Skispringen:Schwer erschüttert

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Nach fünf folgenschweren Stürzen in zwei Jahren rätselt der Sport über sein Risiko.

Von Volker Kreisl

Spät aber heftig war der Winter auch am Kulm eingetroffen. Alles war weiß, die schmalen Straßen verstopft, Hunderte Fan-Busse kamen, 25 000 Zuschauer füllten die große weiße Zuschauerwiese. Winter-Alltagsprobleme hatten die Organisatoren also bei der Ski-Flug-WM eingeholt, und das eigentliche Ereignis kurz verdrängt - das Ereignis, das diese WM prägt, und den Blick auf diesen Sport wohl neu justieren wird.

Der Sturz und die Lähmung des 23-jährigen österreichischen Vorspringers Lukas Müller belastete Sportler, Trainer, Betreuer und auch die Zuschauer. Wie der Österreicher Michael Hayböck ("Im Wettkampf bleibt einem nichts übrig, als es auszublenden") gaben alle zu erkennen, dass es nicht so leicht ist, ihre Erschütterung zu verdrängen. Müller hat eine inkomplette Querschnittslähmung im Bereich des sechsten und siebten Halswirbels erlitten, ob und wie weit seine Sensibilität in den Beinen wieder aktiviert werden kann, ist ungewiss, es entscheidet sich in den kommenden Monaten. Das sind die gravierenden Folgen für einen 23-Jährigen, der zurück in den Weltcup wollte. Am Skisprung-Sport selbst dürfte künftig die Unsicherheit nagen.

Denn man hatte ja schon so vieles verbessert, man kann den Wind berechnen, man bricht auch mal riskante Wettkämpfe ab, man hat besseres Material und eine sichere Skihaltung - und doch häuften sich in den vergangenen beiden Jahren fünf schwere und folgenreiche Stürze. Zwei Springer sind querschnittsgelähmt, die anderen erlitten Kopfverletzungen und fielen lange aus, Olympiasieger Thomas Morgenstern verlor das Vertrauen in seiner Sicherheit und hörte ganz auf.

Eine Ursachentendenz lässt sich nicht ausmachen. Betroffen waren Erfahrene wie Unerfahrene. Mal war es Selbstüberschätzung, mal ein schlecht präparierter Hang, nun ein gerissener Stiefelriemen. Dennoch bleiben weiterhin alle Vertreter dieses Sports dabei, dass er letztlich sicher sei, weil alles in der Hand der Athleten liege. Der deutsche Trainer Werner Schuster sagt zum Beispiel: "Man muss seine Voraussetzungen beieinander haben." Toni Innauer, Österreichs Ausnahmespringer in den Siebzigern, verweist auf das Körpergefühl und die ausgeprägten Instinkte der Athleten. Die Lösung könnte also in der Bestärkung der Selbstverantwortung jedes Einzelnen liegen, der wie einst Gregor Schlierenzauer sogar einen Sprung verweigern könnte.

Jeder Einzelne ist aber ein Wettkämpfer, und er denkt an den Sieg. Jeder Einzelne könnte längst einen Rückenprotektor tragen, doch momentan tun dies nur drei von grob 60 Weltcupteilnehmern. Die Mehrheit glaubt nicht an den Protektor. Er könnte hinderlich sein und entscheidende Millimeter kosten.

Die Skiflug-WM am Kulm hat gezeigt: Skispringen ist ein spektakulärer und unsicherer Sport.

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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