Tour de France:Der Radsport glaubt an seine Zukunft

Lesezeit: 3 min

Tour de France im Jahr 2017: Umjubelt von etlichen Zuschauern an der Strecke (Foto: Getty Images)
  • Zum Auftakt der Tour de France strömen Zuschauermassen an die Strecke, der Präsident des Weltverbands UCI ist von der Atmosphäre begeistert.
  • Wie sehr das der Szene neue Kraft spendet, bleibt abzuwarten.
  • Die aktuelle Etappe im Liveticker finden Sie hier.

Von Johannes Knuth, Düsseldorf

Zuerst ist da nur ein Zischen. Dann, plötzlich, saust der Fahrer um die Ecke: rummms. Patrick Bevin ist in der Linkskurve nahe der Rheinkniebrücke das Rad weggerutscht, er ist über den Asphalt geschlittert, den der Regen mit einer schmierigen Schicht überzogen hat, und ins Absperrgitter gerauscht. So stark, dass das Gitter die Zuschauer nach hinten drückt. Für einen Moment sind die Menschen still, als hätte jemand mit der Faust auf den Plattenspieler gehauen. Langsam schüttelt Bevin den Schreck aus den Gliedern, ein Betreuer pflückt eine neue Maschine vom Begleitwagen. Er rollt langsam weiter, die Zuschauer klatschen und johlen, lauter als zuvor.

Diese kleine Episode der Unbeugsamkeit passte recht gut zum Prolog der Tour de France am Samstag in Düsseldorf, beim ersten Grand Départ in Deutschland seit 30 Jahren. Die Bedingungen hätten ja kaum schlechter sein können. Am Samstag hatte sich ein dichter Vorhang aus Regen über die Stadt gesenkt, der sich nur ab und zu hob. Diverse Fahrer stürzten, die meisten im Linksknick, in dem es Bevin erwischte - und den die Organisatoren nicht zusätzlich gesichert hatten, warum auch immer. Bevin kam ohne Gehirnerschütterung davon, wie auch immer. Schlimmer traf es Rick Zabel, ihm rissen zwei Bänder in der Schulter. Am Sonntag stürzte er erneut, in jenem Auffahrunfall, der das Feld kurz vor dem Ziel erfasste. Noch heftiger traf es Alejandro Valverde, der Spanier rutschte mit den Beinen auf die nackten Gitter zu. Kniescheibe gebrochen, Tour beendet, nach nicht mal zehn Kilometern, wie auch für den Spanier Ion Izagirre.

700 000 Gäste wollte Düsseldorf eigentlich begrüßen, mindestens; der Grand Départ hatte zuletzt ja immerhin schon vor 30 Jahren in Deutschland Station gemacht. Knapp 500 000 wurden es, die in den Regen hinauszogen, aber die konnten von sich behaupten, ihrer Bürgerpflicht nachgekommen zu sein. "Wahnsinn", befand der Deutsche Marcel Kittel beim Prolog, nach dem er sich nach erster Anamnese einen "Hörschaden" diagnostizierte. Tony Martin konnte keine körperlichen Schäden geltend machen, die Zuschauer seien bei ihm aber zumindest so laut gewesen, versicherte er, dass er die Funkanweisungen aus dem Begleitwagen nie verstanden habe. Auch am Sonntag, als sich die Tour durch Neuss, Mönchengladbach und Aachen gen Lüttich schob, waren viele Städte derart gut besucht, als würden sie die Zieleinfahrt beherbergen. Brian Cookson, Präsident des Weltverbands UCI, war von diesen atmosphärischen Hochrechnungen derart begeistert, dass er zum Sport-Informations-Dienst sagte: "Das demonstriert das neu gewonnene Vertrauen der Deutschen in den Radsport."

Wie sehr das knappe Gastspiel der Szene neue Kraft spendet, bleibt freilich abzuwarten. Vor allem die kleinen Biotope tun sich zehn Jahre nach den Dopingbeben noch immer schwer; lokale Rennen und Nachwuchsarbeit hängen am Engagement einzelner. Wenn es sie überhaupt noch gibt. Aber den Profis ging es schon mal schlechter. Sponsoren investieren wieder, die deutschen Teams Sunweb und Bora-hansgrohe rechnen sich in Frankreich gute Chancen aus, wie die vom Erfolg oft heimgesuchten Sprinter Marcel Kittel und André Greipel. Er habe stets an diesen Aufschwung geglaubt, sagte Boras Teamchef Ralph Denk in Düsseldorf, "weil es der liebste Sport der Deutschen ist, in der Freizeit". Nicht, dass ihn der derzeitige Anti-Doping-Kurs der UCI zufrieden stellt. "Wir müssen unabhängiger werden, und wir brauchen mehr Geld", sagte Denk.

Sponsoren würden viel Geld in den Sport leiten, aber selten für Anti-Doping-Bemühungen. Vielleicht, so Denk, müssen man "da mal über eine Art Zwangsabgabe diskutieren". Letztlich, glaubt er, werde der Sport erst dann wieder ins Bewusstsein der Deutschen drängen, wenn sich ein Fahrer um die Gesamtwertung bei der Tour bewirbt. Das deutsche Publikum mag nun mal die, die länger über ihrem Sport thronen. Ob das erstrebenswert ist, bleibt eine andere Frage, auch die jüngsten Tour-Sieger zogen mit ihren Leistungen oft Verdacht auf sich. Vielleicht, sagte Martin in Düsseldorf, sei es auch gut so, wie es gerade sei: "Wir sind auf einem Weltklasse-Niveau", sagte er, mit Sprintern, Zeitfahrern und Klassiker-Experten: "Ich finde es ein Stück weit schade, dass es oft auf die Gesamtwertung reduziert wird."

Kritik gab es auch an der Gästeliste des Veranstalter in Düsseldorf. Jan Ullrich, Deutschlands Tour-Sieger, der seine Dopinghistorie bis heute kaum erörtert hat, war nicht nach Düsseldorf geladen (wobei er geltend machte, vorher abgesagt zu haben). Andere Recken wie Jens Voigt schon, er war einst vom Kronzeugen Jörg Jaksche belastet worden. Eine Positivprobe ist nicht verbrieft, nur: als vor vier Jahren Proben von der Tour 1998 ausgewertet wurden, reichte Voigts Urinmenge nicht mehr für eine Analyse aus.

© SZ vom 03.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Start der Tour de France
:Düsseldorf feiert den Schein

Der Radsport hofft beim Tour-Auftakt in Düsseldorf auf eine neue Ära der Begeisterung. Doch Experten glauben: An der Doping-Kultur hat sich nur wenig geändert.

Von Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: