Tennis: Rückkehr eines Wunderkinds:Scarlett strahlt wieder

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Als Teenager ein Wunderkind, mit 18 gescheitert am Druck der Eltern und des Umfelds: Jetzt ist Scarlett Werner 26 Jahre alt und greift als Tennisprofi nochmal an. Mit Hilfe der alten deutschen Tenniswelt.

Thomas Hummel

Scarlett Werner ist 26 Jahre jung. Und dennoch kommt ein Teil von ihr aus einer alten Tenniswelt. Aus der Steffi-Boris-Welt, als Tennis in Deutschland noch was zählte. Dieses Land spürte einmal große Sehnsucht nach Scarlett. Doch da war Scarlett erst 16 Jahre alt.

Sie will doch nochmal zurück: Scarlett Werner (Foto: Dirk Boettger)

Jetzt sitzt sie in einem Café in der Innenstadt von München, ihrer Heimatstadt, die sie einst verlassen hat. Sie lehnt sich zurück, wirft ihre dunklen Haare nach hinten, breitet die Arme aus und sagt: "Irgendwann sitz ich hier, ganz ausgeglichen." Dabei wirkt sie außergewöhnlich entspannt, obwohl sie gerade am Grab ihres Vaters war, draußen in Pasing. Es sei eine Lebensaufgabe, an sich zu arbeiten, sagt sie. "Ich räume immer mehr auf."

Scarlett Werner hat ihr Tennisjahr auf Platz 403 der Weltrangliste abgeschlossen. Damit ist sie schlechter platziert als Annika Beck, Justine Ozga oder Carmen Klaschka, die der deutschen Sport-Öffentlichkeit kaum bekannt sind. "Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn es besser gelaufen wäre", sagt sie. Aber: "Ich bin glücklich mit dem, was ich mache."

Anfang des Jahrtausends war sie ganz und gar nicht mehr glücklich gewesen. Sie erlebte den Alptraum eines Kindes, das den Erwartungen von Eltern, Trainern, Funktionären, Medien nicht gewachsen war und daran fast zugrunde ging. Damals gehörte sie zu den besten Juniorenspielerinnen der Welt, ihre Mutter betreute sie, Trainer war der Stiefvater. Weil das Land sich nach einer neuen Steffi sehnte, berichteten Reporter über die kleine Scarlett, Sponsoren gaben Geld, IMG übernahm die Vermarktung. Die PR-Maschine sprach vom "Wunderkind", natürlich von der neuen Graf. Mit 16 Jahren durfte sie einmal für das deutsche Fed-Cup-Team spielen. Geld und Ruhm warteten. Wenn Scarlett nur gewinnt.

"Mich hat damals niemand geschützt", erzählt Werner. Verlor sie, sei die Stimmung zu Hause schlecht gewesen. Nach einer Final-Niederlage habe das Umfeld geschimpft, sie werde sowieso nie ein Finale gewinnen. Und schau dir mal die Hingis an, nur ein Jahr älter und schon Weltranglisten-Erste. Druck, Druck, Druck. Scarlett Werner kämpfte bald mit psychischen Problemen, schlug 20 Doppelfehler in einem Spiel. Dann streikte ihr Körper.

Hatte sie Schmerzen, suchte man einen Arzt, der einsah, dass eine lange Pause nicht möglich war. Sie musste durchhalten, sie musste gewinnen. Es folgte ein Ermüdungsbruch. Mit 17 überlebte sie einen Blinddarm-Durchbruch bei einem Turnier in Acapulco nur knapp. Im Jahr darauf lernte sie ihren leiblichen Vater kennen, brach mit Mutter und Stiefvater, verließ München. Und hörte mit dem Tennis auf. Das Spiel lastete auf ihr wie ein Rucksack voller Steine. Sie musste es loswerden.

Mehr als sechs Jahre lang nahm Scarlett Werner kaum einmal einen Tennisschläger in die Hand, sie studierte Medizin. Bis sie ihr Freund Oliver Hildebrandt ermunterte, es noch einmal zu versuchen. Und nun kommt sie alte deutsche Tenniswelt wieder ins Spiel.

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Klaus Hofsäss zum Beispiel, früherer Kapitän der deutschen Fed-Cup-Mannschaft, Betreuer von Graf, Anke Huber, Claudia Kohde-Kilsch. Scarlett Werner flog Anfang 2009 zu Hofsäss nach Mallorca, um vorzuspielen. Hofsäss sollte beurteilen, ob sie nach so langer Pause noch mithalten kann. Er soll begeistert gewesen sein von ihren Schlägen, ihrer Vielseitigkeit, ihren Bewegungen. Werner hat in Mallorca beschlossen, auf die Tennistour zurückzukehren.

Doch geht das überhaupt? Sechs Jahre lang in Bibliotheken sitzen, Kaffeetrinken mit Kommilitonen, ab und zu Joggen - und dann wieder Tennisprofi? "Sie hat nicht bei Null angefangen, sondern im Minusbereich", sagt Freund Oliver Hildebrandt. Ein Sportwissenschaftler half, einen langfristigen Trainingsplan zu entwickeln. Muskeln, Bänder, Gelenke sollten sich an die Belastung gewöhnen. "Man will meistens zu viel von Anfang an. Haut einfach mal drauf, so stark es geht. Der Körper aber ist nicht bereit", erzählt Scarlett Werner, "die Kunst ist, langsamer anzufangen, sich die Zeit geben."

Während sie als Jugendliche nicht schnell genug die Nummer eins werden konnte, jede Niederlage ein Drama war, sollte sie sich nun bei 10.000-Dollar-Turnieren durch die Qualifikation kämpfen. Frühes Ausscheiden inbegriffen. Macht das die Psyche mit? "Ich muss es nicht irgendwem beweisen, ich mache es ausschließlich für mich." Und sie hat 2010 ihre ersten Turniere gewonnen, in Wiesbaden und Braunschweig. "Allein für dieses Gefühl hat sich die Rückkehr schon gelohnt", sagt Werner und strahlt.

Doch ganz so leicht und flockig ist auch das zweite Tennisleben der Scarlett Werner nicht. Bis zu 32 Stunden trainiert sie in der Woche, dazu ist ihr Studium noch nicht beendet. Im Monat entstehen etwa 4000 Euro Kosten für Trainer, Platzmiete und so weiter. Sponsoren geben Geld, wollen aber irgendwann Ergebnisse sehen. Spätestens seitdem das Tennismagazin einen Artikel mit der Überschrift "Wunderkind reloaded" veröffentlichte, verfolgt die Szene Werners Auftritte. In den Internetforen scheint es, als warten manche nur auf Scheitern und neuerlichen Rückzug. Warum also ein Unterfangen, das so vielleicht noch niemand wagte?

"Ich möchte an meine Leistungsgrenze kommen. Wo das ist, werde ich sehen, und damit werde ich leben. Aber ich muss mir dann nicht vorwerfen, aufgehört zu haben, als ich weit weg davon war." Der Ehrgeiz hat sie hinausgetrieben auf die Tennistour. Zu sehen, wie weit sie ihr Talent tragen kann. Hilfe bekommt sie inzwischen von einer weiteren Figur der deutschen Tennis-Geschichte: Günther Bosch. Der Entdecker von Boris Becker ist inzwischen 74 Jahre alt, lebt als Trainer in Berlin. Und sah vor ein paar Monaten Scarlett Werner in der Halle des Berliner Schlittschuhklubs Tennis spielen. "Es hat mir echt imponiert, wie freudig sie an die Sache herangeht", erzählt Bosch.

Doch wegen der Freude allein hat Bosch nicht einen Teil von Werners Trainerarbeit übernommen. "Sie beherrscht alle Schläge, spielt ein sehr schönes Tennis, hat sehr gute Ideen." Werner sei sogar etwas zu verspielt, spiele häufig für das Publikum. Bosch gerät ins Schwärmen. Ein weiterer Aspekt reizt den erfahrenen Trainer: "Ich habe mir überlegt, was da noch drin ist, mit 25", erklärt Bosch, "ich war ja der Meinung, dass alle mit 17 schon die beste Leistung bringen müssen." Doch inzwischen hätten Beispiele wie Davenport, Henin, Clijsters gezeigt, dass Spielerinnen in "höherem Alter" erfolgreich Tennis spielen können. "Und es hat auch Vorteile: Sie ist gewissenhafter, ernsthafter bei der Sache, ohne den diktatorischen Trainer dahinter, der immer schreit: Du musst, du musst, du musst."

Jetzt muss sie nicht. Aber sie will. Das nächste Etappenziel ist, ihre bisherige Bestmarke in der Weltrangliste aus dem Jahr 2003 zu verbessern. Damals war sie auf Rang 279 notiert. Bosch spricht von den Plätzen 120 bis 150, damit könnte sie die Qualifikation bei den Grand-Slam-Turnieren spielen und würde sich "in einer ganz anderen Familie bewegen."

Kurz nach Weihnachten aber hatte die 26-Jährige erst mal ein ganz anderes Ziel: Obergurgl, letzter Ort im Tiroler Ötztal: "Endlich Skifahren!" Scarlett Werner strahlte.

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