SpVgg Greuther Fürth:Die zweite Karriere

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Im Sommer 2014 hatte Ilir Azemi, damals einer der begehrtesten Stürmer der Republik, einen schweren Autounfall. Inzwischen trainiert er mit der U23 - sein vorerst größter Triumph.

Von Benedikt Warmbrunn

Als das Telefon klingelte, bereitete Martin Meichelbeck gerade seinen Kindern das Frühstück zu, es war 7.45 Uhr, und als er wieder auflegte, wusste Meichelbeck, dass das einer dieser Tage werden würde, an denen sich das Leben in seiner ganzen Schwere zeigt. Am Telefon war der Pressesprecher, vielleicht auch der Präsident, an die Reihenfolge erinnert sich Meichelbeck nicht mehr genau, sie hatten nahezu zeitgleich angerufen, es ging ja auch um jede Sekunde. Meichelbeck weiß nur noch, dass er an diesem Tag ungefähr 150 weitere Telefonate führte, und keines war leicht.

Mit jedem Anruf fügte sich ein Bild zusammen von dem, was an jenem Augustmorgen 2014 passiert war. Ilir Azemi, Stürmer der SpVgg Greuther Fürth, war am Abend zuvor bei seiner Schwester eingeschlafen, er fuhr früh nach Hause, gegen 4.40 Uhr stieß er mit seinem Auto an der Stadtgrenze zwischen Nürnberg und Fürth mit einem Kleinlaster zusammen, die Schuldfrage ist auch eineinhalb Jahre später ungeklärt. Azemis Wagen wurde durch den Aufprall gegen einen Ampelpfosten geschleudert, es dauerte 40 Minuten, bis ihn die Rettungskräfte befreit hatten. Er kam ins Krankenhaus, mit mehreren Brüchen im Hüft- und Beckenbereich sowie mit einer Lungenquetschung, zwischenzeitlich musste er künstlich beatmet werden. In den Tagen danach konnte er nur die Hände bewegen, er lag sich wund. Die Ärzte konnten nicht garantieren, dass er wieder als Profifußballer würde spielen können.

Schon beim ersten Telefonat an jenem Morgen im August 2014 hatte Meichelbeck, der Fürther Sportdirektor, auch im Hinterkopf, was passieren musste, um Azemi zu helfen. Also telefonierte er mit Ärzten, mit Therapeuten, und er, der studierte Sportpsychologe, sprach oft mit dem Spieler selbst, das erste Mal am Tag nach dem Unfall, Azemi war noch an mehrere Schläuche und Apparate angeschlossen. Früh hatte Meichelbeck erkannt, dass Azemi bereit war, anzutreten gegen all die Vorhersagen, dass er bereit war zu kämpfen. Nun, im März 2016, sagt Meichelbeck: "Ilir ist zum zweiten Mal in seinem Leben Profifußballer geworden."

Im Leben des Ilir Azemi, 24, ist es immer wieder um das Fallen und das Aufstehen gegangen, er ist vor dem Kosovo-Krieg geflohen, er war ein Jugendlicher, als sein Vater starb. Auch als Fußballer hatte er Rückschläge, einmal pfiffen ihn sogar die eigenen Fans aus. Sein Aufstieg begann Ende Februar 2014. In 13 Spielen erzielte er 13 Tore, er schoss Fürth fast in die Bundesliga, Eintracht Frankfurt wollte ihn verpflichten. Fürth bestand darauf, dass er bleibt. Dann, vier Tage vor dem Derby gegen den 1. FC Nürnberg, kam der Unfall. Und so ist der vorerst größte Erfolg in der Karriere des Fußballers einer, der in keiner Statistik zu finden ist. Der vorerst größte Erfolg ist es, dass er 20 Monate nach dem Unfall mit der U23 trainiert.

Azemi beantwortet zurzeit nur Fragen per E-Mail, er schreibt, dass es ihm "soweit gut" gehe und dass er sich freue, dass er das machen könne, "was mir am meisten Spaß macht, nämlich versuchen Tore zu schießen". Meichelbeck, der Azemi seit sechs Jahren betreut, sagt: "Er ist glücklich, weil er spürt, dass sich der Aufwand und die Leiden auszahlen." Enden soll dieser Weg der Leiden in der Zweitliga-Mannschaft, irgendwann, auf einen Zeitpunkt wollen sie sich nicht festlegen. "Die Tür steht offen, jetzt muss er nur noch durchgehen", sagt Meichelbeck, der Azemis Vertrag im vergangenen Sommer bis 2017 verlängert hat. "Ich habe gelernt, nicht zu weit nach vorne zu schauen", schreibt Azemi, "oftmals sind es eben die kleinen Schritte, die einen weiterbringen."

"Ich gehe davon aus, dass er mit einer wahnsinnigen mentalen Stärke zurückkehren wird."

Zwei Stunden täglich widmet sich Meichelbeck der Genesung Azemis, er steuert die Therapie, erstellt Trainingspläne, im März und im April zum Beispiel geht es vor allem darum, seine Fitness wieder aufzubauen. Also läuft Azemi neben dem Mannschaftstraining der U23 viel, "er muss alles zurückgewinnen", sagt der Sportdirektor, Ausdauer, Explosivität, Antritt, Agilität, eine verbesserte Regenerationsfähigkeit.

Inzwischen spielt Azemi auch regelmäßig für die U23, wenn auch bis zum Heimspiel an diesem Samstag (14 Uhr) gegen Schalding-Heining nie länger als 27 Minuten. Getroffen hat er in der Regionalliga Bayern bisher nicht, dafür gleich fünfmal in seiner ersten Partie, einem Test gegen den Bezirksligisten TSV Burgfarrnbach, eines der Tore erzielte er aus knapp 45 Metern. Nach den ersten Beobachtungen und vielen Einzelgesprächen sagt Meichelbeck: "Ich gehe davon aus, dass Ilir mit einer wahnsinnigen mentalen Stärke zurückkehren wird. Vor dem Tor wird er sich keine negativen Gedanken mehr machen, Versagensängste werden für ihn ein Fremdwort sein."

Auch abseits des Platzes, glaubt Meichelbeck, ist Azemi seit dem Unfall gereift; auch wenn der Stürmer seit wenigen Wochen vorbestraft ist, aufgrund einer Schlägerei im Frühjahr 2015. "Das haben wir sehr deutlich und sehr kritisch mit ihm behandelt", sagt der Sportdirektor. "Es ging ihm zur damaligen Zeit nicht so gut, das kann man sich ja denken." Abgesehen von diesem Vorfall, sagt Meichelbeck, sei Azemi inzwischen "ausgeglichener" und sehe "das Leben jetzt aus vielen anderen Perspektiven". Der Stürmer schreibt: "Ich bin dankbarer geworden für die kleinen Dinge im Leben." Er weiß inzwischen, wie viel diese manchmal bedeuten können.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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