Tennis:Der Steffi-Graf-Vergleich ist schief

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Angelique Kerber: Hat sich klug hinterfragt Ende 2015 (Foto: Getty Images)

Angelique Kerber bloß für eine zweite Steffi Graf zu halten, ist falsch. Die aktuelle Weltranglisten-Erste spielt in ihrer eigenen Liga.

Kommentar von Gerald Kleffmann

Schmeling, Beckenbauer, Langer, Becker, Graf, Schumacher, Nowitzki. Der Klub deutscher Heroen ist elitär besetzt, nicht nur Erfolge entscheiden ja darüber, ob eine Nation mitfiebert, als kämpfe das eigene Kind um Triumphe. Auch und gerade das Charisma, die Persönlichkeit, die Identifikationsmöglichkeit beeinflussen Volkes Liebe oder Nicht-Liebe zu einem Athleten. 2016, nach einem atemraubenden Jahr, stellt sich die Frage: Wo reiht sich Angelique Kerber in der Ahnengalerie mal ein? Eine Antwort gibt Barbara Rittner. "Angie ist keine Lichtgestalt wie Beckenbauer oder Becker. Aber sie steht über vielen anderen." Die Schlussfolgerung der Fed-Cup-Teamchefin: "Sie ist in ihrer eigenen Liga - der Kerber-Liga."

Ja, eine eigene Kategorie zu bilden, ist tatsächlich der beste Weg, um Kerber gerecht zu werden. Sie hebt die Besonderheit der Siege hervor, ohne diese durch schiefe Vergleiche etwa mit den unerreichbaren Rekorden von Graf zu schmälern. Kerber verweist oft genug darauf, dass sie ihr Idol nie wird übertreffen können, schon ihr Alter von 28 Jahren spricht gegen das Erreichen einer Bilanz von 22 Grand-Slam-Titeln.

Aber Kerber darf sich viel darauf einbilden, dass sie sich als etablierte Weltklasse-Spielerin nicht nur von den deutschen Kolleginnen so klar und raketenhaft abgesetzt hat. Sondern dass sie Ende 2015 auch willens war, sich trotz neun Millionen Dollar eingespielten Preisgeldes zu hinterfragen, warum es für den letzten Schritt zu funkelnden Pokalen nie reichte. Sie hat ihre innere Neujustierung hin zu mehr Zutrauen an die eigenen Stärken selbst eingeleitet und ihre Rolle als deutsche Botschafterin selbst erreicht. Sie ist keine Graf II, keine Steffi reloaded. Sie ist Angie, die Erste. Eine Arbeiterin, die nie nachlässt und wenig verkompliziert.

Ihr Draht zu Graf ist im Übrigen nicht so heiß wie oft dargestellt. Natürlich verkauft sich die Story "Graf formt Kerber zum Champion" besser. Fakt ist, wie ein Insider sagt, dass sich die zwei schieflachen darüber, was aus zwei, drei gemeinsamen Trainingssessions alles abgeleitet wird. Öffentlich, das zeigt, wie sehr Kerber gereift ist, lässt sie der Welt den Glauben an das Bild der im Hintergrund an Strippen ziehenden Super-Mentorin. Frei nach dem Motto: Wenn es alle glücklich macht? Das Wichtigste, damit 2017 ihre Erfolgsgeschichte weitergeht, ist ja ohnehin, und das weiß sie am besten: Kerber muss Angie bleiben. Und zwar die Erste. Die mit der eigenen Liga.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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