Spanien:Eiswürfel im Rachen

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Zu schnell, zu gewandt und zu gefährlich für die Gegner aus Italien: Mittelfeldspieler Isco, der hier Daniele De Rossi (am Boden) entwischt, erzielte zwei Tore für Spanien. (Foto: Paul White/AP)

"Ich hätte am liebsten applaudiert": Selbst Trainer Ventura kann sich bei Italiens 0:3 in Madrid der Magie des spanischen Mittelfeldspielers Isco nicht entziehen.

Von Javier Cáceres, Madrid

Es ist eine Wonne, das Timbre der Stimme von Gian Piero Ventura, 69, zu vernehmen, Italiens Nationaltrainer: So tief und rau, wie sie ist, vermutet man so viele über die Jahre übereinandergeschichtete Whiskey-Aromen dahinter, dass man am liebsten ein paar Eiswürfel in seinen Rachen werfen möchte. Und es ist einerlei, ob er zornig ist oder düsterer Stimmung, wie er es am Samstagabend im Bernabéu-Stadion von Madrid vorwiegend sein musste nach der 0:3-Niederlage gegen Spanien in einem WM-Qualifikationsspiel mit Finalcharakter. In der Gruppe G kommt ja nur eine Mannschaft direkt weiter.

Weit verführerischer aber war Ventura, als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte und sich seine Gesichtszüge entspannten, bis er derart wohlig zu lächeln begann, dass man meinte, er würde auf dem Podium gleich die Füße auf den Tisch legen. Als nämlich die Sprache auf Francisco Alarcón Suárez kam, den Helden dieses Abends im Bernabéu, den alle Welt nur unter seinem Künstlernamen Isco kennt.

Es waren, wie sich herausstellen sollte, nicht die beiden Tore Iscos, die Ventura genossen hatte: Beim ersten hatte Isco einen Freistoß von der Strafraumgrenze direkt verwandelt (13.), beim zweiten den Torwart Gianluigi Buffon mit einem Linksschuss aus 17 Metern überwunden (39.). Es war vor allem eine Szene Iscos aus der zweiten Halbzeit, in der der eingewechselte Álvaro Morata (76.) zum 3:0 traf. Zwei italienische Verteidiger stürzten auf ihn zu - doch Isco legte den Fußballen auf den Ball und schob diesen durch die Beine von Marco Verratti hindurch. "Ich wäre am liebsten aufgestanden, um zu applaudieren", sagte Ventura, lächelnd, als hätte er vergessen, dass er nach der ersten italienischen Qualifikationsspiel-Niederlage seit 2006 im November wohl durch die Mühlen der Playoffs muss. Und es bestand kein Zweifel daran, dass Isco stellvertretend für das stand, was Ventura meinte, als er von den großen physischen und qualitativen Unterschieden zwischen Spaniern und Italienern sprach: "Wir sind menschlich, sie sind es etwas weniger."

Völlig chancenlos war Italien nicht, Spaniens Torwart David De Gea musste zwei, drei Mal eingreifen. Doch durch die Fantasie der Spanier wirkten die Italiener heillos überfordert, "von der Hymne bis zur Dusche", wie es die Zeitung As am Sonntag schreiben sollte. Spaniens Trainer Julen Lopetegui, der wie Ventura seit einem Jahr regiert, hatte in der Startformation auf einen nominellen Angreifer verzichtet - und damit das Stilmittel der "falschen Neun" wiederbelebt, mit dem Spanien im EM- Finale 2012 Italien mit 4:0 abgefertigt hatte. Alles ergab Sinn, und sogar der nicht mehr so agile Andrés Iniesta, 33, konnte zeigen, dass "seine Pässe in die Tiefe aber nicht altern", wie es die Gazzetta dello Sport formulierte. Dass Isco, 25, über allen anderen strahlte, verlieh allem noch eine sentimentale Note. Denn Iscos Glanzvorstellung war auch so etwas wie ein verspätetes Dankeschön an Lopetegui.

Lopetegui widmet Spaniens Sieg dem mutmaßlich korrupten Verbandschef - und wird kritisiert

Der Nationaltrainer hatte Isco auch berufen, als er "im Klub leiden musste", wie es der strahlende Isco später in der Mixed Zone sagte. Vor vier Jahren war Isco vom FC Málaga zu Real Madrid gewechselt, für 30 Millionen Euro. Doch ein Platz in der Startelf lag für ihn lange außerhalb der Reichweite. An Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Gareth Bale kam er - schon aus kommerziellen Gründen - nie vorbei. In der vergangenen Saison gab es Gerüchte, dass er den Verein verlassen würde. Bis zum Viertelfinal-Rückspiel gegen den FC Bayern hatte Isco gerade mal 77 von 810 möglichen Minuten in der Champions League gespielt. Seither ist sein Ansehen ein anderes geworden; Bales Aktien sind im gleichen Maße gefallen, wie Iscos Magie das Publikum verzaubert. Isco hat längst eine vorzeitige Vertragsverlängerung vereinbart, seine festgeschriebene Ablösesumme wird, sobald er unterschrieben hat, bei 700 Millionen Euro liegen.

"Mein Fußball kommt bei den Leuten gut an", sagt er, "ich versuche nur, ihnen Genuss zu bereiten." Das gelang ihm am Samstag vorzüglich. Als er kurz vor Schluss für den Rückkehrer David Villa, 35, ausgewechselt wurde, war das Bernabéu-Stadion eine einzige Ovation.

Sie hätte auch Trainer Lopetegui gelten können, denn mit seiner Reminiszenz an die Tage mit der "falschen Neun" lag er genauso richtig wie mit der taktischen Umstellung nach einer Stunde, als er den Mittelstürmer Morata für Iniesta einwechselte und nachwies, dass dieses Spanien auch das Konterspiel beherrscht. Lopetegui hatte das Spiel bestens gelesen, die Defensive gut strukturiert, er hatte seinen Gegenüber Ventura, der auf ein 4-2-4- System gesetzt hatte, an der Taktiktafel deutlich besiegt.

Doch anstatt sich damit zu begnügen, Lobhudeleien für die fast schon vollzogene WM-Qualifikation zu genießen ("uns fehlen noch drei Spiele, wir müssen runter von der Wolke"), zog er den Zorn der Sportpresse auf sich, weil er den Sieg - ungefragt - noch dem Verbandspräsidenten Ángel María Villar widmen wollte. Der sitzt zurzeit nur deshalb in seinem Haus bei Logroño, weil er nach umfänglichen Korruptionsvorwürfen auf Kaution freikam.

"Dies war das erste Spiel, bei dem er nicht bei uns ist. Er hat mich geholt, und heute hat er es verdient, dass ich mich an ihn erinnere, weil es ihm nicht gutgehen dürfte", sagte Lopetegui. Das verblüffte auch deshalb, weil der Verband in den vorangegangenen Tagen darauf bestanden hatte, das Thema Villar bei den Pressekonferenzen mit Lopetegui nicht anzuschneiden. Für seine Villar-Hommage wurde Lopetegui von einflussreichen Radiokommentatoren schwer kritisiert. Es wird spannend sein zu sehen, welche Folgen dies für das Klima zwischen der Nationalelf und den Medien haben wird.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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