Tennis:Die Schwäbin siegt in Schwaben

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Laura Siegemund feiert ihren Sieg in Stuttgart. (Foto: dpa)
  • Laura Siegemund gewinnt in Stuttgart das Finale gegen Kristina Mladenovic.
  • Es ist der bisher größte Moment ihrer Tennis-Karriere. Ihren Sieg verdankt sie vor allem ihrem unorthodoxen Spielstil.

Von Gerald Kleffmann, Stuttgart

Zwei Stunden und 30 Minuten waren gespielt, der von ihr erhoffte Moment war gekommen. Laura Siegemund, Tennisprofi, früh ein Riesentalent, später schon kurz vor der Aufgabe wegen Erfolglosigkeit, dann doch wieder zurückgekommen, sie hatte den Matchball ihres Lebens. Finale beim Stuttgarter Tennisturnier, es ist ihr Heimturnier, regelmäßig wird der Porsche Grand Prix zur beliebtesten Veranstaltung unter den Profis gewählt, es ging hauchdünn zu: 6:1, 2:6, 6:6. Im abschließenden Tiebreak stand es nun 6:5. Für Siegemund, die den Stopp und das Slicen und Schnippeln und Fighten zur Kunstform erhoben hat. Aufschlag Kristina Mladenovic, Return, diesmal kommt der Stopp von der Französin, Siegemund rauscht heran. Schiebt den Ball vorbei, cross. Kurz scheint er im Aus gelandet zu sein. Doch er ist gut, auf der Linie.

Der größte Moment der Laura Siegemund ist nun der an diesem 30. April 2017, als sie hier im Schwabenland stand und den weißen Schläger fallen ließ. Das deutsche Frauentennis erlebt viele Aufs und Abs in letzter Zeit, nur zwei Einheimische hatten es ins Hauptfeld geschafft. Angelique Kerber, klar, die Weltranglisten-Zweite. Und Siegemund, 49. im Ranking, die eine Wildcard erhalten hatte. Weil sie ja auch als Finalistin des Vorjahres ihre Verdienste hat. Weil sie, auch das ein Minifaktor, in Stuttgart lebt und in Metzingen aufwuchs. So international dieses Turnier ist und wahrgenommen wird - am Ende war die Siegergeschichte tatsächlich eine ganz spezielle nationale, ja regionale. Maria Scharapowa, die nach ihrer Dopingsperre auf die Tour zurückgekehrt war und im Halbfinale erst an Mladenovic gescheitert war, war schon längst nach Madrid weiter gereist.

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Ein Spielstil gegen jede Wahrscheinlichkeit

Siegemund hat wahrlich Famoses vollbracht, sie hat ja vorab immer wieder betont, warum sie in Stuttgart so gut ist. Die Fans unterstützen sie, der Boden passt zu ihrem variantenreichen Spiel. Sie hätte am Ende mehr Glück gehabt, sagte sie mit dem Mikrofon in der Hand Richtung Mladenovic, und das stimmte. Aber sie hatte den Triumph auch verdient. Denn wohl keine der aktuellen deutschen Spitzenkräfte hat sich derart selbst aus dem Sumpf gezogen wie diese manchmal aufgedrehte und doch sich selbst so reflektierende Person. Den mutmaßlichen Zusammenbruch der eigenen Karriere, nachdem alle schon von der neuen Steffi Graf gesprochen hatten, muss man erst mal wegstecken. Die Tränen, die Siegemund vergoss, durfte sie sich gönnen. Sie hat sich mit dem Sieg bei sich selbst bedankt.

"Es war wirklich gigantisch. Das ist der schönste Moment gewesen, der schönste Tennismoment für mich", sagte Siegemund später. Und zum Spiel: "Immer wenn mir das Wasser bis zum Hals stand, konnte ich eine Schippe drauflegen."

Es war ein typisches Siegemund-Match. Siegemund-Matches sehen im Idealfall so aus, dass sie selbst ein Störfeuer an Schlägen loslässt, während die Gegnerin versucht, irgendwie damit klarzukommen. Ein Beispiel für das Unorthodoxe: Siegemund spielt einen Stopp, er gelingt. Die Gegnerin denkt, jetzt wird so schnell sicher kein zweiter Stopp kommen. Siegemund spielt gleich wieder einen Stopp. Wie groß mag aber wohl die Wahrscheinlichkeit im Frauentennis sein, dass drei Stopps in Serie gespielt werden? 1:200 000? 1:2 Millionen? Siegemund ist diese Eine unter sehr vielen, die auch den dritten Stopp dann wagt und den vierten und den fünften.

