auf den Platz, die jeden Premier-League-Klub spielerisch übertrumpfen kann, doch in der Breite sind andere Top-Mannschaften deutlich besser aufgestellt. Der Verein muss sich fragen, ob er noch konkurrenzfähig bleibt, wenn ManCity, ManUnited, Chelsea, Arsenal und auch Liverpool sich weiter verstärken.

Levy kann diese Frage wohl mit Leichtigkeit beantworten. Der kühle Geschäftsmann wird sich nicht vom überhitzten Markt erwärmen lassen, plötzlich Unsummen für neue Spieler auszugeben. Seine Priorität ist Nachhaltigkeit. Von den aktuellen Erstligisten gab Tottenham in den vergangenen fünf Jahren am wenigsten Geld aus und machte neben Southampton und Swansea als einziger Klub Gewinn mit Transfers. Eric Dier oder Dele Alli, die für wenig Geld kamen und entwickelt wurden, sind jetzt bei anderen Klubs begehrt und ein Vielfaches wert.

Die Spurs bauen ein Stadion nach Dortmunder Vorbild

"Gleichzeitig ist die Jugendakademie sehr wichtig", sagt Levy, "weil wir hier unsere eigenen Spieler produzieren können." Diesen Weg geht Tottenham äußerst erfolgreich. Torschützenkönig Harry Kane entsprang dem System, auch der Ersatz für Rechtsverteidiger Kyle Walker kommt aus der eigenen Jugend. Am ersten Spieltag gegen Newcastle United wurde Kyle Walker-Peters, der tatsächlich so heißt, sogar zum "Man of the Match" gewählt. In England ging danach bereits der Witz um, dass die Spurs demnächst auch Walker-Peters teuer verkaufen, um danach mit Kyle Walker-Peters-Smith aufzulaufen. Einen Mann dieses Namens gibt es im Klub allerdings noch nicht.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben, investierte der Verein nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen Pfund in Trainingsanlagen, außerdem wird ein neues Stadion gebaut. Die neue Heimat wird auf dem Grund des alten Stadions White Heart Lane gebaut, die "Gelbe Wand" im Dortmunder Westfalenstadion ist die Inspiration für Tottenhams Südtribüne, auf der 17 500 Fans Platz haben. Von der kommenden Saison an wollen die Spurs in der neuen Spielstätte auflaufen, die dann mit 61 559 Plätzen die größte der Londoner Fußballklubs sein wird. Solange finden die Heimspiele in Wembley statt.

Am Samstag war dann allerdings von einer anderen Investition die Rede bei den Spurs: Der Klub gab die Verpflichtung von Davinson Sanchez bekannt, der Innenverteidiger wechselte von Ajax Amsterdam nach London und unterschrieb einen Sechsjahresvertrag. Der 21-Jährige ist talentiert und passt in das Beuteschema des Klubs. Allerdings ist er teuer, 31 Millionen Euro plus leistungsbezogener Boni von 15,3 Millionen kolportieren englische Medien. Das ist zwar keine Summe, die an die Aktivitäten der Konkurrenz heranreicht - aber ein neuer Transferrekord für Tottenham.

Vielleicht wählt der Klub in Zukunft ja den Mittelweg und gibt etwas mehr Geld aus, für Talente, und vielleicht sogar für den einen oder anderen bekannten Spieler. Googeln musste Danny Rose seinen neuen Kollegen jedenfalls nicht. Sanchez spielte im Europa-League-Finale gegen Manchester United.

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