Spielabbruch in Serbien:Gefahr von oben

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Gefährliche Flagge: Eine Drohne führte zu Tumulten in Belgrad (Foto: dpa)

Serbien und Albanien beschuldigen sich nach dem Skandalspiel in der EM-Qualifikation gegenseitig. Doch auch der europäische Fußballverband trägt massiv Mitschuld.

Von Thomas Kistner, München

Nun umhüllt politischer Pulverdampf das Skandalspiel von Dienstagnacht in Belgrad. Eine Drohne hatte die Flagge Groß-Albaniens über den Stadionhimmel gezogen und Tumulte auf Rängen und Rasen ausgelöst, die zum Abbruch des EM-Qualifikationsspiels der Auswahl Serbiens gegen Albanien führten. Jetzt brüten die geschockten Funktionäre des Europa-Verbandes Uefa über weitreichende Strafmaßnahmen gegen die beiden Nationalverbände.

In Serbien brannten gestern albanische Geschäfte, in Albanien brannten serbische Fahnen. Und am Spiel Beteiligte wie Albaniens Co-Trainer Altin Lala, der einst als Bundesligaprofi in Hannover wirkte, berichten von "Todesangst" auf dem Platz.

Serbien gegen Albanien
:Abbruch per Joystick

Ein bizarres Schauspiel führt zum Abbruch des Qualifikationsspiels zwischen Serbien und Albanien. Der Bruder des albanischen Regierungschefs Rama soll eine Drohne mit provozierender Flagge bedient haben - und wird vorübergehend festgenommen.

Von Matthias Schmid

In die Politik ist, nach einem Tag lauter Proteste, betretene Stille eingekehrt. Der Vorfall wirkt ja wie ein gut vorbereiteter Akt, der weit über den Sport hinausreicht. Dass serbische Behörden per Blitzaktion noch Dienstagnacht Olsi Rama, den Bruder des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama, mit der Fernsteuerung für das Objekt des Aufruhrs geschnappt haben wollen, klingt recht abenteuerlich und belegt zunächst eines: Dass der Fußball als Vehikel für tief gründelnde Feindschaften benutzt wurde.

Denn stimmt diese Darstellung, wäre sie ebenso politisch wie der Alternativfall: Treffen die Dementis des Beschuldigten zu, hätten nun serbische Behörden versucht, die Schuld unmittelbar der albanischen Führung anzulasten.

So oder so trägt die Uefa Mitschuld am Vorfall. Das infantile Mantra der Funktionäre aller Großverbände, Sport und Politik dürften nicht vermischt werden und hätten nichts miteinander zu tun, das hat nun die Drohne von Belgrad pulverisiert. Mag auch die neue Dimension, wie hier ein politischer und sportlicher Störfall provoziert wurde, nicht vorhersehbar gewesen sein: Die Uefa bewies enorme Naivität, als sie bei der Qualifikations-Auslosung für das EM-Turnier 2016 in Frankreich diese beiden Landesverbände in dieselbe Gruppe loste. Dass bei Auslosungen vorselektiert wird und gewisse Teams bestimmten Töpfen zugeordnet werden, ist ja kein neues Brauchtum. Für das WM-Endturnier beispielsweise trägt der Weltverband Fifa geografischen Aspekten Rechnung und so dafür Sorge, dass nicht etwa zwei Teams aus Afrika oder drei aus Südamerika in derselben Gruppe aufeinandertreffen. Für die Champions League der besten Klubteams gibt es Setzlisten, die verhindern, dass bereits in der Gruppenphase die größten und die kleinsten Kaliber nur unter sich sind.

Naivität wird der Uefa auch deshalb attestiert, weil es gerade im Fußball reichlich schmerzhafte Erfahrungen zur explosiven Gemengelage unter den Balkan-Staaten gibt. Schon früher mussten bei Spielen zwischen Serben und Kroaten die jeweiligen Gäste-Fans außen vor bleiben, Serbiens Verband spielt ohnehin auf Bewährung in der EM-Qualifikation.

