Stuttgarter Kickers:Der Niedergang des Blauen Adels

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Längst versunkene Bundesliga-Zeiten: Kickers-Profi Alois Schwartz (rechts) versucht Bayern-Spieler Stefan Effenberg zu folgen. (Foto: imago/WEREK)
  • Die Stuttgarter Kickers gehörten lange zum festen Inventar im deutschen Profifußball und blickten auf den erfolgreicheren Stadtrivalen VfB stets hochnäsig herab.
  • Große Spieler kickten für den Pokalfinalisten von 1987: Allgöwer, Buchwald, Klinsmann, Bobic oder Prosinečki.
  • Nun steigen die Kickers nach Jahren voller Fehlentscheidungen erstmals in die fünfte Klasse ab.

Von Matthias Schmid

Bereits im März 2016 waren die Stuttgarter Kickers strenggenommen im Amateurfußball angekommen. Es war mehr als ein Menetekel für die fortschreitende Bedeutungslosigkeit des einst so stolzen Erstligisten im deutschen Fußball, als der Gegentribüne des Waldau-Stadions das Dach abmontiert werden musste, von wo aus die treuesten Fans die Spiele verfolgen. Einsturzgefahr! Die tragenden Holzelemente waren durchgefault und mussten entfernt werden, das Trägergerippe blieb aber stehen, was den Eindruck morbiden Verfalls noch verstärkte.

"Die größte Schande in 119 Jahren!!!" So stand es auf einem Plakat geschrieben, das die verbliebenen Sympathisanten der Kickers am vergangenen Samstag beim bedeutungslosen 3:1-Sieg gegen den FSV Frankfurt am letzten Spieltag der Regionalliga Südwest mit viel Krach und Rauch entrollten. Mit ihrer Botschaft meinten sie nicht das traurige Provisorium, sondern den nun amtlich feststehenden Abstieg des Klubs in die Oberliga, zum ersten Mal in der Vereinshistorie findet sich der deutsche Vizemeister von 1908 in der fünften Liga wieder.

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Axel Dünnwald-Metzler, so erzählen sich ältere Beobachter heute, könne froh sein, dass er diese Tristesse nicht mehr erleben muss. Dünnwald-Metzler, ein distinguierter Unternehmer und lange Jahre Präsident der Kickers, steht wie kein anderer für die Haltung und die Erfolge des Klubs, für die zwei jeweils einjährigen Gastspiele in der Bundesliga und das Pokalfinale 1987 (das gegen den HSV 1:3 verloren ging), für den "Blauen Adel" in Degerlochs Höhen, die auf die Roten unten im Talkessel stets hochnäsig hinabgeschaut haben.

Mit blauer Krawatte ins Stadion

Die Kickers im Stuttgarter Fußball waren die Reichen und Schönen aus der Nobelwohngegend Waldau, die ihr Image bis in die neunziger Jahre hinein kultivierten, indem sie mit blauer Krawatte auf den Fußballplatz gingen, während die Leute, die dem VfB aus dem Arbeiterstadtteil Bad Cannstatt nahestanden, die rot-weißen Fahnen schwenkten und zerrissene Jeanswesten mit VfB-Logo als Kutte trugen. Erfolgreicher war stets der VfB, aber für etwas Besseres hielten sich immer die Kickers, die in der Spielzeit 2000/2001 letztmals in der zweiten Liga mitspielen durften.

"Es wurde Tradition", so steht es in der Chronik des 1899 gegründeten Vereins, "den Sport in anständiger Weise zu betreiben und sein Wesen und seine Auswirkung stets von höherer Warte zu betrachten." Dünnwald-Metzler war diese Tradition ein großes Anliegen. "In unserem Verein", wiederholte er bei jeder Gelegenheit, "ist der gehobene Mittelstand zu Hause." Etwas bieder, aber auch stilvoll. Solide, aber auch wohlhabend. Rechtschaffen, aber auch clever. Schwäbisch durch und durch.

Es ist wohl kein Zufall, dass der Fernsehturm fast neben dem Kickers-Stadion aus den Wäldern wächst. Die Jugendspieler, die im Klub ausgebildet worden sind, haben stets nach Höherem gestrebt. Irgendwann wurde ihnen der schöne, aber notorisch erfolglose Klub zu klein. Sie gingen dann hinunter ins Tal, um als Fußballer aufzusteigen und etwas zu werden. Nationalspieler und deutsche Meister wie Karl Allgöwer zum Beispiel. Oder sie gewannen gleich die Weltmeisterschaft wie Guido Buchwald und Jürgen Klinsmann, wurden aber mindestens Europameister wie Fredi Bobic. Oder Europapokalsieger der Landesmeister wie Robert Prosinečki.

An die Geschichte des gebürtigen Schwenningers erinnern sie sich hier noch immer mit so großem Amüsement zurück wie an den unvergesslichen 4:1-Sieg im Oktober 1991 in der Bundesliga beim FC Bayern, der zur Entlassung von Jupp Heynckes führte. Sechs Jahre hatte der heute 49-jährige Prosinečki in der Kickers-Jugend verbracht, ehe sie ihn fortschickten, weil der damals Elfjährige für nicht gut genug befunden wurde. Er zog weiter zu Dinamo Zagreb, wo er schließlich bei Roter Stern Belgrad seine Weltkarriere startete, die ihn unter anderem zu Real Madrid und dem FC Barcelona führte, zu Ruhm, Geld und den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft mit Kroatien 1998.

Bei den Kickers tauschten sie die Trainer schneller als beim HSV

Nach dem Tod des Patriarchen und Mäzens Dünnwald-Metzler im Jahre 2004 verloren die Kickers ihre Anziehungskraft bei den Bankern und Industriellen, die mit ihnen feierten und sie auch finanzierten, als sie 1988/89 und 1991/92 zwei Jahre der Beletage des deutschen Fußballs angehörten. Die Kickers tauschten nach dem Zweitligaabstieg ihre Trainer schneller aus als der Hamburger SV, der Schuldenberg wuchs, weil sie das Ziel Bundesliga niemals aufgaben. 2015 verpassten sie den Aufstieg mit Horst Steffen nur knapp, ein Jahr später folgte der Absturz in die Regionalliga, auf den niemand vorbereitet war und von dem sie sich nicht mehr erholten.

"Die Marke Stuttgarter Kickers ist trotz allem nicht kaputt", sagt Kickers-Präsident Rainer Lorz. Der Wiederaufstieg - zumindest in Liga vier - ist das erklärte Ziel. Die Gegner in der Oberliga heißen erst einmal: 1. Göppinger SV und TSG Backnang, aber auch SSV Reutlingen. Noch so ein schwäbischer Krisenklub. Zumindest werden die Zuschauer im Stadion auf der Gegentribüne von Herbst an nicht mehr im Regen stehen. Der Gemeinderat hat ein neues Dach genehmigt. Das ist endlich mal wieder eine gute Nachricht für die Stuttgarter Kickers.

Korrektur: In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, dass die Stuttgarter Kickers im Jahre 1987 das Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt verloren hatten. Das ist falsch. Richtig ist, dass sie dem Hamburger SV 1:3 unterlegen waren.

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