Pitsch, patsch, ist der erste Satz vorbei

Mladenovic ist eine stolze, selbstbewusste Athletin. Aber im ersten Satz war ihr anzusehen: Sie war irritiert und verwirrt und vielleicht auch eine Spur zu lässig. Sie konnte aktiv wenig versuchen, weil Siegemund meist taktisch einen Schritt voraus zu schien. 3:0 nach 12 Minuten, 5:1 nach 26 Minuten. Das letzte Spiel, pitsch, patsch, 28 Minuten, 6:1.

Der zweite Satz verlief ausgeglichener, das berühmte Aufbäumen, das Sich-gegen-eine-Niederlage-stemmen, das Mladenovic nun als letzte Chance blieb, veränderte den Charakter der Partie. Mladenovic ging in Führung, 1:0, es war ihre erste überhaupt, klar. Das kann Auftrieb geben. Wenn es eine Qualität gibt, die Siegemund aber in diesem Turnier auszeichnet, ist es ihre Gabe, fokussiert zu bleiben. Das hob sie auch oft als eine ihrer Vorsätze vor: nicht das Ziel aus den Augen verlieren, dem Matchplan vertrauen, der so effizient ist gegen die Besten der Branche. In Stuttgart hat sie nun in zwei Jahren sechs Top-Ten-Spielerinnen besiegt.

Große Namen würden sie aber nicht extra motivieren, analysierte sie auch dazu kühl. Es käme eher darauf an, ob ihr die Spielweise einer Gegnerin liege. Siegemund beschäftigt sich mit allem. Das ist wohl das, was man professionell nennt. Sie hat im vergangenen Jahr ihre Schlägerhaltung geändert. Das macht in dieser Karrierephase kaum jemand, sie hielt das für nötig. Nun trägt sie Kompressionsstrümpfe bis zu den Knien, sie sieht damit aus wie eine Hockeyspielerin. Aber der Look ist ihr egal. Wenn es sie nur ein Prozent länger rennen lässt, sagte sie, helfe es eben ein weiteres Prozent auf dem Platz.

Ein heikler Strafpunkt, aber Siegemund sammelt sich schnell

Siegemund glich aus, 1:1, aber nun besann sich Mladenovic. Sie steigerte Mut, Präzision, Aggressivität, ließ sich nicht mehr überrumpeln. Variierte selbst mehr, das kann sie ja auch wie nur wenige. Tempo rausnehmen, und dann, wusch, die Linie entlang! Break zum 3:1, dann 5:2. Noch ein Break, 6:2 für Mladenovic. Bei Siegemund hatten sich nun mehr Fehler eingeschlichen, es hat ja auch seine Gründe, warum sie nicht in den Top 20 steht, sondern bislang in den Top 40. Konstanz ist der eine Punkt, der ständige Flirt mit dem Risiko auf dem Platz der andere. Ihre Bälle platziert sie oft im Grenzbereich, knapp hinters Netz, knapp an die Linie, und das aus allen möglichen Lagen, mal geblockt, mal mit Slice, dann wieder mit Spin. Da streut man automatisch mehr.

Dritter Satz: Wer würde konzentrierter sein? Es ging hin und her, beißen bissen, lange gab es kein Break, ehe Siegemund eines gelang, zum 5:4. Sie schlug zum Sieg auf. Da geschah etwas Ungewöhnliches. Die Schiedsrichterin gab ihr wegen Zeitspiels eine Verwarnung, und weil es die zweite war, kassierte sie einen Strafpunkt. 15:40 statt 15:30 also. Mladenovic glich zum 5:5 aus. Siegemund sammelte sich, schaffte es in den Tiebreak. 4:1 für Mladenovic. Sollte die 23-Jährige dieses Match gewinnen, wäre dies auch für die Französin der größte Erfolg gewesen. 4:1 geht sie in Führung. Aber Siegemund ist die Aufsteherin. Sie wehrt sich, sie überprüft auch Abdrücke im Sand gerne, sie kämpft auch am Sonntag mit ganzer Leidenschaft. Sie wusste: So eine Chance kommt so schnell nicht wieder. Vielleicht nie.

Also kämpft die Schwäbin noch entschiedener. Erarbeitet sich einen Matchball. Und verwandelt ihn. Kurz darauf sagt Mladenovic: "Das war ein wahnsinniges Level von dir." Da können die 4500 Zuschauer nur noch zustimmend klatschen. Und Siegemund schaut immer noch ungläubig.

© SZ vom 30.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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