Dessen radikale Anhänger hatten im Herbst 2010 für den Spielabbruch der EM-Qualifikationspartie gegen Italien in Genua gesorgt. Überdies ist Tomislav Karadžić, der Chef des serbischen Fußballverbandes FSS, steter Mittelpunkt von Korruptions- und Spielbetrugsvorwürfen; sogar bei Spielen der Nationalmannschaft wurde er schon in Schmähgesängen der Fans als "Dieb" beschimpft. Wie massiv der nationale Fußball mit kriminellen Elementen vernetzt ist, zeigte sich vor zehn Jahren, als FSS-Generalsekretär Branko Bulatovic am hellen Tag im Verbandsbüro erschossen wurde.

In dieser undurchschaubaren, politisch zerrissenen Welt des Balkans ließ die Uefa just die größten Problemregionen aufeinanderprallen: Serbien und Albanien. Was die Frage aufwirft, was in all den Sicherheits-, Dringlichkeits- und sonstigen internationalen Kommissionen und Seminaren der Verbände besprochen wird, die mit den üppigen Geldern der Fußballindustrie gefüttert werden, wenn so ein Risiko-Spiel nicht erkannt wird.

Ebenso leicht erkennbar ist ein neues Risiko, das sich daraus ergibt, dass Uefa-Chef Platini das EM-Endrundenturnier auf 24 Teilnehmer aufgebläht hat. Dies sicherte ihm einst wichtige Wählerstimmen im Osten Europas: Nur wächst damit auch die Möglichkeit, dass es gleich mehrere spielstarke Balkan-Teams zum EM-Turnier schaffen. Und dann? Die Spurensuche beginnt nun erst, die Kernfrage lautet: Wer war das? Politische Motive dürften beide Regierungen nicht haben, im Gegenteil. Albaniens Rama will den serbischen Regierungschef Aleksandar Vucic am nächsten Mittwoch in Belgrad besuchen; geplant war die erste offizielle Visite seit 1946. Beide Länder drängen in die EU, sie bemühen sich seit einiger Zeit um Wohlverhalten und wollten nun auch mit diesem Treffen ein Zeichen setzen - ergibt es Sinn, dass diese Entwicklung von der Familie des albanischen Ministerpräsidenten torpediert werden sollte?

Uefa vielleicht schon mit dem nächsten Fehler

Insider sehen andere Erklärungen. Schwer nachvollziehbar ist ja, wie die auf eine Reichweite von nur fünf Kilometern ausgelegte Spielzeugdrohne samt großalbanischer Flagge so nahe ans Stadion herangebracht werden konnte. Bei einem Spiel, das für albanische Besucher streng verboten und von 4000 serbischen Sicherheitskräften abgeschirmt worden war. Auch waren nur Minuten nach dem Spielabbruch Bilder des Vorfalls auf serbischen Webseiten zu sehen. Gibt es Kräfte in Putin-nahen serbischen Kreisen oder Diensten, die den Einigungsprozess in der Region und den konzertierten Vorstoß in die EU kritisch sehen?

Gestern weilte Wladimir Putin in Belgrad, als Ehrengast bei einer Militärparade. Dabei betonte der russische Staatschef seine Unterstützung für Serbien gegenüber dem albanisch dominierten Kosovo.

Die Uefa ermittelt nun gegen beide Verbände - und begeht vielleicht schon den nächsten Fehler. Serbien droht auf jeden Fall eine Strafe, es geht um die Verantwortung im Stadion, darum, dass Fans aufs Spielfeld rennen konnten und es dort zu Ausschreitungen kam. Aber auch Albanien droht Ungemach: Weil sich die Gästespieler aus Angst vor Stein- und Flaschenwürfen nicht zurück aufs Feld wagten. Die Fehler von vornherein auf beide Seiten verteilen zu wollen, bevor die Herkunft der Drohne geklärt ist, könnte der nächste Fehler der Sportfunktionäre sein. Ein politischer.

© SZ vom 17.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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